Karlsruhe prüft Anleihekäufe durch EZB:Hart an der Grenze

Karlsruhe prüft Anleihekäufe durch EZB: Auch Angela Merkel überließ die Entscheidung zur Rettung des Euro lieber Mario Draghi: Graffiti am Bauzaun vor dem neuen EZB-Gebäude in Frankfurt.

Auch Angela Merkel überließ die Entscheidung zur Rettung des Euro lieber Mario Draghi: Graffiti am Bauzaun vor dem neuen EZB-Gebäude in Frankfurt.

(Foto: AFP)

Hat die Europäische Zentralbank bei der Euro-Rettung ihre Befugnisse überschritten? Und wenn ja: Kann das Bundesverfassungsgericht die EZB in ihre Schranken weisen? Einiges spricht dafür, dass Karlsruhe das tun wird - nur wie gelingt es schonend?

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Nein, Jörg Asmussen sitzt nicht auf der Anklagebank, die gibt es im Bundesverfassungsgericht gar nicht. Der Direktor der Europäische Zentralbank (EZB) wird an diesem Dienstag in Karlsruhe von einem Rednerpult aus sprechen, und zwar als "sachverständiger Dritter", ebenso wie Bundesbankpräsident Jens Weidmann.

Faktisch befindet er sich gleichwohl in einer Verteidigungsposition. Denn der Zweite Senat hat das Verfahren auf zwei Fragen zugespitzt: Handelt die EZB bei der Euro-Rettung im Rahmen ihrer Befugnisse? Und kann das große deutsche Gericht die mächtige europäische Bank in ihre Schranken weisen?

Das Thema der auf zwei Tage angelegten Verhandlung klingt bereits im vorläufigen Rettungsschirm-Urteil vom 12. September 2012 an - wenngleich Peter Michael Huber, der federführende Berichterstatter, die Passage auf Seite 69 des Urteils damals nicht einmal vorgelesen hatte: "Ein Erwerb von Staatsanleihen am Sekundärmarkt durch die Europäische Zentralbank, der auf eine von den Kapitalmärkten unabhängige Finanzierung der Haushalte der Mitgliedsstaaten zielte, ist als Umgehung des Verbots monetärer Haushaltsfinanzierung ebenfalls untersagt."

Der Satz hatte eine ähnlich starke Wirkung wie die Ankündigung des EZB-Chefs Mario Draghi, "alles Notwendige" zu tun, um den Euro zu bewahren. Nur eben umgekehrt: Draghis Wort beruhigte die Märkte. Die Karlsruher Drohung beunruhigte die EZB.

Im Zentrum der Anhörung wird also eine Frage aus dem ökonomisch-juristischen Grenzland stehen: Betreibt die EZB mit ihren angekündigten Interventionen zur Euro-Rettung Geldpolitik - was sie darf und soll? Oder hat sie die verbotene Frucht der Fiskalpolitik gekostet? Die Politik denkt hier pragmatisch nach dem Motto: Was immer es ist, Hauptsache, es hilft.

Für den Freiburger Rechtsprofessor Dietrich Murswiek, der den Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler vertritt, einen der vielen Karlsruher Kläger, hat die EZB klar ihre Befugnisse überschritten. Mit dem Kauf von Anleihen werde der hohe Zinssatz gedrückt, den klamme Staaten für ihre Anleihen zahlen - womit er als natürliche Bremse gegen eine weitere Schuldenpolitik ausfalle. "Hier werden Hunderte von Milliarden an Zentralbankgeldern eingesetzt, um die Zinsen bestimmter Staaten zu senken und diesen auf diese Weise zu ermöglichen, sich billiger zu verschulden", schreibt Murswiek. "Das hat mit Geldpolitik nichts zu tun, das ist Fiskalpolitik und Staatsfinanzierung."

Diesmal schwankt die Brücke

Prominentester EZB-Kritiker ist die Bundesbank. Sekundärmarktkäufe zur Finanzierung staatlicher Haushalte seien mit "erheblichen Stabilitätsrisiken" verbunden, weil Regierungen nun mal zum Schuldenmachen neigten. Ohne eine Begrenzung könne das letztlich in die Insolvenz führen, heißt es in ihrer Stellungnahme.

