Medikament gegen Krankheit:Pharmaindustrie hofft auf Alzheimer-Wende

  • Pharmakonzerne wollen auf der Alzheimer-Konferenz in Washington neue Forschungsergebnisse präsentieren.
  • Bisher gibt es noch kein Medikament, das Krankheit wirksam verlangsamen oder gar stoppen kann.
  • Der Sprecher des Verbandes der forschenden Pharmaindustrie teilt den Optimismus nicht.

Von Helga Einecke, Frankfurt

Die Krankheit des Vergessens, genannt Alzheimer, kennt man seit über hundert Jahren. Wirksame Medikamente dagegen fehlen bis heute. Einige Wirkstoffe verzögern den totalen Verlust des Gedächtnisses. Sie wirken nur vorübergehend. Milliarden Euro steckten Forscher und Pharmaunternehmen über Jahre in die Entwicklung möglicher Wirkstoffe, bislang vergeblich. Mehr als hundert Fehlversuche soll es in 15 Jahren gegeben haben. Dessen ungeachtet taucht beim gerade laufenden Alzheimer-Kongress in Washington einmal mehr die Hoffnung auf, das Blatt könnte sich wenden.

Dieser optimistischen Meinung ist auf jeden Fall Hendrik Liebers, der Finanzchef der Probiodrug AG. Nur Misserfolge - das lässt er so nicht stehen. Vielmehr habe man auch durch Fehlschläge wichtige Erkenntnisse gewonnen. Der hochgewachsene Mann im grauen Anzug unterstreicht seine Argumente mit sächsischem Akzent auch malerisch. Er springt vom Stuhl auf, eilt zum Flipchart.

Mit einem Filzstift zeichnet er eine kleine Wolke, die ein Gehirn sein soll, und kritzelt fette schwarze Punkte hinein. Die Punkte bilden die Ablagerungen, die Plaques, die hauptverdächtigen Symptome für Alzheimer. Genau genommen geht es um Eiweiße, sogenannte Amyloid-Beta (Abeta), die in den Ablagerungen stecken.

Die Probiodrug AG kam auf das Thema eher per Zufall

Diese Proteine allein könnten es nicht sein, bestätigt Liebers, die habe vermutlich jeder im Kopf. "Aber schauen wir noch mal genau hin", ruft er. Da kommt der Wissenschaftler in ihm durch, denn Liebers hat neben Ökonomie auch Biologie und Medizin studiert. Nun zeichnet er wilde Striche übereinander und am Ende einen kleinen Kreis, den er Ringschluss nennt. "Sie sind an einer Stelle verknotet, chemisch verändert", erklärt er seine Demonstration. Genau das sei der Knackpunkt.

Die Probiodrug AG in Halle wurde im Jahr 1997 von den Wissenschaftlern Konrad Glund und Hans-Ulrich Demuth gegründet und kam auf das Thema Alzheimer eher per Zufall - so etwas ist in der Pharmaforschung keine Seltenheit. Früher hatte man sich mit Diabetes befasst, entdeckte dann aber Vorgänge bei Proteinen, die schon vor 23 Jahren bei Alzheimer beschrieben wurden. Man sattelte um.

"Abeta treibt die Erkrankung", davon bleibt Liebers überzeugt. Die Abfolge der Enttäuschungen habe auch mit dem überholten Stand der Diagnostik zu tun. Inzwischen kann man das Abeta im Hirn sichtbar machen, Gene sind bekannt, durch die man früher erkranken kann oder die das Risiko erhöhen. Was fehlt, ist die eigentliche Ursache. Bislang ist alles graue Theorie.

Tatsächlich verursachen Alzheimer-Patienten wegen ihrer großen Pflegebedürftigkeit hohe Belastungen im Gesundheitswesen. Die Krankheit geht in vielen Fällen mit Aggression und Depression einher und verlangt pflegenden Angehörigen oder Pflegepersonal eine Betreuung rund um die Uhr ab. Schon ein Hinauszögern der Krankheit in einem frühen Stadium würde den Betroffenen also helfen. Denn es trifft vor allem die ältesten Menschen.

Schwierigkeit, die Krankheit früh zu diagnostizieren

Das amerikanische Unternehmen Lilly will an diesem Mittwoch in Washington mit neuen Daten aufwarten. Auch der Konkurrent Biogen lieferte schon in einem frühen Stadium überraschende Ergebnisse, und durfte deshalb eine Forschungsstufe überspringen.

