Kartell:Süße Streitigkeiten vor Gericht

Tablet is displayed in a sweet shop in Edinburgh, Scotland

Teure, süße Sünde? Unternehmen, die von den Zuckerherstellern Schadenersatz verlangen, müssen nachweisen, dass sie zu viel für Zucker bezahlt haben.

(Foto: Suzanne Plunkett/Reuters)

Die großen Zuckerhersteller sprachen jahrelang Preise ab. Nach Bußgeldern kommen Schadenersatzforderungen auf sie zu.

Von Felicitas Wilke

Normalerweise reißen sich Unternehmen nicht darum, mit dem Zuckergehalt ihrer Produkte in Verbindung gebracht zu werden. Was süß schmeckt, ist eben oft auch nicht gesund. Momentan sind Zucker-Schlagzeilen aber zu verschmerzen, denn es geht um viel Geld. Im vergangenen Jahr wurde bekannt, dass die drei großen deutschen Zuckerhersteller jahrelang ihre Preise abgesprochen haben. Das Kartellamt verhängte Bußgelder im dreistelligen Millionenbereich. Jetzt ziehen mutmaßlich Betroffene vor Gericht. Immer mehr Lebensmittelhersteller verlangen von der Zuckerindustrie Schadenersatz in Millionenhöhe.

Drei große Hersteller bestimmen den Zuckermarkt in Deutschland: Nordzucker, Südzucker und Pfeifer & Langen, bekannt als Diamantzucker. Von 1995 bis 2009 sprachen sie illegalerweise Preise, Quoten und Verkaufsgebiete ab, umgingen also den Wettbewerb. Die Kartellbehörde verhängte im Februar 2014 Bußgelder in Höhe von insgesamt 280 Millionen Euro. Vor allem Südzucker und Pfeifer & Langen mussten tief in die Tasche greifen, Nordzucker profitierte von der Kronzeugenregelung, da es mit dem Amt kooperiert hatte.

Inzwischen ist klar, dass es für die Zuckerhersteller mit Bußgeldern noch längst nicht getan ist. Nestlé, Katjes, Lambertz, Bauer, Ehrmann, Zentis und Vivil: All diese Fabrikanten süßer Sünden haben Schadenersatzklagen gegen die Zuckerhersteller eingereicht. In der Summe ergeben sich Forderungen von mehr als 200 Millionen Euro. Das Deutsche Milchkontor und die Unternehmensgruppe Theo Müller, Hersteller der Müller Milch, prüfen zurzeit Schadenersatzansprüche.

Die Menge an Forderungen, die gerade über die Zuckerfabrikanten hereinbricht, ist in Deutschland ein neues Phänomen. Bis vor einigen Jahren hatten Zivilklagen in Kartellangelegenheiten vor Gericht kaum eine Chance. Nach damaliger Rechtslage musste ein kartellgeschädigtes Unternehmen beweisen, dass die illegale Allianz gebildet wurde, um zielgerichtet jenem Kunden zu schaden. "Bei Preiserhöhungen, die für alle galten, fehlte diese Zielgerichtetheit", weiß Johann Brück, Kartellrechtsanwalt aus Düsseldorf. Eine EU-Richtlinie, die vor einigen Jahren in Kraft trat, schrieb den Mitgliedsstaaten vor, das Kartellrecht von nun an mehr im Sinne des Verbraucherschutzes auszulegen. Als Verbraucher gilt in diesem Fall auch die weiterverwertende Industrie . "Die Richtlinie soll jedem Kartellgeschädigten die Chance geben, bei Verstößen seinen Schaden kompensiert zu bekommen", erklärt Brück.

Eine Chance, die Nestlé und Co jetzt nutzen wollen. Südzucker, Nordzucker und Pfeifer & Langen könnten für ihr Kartell nun doppelt bestraft werden, wenn sich zu den hohen Bußgeldern auch noch Schadenersatzzahlungen in bis zu dreistelliger Millionenhöhe gesellen. Auch für den Staat könnte es auf Dauer zum Problem werden, wenn Schadenersatzklagen bei Kartellangelegenheiten Erfolg haben. "Unternehmen könnten in Zukunft weniger Gebrauch von der Kronzeugenregelung machen", vermutet Kartellexperte Brück. Wenn ohnehin Millionenklagen drohten, dann sei der Bußgelderlass des Kartellamtes deutlich weniger attraktiv. Statt mit den Behörden zu kooperieren, könnten Kartellsünder ihre illegalen Absprachen dann gleich für sich behalten.

Der erste Schadenersatzprozess hat bereits begonnen. Anfang Juli trafen der Bonbonfabrikant Vivil und Südzucker zum ersten Mal vor dem Mannheimer Landgericht aufeinander. Vivil fordert vom Zuckerhersteller eine vergleichsweise geringe Summe von 1,3 Millionen Euro. Der Kläger muss nun nachweisen, dass er den Zucker zu einem höheren Preis eingekauft hat als es ohne Kartell der Fall gewesen wäre. Vivil will sich zum Prozess nicht äußern. Experte Brück weiß, dass man einen solchen Nachweis erbringen kann, indem man beispielsweise die Preise mit denen in Nachbarländern vergleicht oder einen Vorher-Nachher-Vergleich anstellt. Vivil will nun ein Gutachten anfertigen lassen, der Prozess ist daher bis zum 16. Januar ausgesetzt. Südzucker ist einem Sprecher zufolge "fest davon überzeugt, dass seinen Kunden durch die vom Bundeskartellamt angemahnte Vorgehensweise kein Schaden entstanden ist." Nordzucker äußerte sich ähnlich. Kartellrechtsanwalt Brück kann diese Aussagen nicht nachvollziehen. "Ein Kartell setzt sich ja nicht zusammen, um über das Wetter zu reden." Wenn man den Wettbewerb umgehe und Preise erhöhe, dann gehe das zulasten der Kunden: "Die Kartellrendite eines Unternehmens ist für mich immer das Spiegelbild des Kartellschadens." Was den Zuckerherstellern in die Karten spielen könnte, ist die Tatsache, dass der Zuckermarkt mit Quoten und Mindestpreisen stark reguliert ist. Zu Beginn des Vivil-Prozesses sagte der Vorsitzende Richter Andreas Voß, dass es dadurch keinen echten freien Wettbewerb gebe und unklar sei, ob sich ohne Absprachen andere Preise ergeben hätten. "Diese Argumentation könnte für die Zuckerhersteller die Rettung sein", sagt Experte Brück.

Trotzdem schätzt Brück die Chancen von Vivil vor Gericht als gut ein. Der Prozess könne zum Referenzfall für die kommenden Verfahren werden. "Die großen Unternehmen müssen jetzt darauf hoffen, dass Vivil seinen Prozess ordentlich führt. Falls sie verlieren, wäre das kein guter Einstieg", sagt Brück.

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