Jugendarbeitslosigkeit:Hilfreicher Gipfel oder Wahlkampfshow?

Jugendarbeitslosigkeit: Die Jugendlichen, wie hier in Spanien, gehen auf die Straße, um auf ihre Not aufmerksam zu machen (Archivbild von 15. Mai 2013).

Die Jugendlichen, wie hier in Spanien, gehen auf die Straße, um auf ihre Not aufmerksam zu machen (Archivbild von 15. Mai 2013).

(Foto: AFP)

Europas Regierungschefs haben ein neues, dringliches Thema gefunden: die Jugendarbeitslosigkeit. In den kommenden zwei Jahren wollen sie acht Milliarden Euro dafür ausgeben. Wie schnell und effizient wirken die Hilfen? Oder ist das Ganze etwa nur eine Wahlkampfshow? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Guido Bohsem

Die Finanzkrise in der Europäischen Union hat in fast allen Ländern zu Rezessionen oder Stagnationen geführt. In vielen Ländern stieg die Anzahl der Jobsuchenden deutlich. Insbesondere die hohe Jugendarbeitslosigkeit löst große Sorgen unter den europäischen Regierungschefs aus. Nachdem sie in der vergangenen Woche die Finanzgrundlage für die Hilfen beschlossen hatten, sollten an diesem Mittwoch erste konkrete Schritte ausgelotet werden, um die Jugendarbeitslosigkeit zu verringern. Die Süddeutsche Zeitung beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema.

Wie groß ist das Problem?

Nach den jüngsten Zahlen des europäischen Statistikamts Eurostat lag die Arbeitslosenquote bei Jugendlichen im Alter von 15 und 24 Jahren in der Euro-Zone bei 23,8 Prozent. Fallen die Werte in Deutschland Österreich oder den Niederlanden niedrig aus, sind sie in den südeuropäischen Krisenländern erschreckend hoch. Griechenland meldete zuletzt 60 Prozent. Auch in Spanien (56,5 Prozent) Portugal (42,1 Prozent) und Italien (38,5 Prozent) sind die Zahlen alarmierend hoch.

Sind die Zahlen verlässlich?

Arbeitslosenstatistiken aus verschiedenen Ländern sind gewöhnlich schwer zu vergleichen. Der Vorteil der Eurostat-Zahlen ist, dass sie nach dem gleichen Muster erhoben werden. Allerdings kommt es immer wieder zu Missverständnissen bei der Interpretation der Zahlen, auf die zum Beispiel das Centre for European Policy Studies (Ceps) hinweist. Trotz der Arbeitslosenquote von 56,5 Prozent ist es in Spanien nicht so, dass mehr als die Hälfte der Jugendlichen im Alter von 15 bis 24 Jahren als arbeitslos betrachtet werden kann. Denn alle Schüler, Auszubildenden und Studenten werden in dieser Statistik nicht mitgezählt - obwohl sie zumindest bis zum Alter von 19 Jahren den weitaus größten Teil der Jugendlichen ausmachen.

Die Eurostat-Zahlen betrachten also nur die arbeitenden und arbeitssuchenden Schüler. Es müsste daher im Fall Spanien richtig heißen: Jeder zweite jugendliche Arbeitnehmer findet keinen Job.

Wie ist die Lage in Deutschland?

Deutschland weist mit einer Jugendarbeitslosen-Quote von 7,6 Prozent den niedrigsten Wert aller europäischen Staaten aus. In manchen Gegenden suchen die Betriebe sogar händeringend nach qualifizierten Lehrlingen. Laut dem Chef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, dem Berliner Unternehmer Eric Schweitzer, sind gegenwärtig 70.000 Ausbildungsplätze unbesetzt.

Was will die EU tun?

Auf dem Gipfel in der vergangenen Woche verständigten sich die Regierungschefs darauf, bis zu acht Milliarden Euro in den kommenden zwei Jahren gegen die hohe Arbeitslosigkeit auszugeben. In den Ländern mit einer Jugendarbeitslosen-Quote von mehr als 25 Prozent soll so unter anderem die sogenannte Jugendgarantie finanziert werden. Jedem Schulabgänger oder neuem jugendlichen Arbeitslosen wird darin garantiert, innerhalb von vier Monaten ein Beschäftigungs-, Ausbildungs- oder Praktikumsangebot zu erhalten. Die europäischen Arbeitsminister machten sich in Berlin dafür stark, weitere 16 Milliarden Euro einzusetzen. Die zusätzlichen Milliarden sollen dabei aus bislang nicht abgerufenen Mitteln der europäischen Strukturfonds stammen.

Wie schnell wirken die Hilfen?

Man muss zwischen kurzfristigen Arbeitsmarktprogrammen und Strukturreformen unterscheiden. Erstere dürften die Anzahl der jugendlichen Arbeitslosen recht schnell absenken - indem sie beispielsweise den Betrieben einen Teil der Lohnkosten erstatten. Allerdings wirkt sich das tendenziell negativ auf ältere Arbeitnehmer aus. Die Unternehmen könnten versuchen, ihre älteren Mitarbeiter durch junge zu ersetzen. Strukturreformen wie ein Umbau der Arbeitsmarkt-Vermittlung oder gar die Einführung des deutschen dualen Systems dürften deutlich länger brauchen, um eine positive Wirkung zu entfalten. Nach Einschätzung des Ceps handelt es sich dabei um etwa zehn Jahre. Im Gespräch ist auch eine stärkere Europäisierung der Ausbildung durch Austauschprogramme

Der Gipfel: eine Wahlkampfshow?

Richtig ist, es handelte sich gar nicht um einen offiziellen Gipfel - eher um ein Arbeitstreffen, das Gipfelausmaße angenommen hat. Unterschiedliche Versionen gibt es darüber, wie es dazu kam. Begonnen hatte das Ganze als Konferenz auf Einladung von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Dann interessierten sich auch Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident François Hollande. Später wollte zudem Kommissionspräsident José Barroso teilnehmen. Auch den Präsidenten des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, drängte es nach Berlin. Wo dann schon mal so viele beisammen waren, wollten andere Regierungschefs nicht fehlen. Und weil so viele wichtige Menschen auf einem Haufen sonst nur bei Gipfeln der Europäischen zusammentreffen, hieß das Treffen in Berlin auf einmal Gipfel, obwohl es keiner war. Das wiederum wollte die SPD nicht so stehen lassen, immerhin ist ja Wahlkampf. Ihre Spitzenleute warfen der Kanzlerin vor, keinen Gipfel, sondern eine Show-Veranstaltung abzuhalten. Vor Merkels Show-Gipfel gab es daher im Willy-Brandt-Haus einen, nun ja, kleinen Gipfel. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sprach mit EU-Sozialkommissar László Andor und sozialdemokratischen Arbeits- und Sozialministern aus zehn EU-Staaten über die Jugendarbeitslosigkeit. Weil das offenbar noch nicht genug Gipfel waren, veranstaltete der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) noch einen Gegengipfel, und FDP-Chef und Wirtschaftsminister Philipp Rösler gab eine Erklärung ab.

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