Der Sprecher des Verbandes der forschenden Pharmaindustrie (VfA), Rolf Hömke, teilt den Optimismus nicht, zumindest noch nicht. Er zählt 17 Alzheimer-Projekte mit unterschiedlichen Ansätzen in der dritten Phase auf, also der letzten Phase vor einer Zulassung eines Medikamentes. Lilly habe die Nase mit zwei Projekten vorn. Probiodrug und Boehringer Ingelheim steckten erst in Phase zwei. "Wenn es jemand schafft, den Alzheimer-Prozess wesentlich und sicher zu verlangsamen, dann ist das die Mondlandung der Pharmaindustrie", umschreibt Hömke die Dimension dieses Forschungsgebiets.

Eine Schwierigkeit ist, den frühen, symptomlosen Alzheimer-Prozess eindeutig erkennbar zu machen. Das wäre nötig, um neue Therapien rechtzeitig anzuwenden und nicht erst dann, wenn die Zellen im Gehirn bereits abgestorben sind.

Gegen die Pharmagrößen dieser Welt ist Probiodrug mit seinen zwei Wirkstoffkandidaten PQ 912 und PQ 1565 ein kleiner Fisch. Dennoch wagten die Manager aus Halle 2014 den Schritt an die Börse. Sie suchten sich die Börse Euronext in Amsterdam aus, auch mit Unterstützung einer Handvoll finanzkräftiger Investoren wie Rothschild, BB Biotech oder der LBBW. Dem Unternehmen flossen 22,5 Millionen Euro zu, die Wirtschaftswoche sprach von "der Börsenrakete des Jahres".

Die Alzheimer-Wende hat das Unternehmen verändert. Das kleine Team umfasst noch 16 Mitarbeiter, das Management verteilt sich auf Frankfurt, die Schweiz, die Niederlande. Man müsse nicht alle an einem Ort haben, berichtet Liebers.

Roche hat bereits mehr als eine Milliarde Franken in Forschung gesteckt

Das Material werde in der Schweiz hergestellt, die Studien würden in den USA, Frankreich, Schottland stattfinden. Man sei ja ohnehin die Hälfte des Jobs auf Reisen. An der Börse ist man inzwischen nicht mehr ganz allein. In Axovant und VTV debütieren neue reine Alzheimer- Mitbewerber, allerdings an der amerikanischen Nasdaq. Das muss für die Deutschen nicht schlecht sein, denn rund um die börsennotierten Neulinge gruppieren sich schnell Analysten und Fachleute, die mit ihrer Informationsdichte den Prozess vorantreiben.

Der Schweizer Pharmakonzern Roche, dessen Alzheimer-Medikament Gantenerumab floppte, will auch noch einmal genauer hinschauen. Man ist ermutigt von den Ergebnissen der Wirkstoffe Solanezumab (Lilly) und Aducanumab (Biogen.)

Roche-Verwaltungsratspräsident Christoph Franz räumte vor Kurzem ein, bereits mehr als eine Milliarde Franken in die Alzheimer-Forschung gesteckt zu haben. Im Vergleich zur Entwicklung bei Krebs sei man noch mindestens zehn bis 15 Jahre im Rückstand. Aber auch er träumt davon, dass sein Unternehmen gegen Alzheimer Erfolg hat und er seinen Enkeln davon erzählen kann.

Sollte ein Durchbruch oder ein erkennbarer Fortschritt bei der Behandlung von Alzheimer gelingen, winken den Pharmaunternehmen Milliarden. Manche Analysten rufen etwa für Lilly bereits vier Milliarden Dollar für ein Medikament auf, andere fabulieren von 20 Milliarden Dollar. GBI Research spricht von einem riesigen Bedarf und lukrativem Markt. Sonst würden die Unternehmen nicht weiterhin derart hohe Risiken auf sich nehmen.

Das Interesse von Lilly an Alzheimer geht im Übrigen über Medikamente hinaus. Die deutsche Tochter des Unternehmens erwarb bereits 1995 das Geburtshaus von Alzheimer in Marktbreit bei Würzburg, ließ es zu einem Museum und einer Gedenkstätte umbauen. Zu besichtigen sind das Mikroskop von Alzheimer mit Objektträgern und Hirnschnitten der ersten Alzheimer-Patientin Auguste Deter. Schon damals fielen Plaques ins Auge. Die Akte der Auguste Deter ist als Faksimile vorhanden.

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