Allerdings ist die Abgrenzung zwischen Geld- und Fiskalpolitik bisher höchstrichterlich ungeklärt und damit völliges Neuland. Die EZB macht in ihrer Stellungnahme geltend, Anleihekäufe am Sekundärmarkt seien eine Art Geldpolitik auf Umwegen: Wenn das klassische Instrument der Geldpolitik - die Zinssenkung - nicht mehr zuverlässig funktioniere, müsse die Zentralbank eben andere Mittel einsetzen.

Sollten die Richter des Zweiten Senats das EZB-Handeln für rechtlich fragwürdig halten - wofür manches spricht -, dann fangen die juristischen Probleme erst richtig an. Denn die EZB ist eine europäische Institution, die nach europäischen Regeln funktioniert. Das Bundesverfassungsgericht hingegen ist allein fürs deutsche Grundgesetz zuständig. Zwar hat das Gericht in Europafragen stets nach Kräften Brücken gebaut, über die der einfache Kläger seine Verfassungsbeschwerde nach Karlsruhe tragen kann. Als Brückenkopf dient das Wahlrecht des Bürgers, das mit dem Demokratieprinzip und dem Bundestag verknüpft wird und in dessen Haushaltsrecht mündet, das für die Kontrolle milliardenschwerer Rettungsmaßnahmen allerhand hergibt.

Diesmal aber ist die Brücke schwankend: Denn die EZB steht weitgehend außerhalb der demokratischen Kontrolle, damit sie unabhängig bleiben kann. Murswiek indes will der EZB diese Freiheit nur innerhalb ihrer - eng auszulegenden - Befugnisse zugestehen. Sobald sie das sichere Terrain der Geldpolitik verlasse, sei wegen der Haftungsrisiken doch wieder die nationale Budgetverantwortung tangiert - und Karlsruhe zuständig.

Bleibt die schwierigste aller Fragen: Wenn das Gericht die EZB-Interventionen tatsächlich für rechtswidrig hält - was dann? Die gängigste Antwort lautet: Karlsruhe müsste den Fall zunächst dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vorlegen, weil nur dort verbindlich über die Auslegung von EU-Recht entschieden werden kann. Nur werden in Karlsruhe eben nicht allein juristische, sondern auch strategische Überlegungen angestellt: Wie reagiert man, wenn der EU-Gerichtshof - wie erwartet wird - das Handeln der EZB als rechtens ansieht? Klein beigeben? Einen Krieg der Gerichtshöfe vom Zaun brechen? Beides will man im Moment eher nicht.

Deshalb wird in Karlsruhe - wie schon bei den früheren Rettungsschirmverfahren - auch über schonendere Wege nachgedacht, um der EZB die Grenzen aufzuzeigen, ohne gleich ökonomische oder justizielle Verheerungen anzurichten. Der Bundestag als Sachwalter scheidet diesmal freilich aus, er ist längst bis unter die Reichstagskuppel mit Beteiligungsrechten hochgerüstet. Weshalb man nun gelegentlich das Stichwort Bundesbank hört. Immerhin steht sie im Grundgesetz-Artikel 88 und hätte damit ebenfalls eine Art europäischer Integrationsverantwortung. Wie sich ihre Rolle als kritischer Begleiter der Euro-Rettung aufwerten ließe, dazu fehlt den Beteiligten derzeit allerdings die Vorstellungskraft; der Bundesbankpräsident sitzt ja bereits im EZB-Rat.

Und warum hält sich Karlsruhe nicht überhaupt aus der Sache raus, wie andere Gerichtshöfe dies tun, wenn es zu politisch oder zu ökonomisch wird? Bei einem Symposium wurde vergangenen Freitag Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle mit dieser Frage konfrontiert - ganz allgemein, nicht auf die EZB bezogen. Seine Antwort: Das Gericht entziehe sich nicht, nur weil es schwierig werde und Kritik zu erwarten sei. Darauf beruhe seine Reputation.

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