Jugendarbeitslosigkeit:Die Nini-Generation

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Junge Leute sind in Industriestaaten doppelt so oft arbeitslos wie andere - viele bemühen sich gar nicht mehr um Arbeit. Sie sind Opfer einer falschen Ausbildung, kritisiert die OECD.

Von Björn Finke, Alexander Hagelüken und Thomas Urban, Madrid/München/London

Ein halbes Dutzend junger Leute steht am Morgen vor dem Eingang des Weiterbildungszentrums im Madrider Stadtteil Chamberí. Im Schatten ist es noch empfindlich kühl, sie drängen in den klimatisierten Klassenraum. "Es müssten eigentlich doppelt so viele sein", sagt die Sekretärin. Aber es sei schwer, dieses Programm zu vermitteln. Die 23-jährige Rosalia sagt, sie nehme an einem Computerkurs für Bürokräfte teil, obwohl sie sich wenig Hoffnungen auf einen Arbeitsplatz macht. Aber sie wolle auf keinen Fall wieder Regale im Supermarkt einräumen wie bei ihrem letzten Job.

Die Jugendarbeitslosigkeit ist eines der großen Probleme in Spanien, aber nicht nur dort: Insgesamt trifft die Wirtschaftskrise in den Industriestaaten besonders die jungen Menschen. Sie haben oft große Mühe, nach der Ausbildung einen Job zu finden. Viele hangeln sich trotz erfolgreicher Lehre oder eines abgeschlossenen Studiums von einer Kurzzeit-Beschäftigung zur nächsten, finden keine dauerhafte Anstellung - andere kommen überhaupt nicht unter. So sind die 16- bis 29-Jährigen in den Industriestaaten doppelt so häufig arbeitslos wie andere Arbeitnehmer, schreibt die Organisation OECD in einer neuen Studie. Aktuell, so die Denkfabrik der Industriestaaten, haben fast 40 Millionen junge Menschen weder Job noch Ausbildungsplatz - fünf Millionen mehr als vor Ausbruch der Finanz- und Eurokrise. Die Unterschiede sind riesig: In Deutschland sind nicht einmal zehn Prozent der Altersgruppe betroffen - und damit weniger 16- bis 29-Jährige als vor der Krise. In Ländern wie Italien, Spanien, Griechenland und der Türkei ist die Situation dagegen nach wie vor dramatisch, mehr als 25 Prozent der jungen Menschen sind ohne Job.

Dass die Jugendarbeitslosigkeit in den Euro-Krisenstaaten besonders hoch ist, liegt aber nicht nur an der Krise. So sind die jungen Menschen in Spanien, Italien oder Irland oft nicht arbeitsmarktfähig; sie schneiden bei Kriterien wie Lesen, Schreiben oder Rechnen häufig schlechter ab als junge Menschen in den Niederlanden oder Finnland.

Die Autoren der OECD befürchten, dass viele junge Menschen vom Radar verschwinden und auch in den nächsten Jahren keinen Job finden werden. 20 Millionen von ihnen sind zwar mit der Ausbildung fertig, suchen aber gar nicht aktiv nach einem Job. In Spanien sprechen Soziologen von der Nini-Generation ("ni - ni" heißt "weder - noch"). Damit sind junge Leute gemeint, die sich weder um Ausbildung oder Arbeit noch um die Registrierung als Arbeitsloser bemühen. Ihre Zahl liegt dort bei rund 700 000.

Hat die EU sie ihrer Chancen beraubt? Junge Menschen protestierten vor einigen Jahren gegen die rigide Schuldenpolitik der EU in Spanien. (Foto: Emilio Morenatti/AP)

Die OECD ruft die Regierungen deshalb auf, die jungen Menschen ohne Job besser zu identifizieren. Staatliche Institutionen müssten sich darum kümmern, dass sie von der Ausbildung in eine Arbeit kommen. Sozialleistungen seien stärker an die Verpflichtung zu knüpfen, Qualifizierungs- oder Trainingsmaßnahmen zu beginnen. Außerdem müssten die Staaten mehr für die Bildung tun. So verbessert sich etwa das Lesen und Schreiben von Kindern aus benachteiligten Familien stark, wenn sie schon vor der Grundschule gefördert werden. 40 Prozent der Jugendlichen in den Industriestaaten, die vor der Oberschule abgehen, haben aber Schwächen beim Rechnen, Lesen und Schreiben.

Deutschland fällt dadurch negativ auf, dass Kinder aus benachteiligten Familien häufig schwächere Leistungen zeigen als im OECD-Durchschnitt. Vorbild ist die Bundesrepublik dagegen, wenn es um die Berufsnähe der Ausbildung geht. Das deutsche System der Lehrlinge, die sowohl in einer Berufsschule wie in einem Betrieb lernen, wird international oft gelobt.

In Spanien, Griechenland oder der Türkei haben mehr als 25 Prozent keine Stelle

In Spanien dagegen zeigen sich die Schwächen des Bildungssystems deutlich: Dort fehlt es an Facharbeitern. Erste Versuchsprogramme für eine duale Berufsausbildung sind gestartet worden, aber der Umbau des gesamten Bildungssystems ist eine Generationenaufgabe.

Das Hauptproblem ist nach Auffassung spanischer Bildungspolitiker die hohe Zahl der prekären Jobs. Die meisten Hochschulabsolventen bekommen keine Festanstellung und üben meist Tätigkeiten unter ihrer Qualifikation aus, Folge einer Bildungspolitik, in der die Hochschulen ohne Rücksicht auf Prognosen für den Bedarf der Wirtschaft und öffentlichen Verwaltung massiv ausgebaut wurden. Die Abkehr vom komplett sozial versicherten Vollzeitjob schlägt sich überall in den Industriestaaten in der Realität jüngerer Menschen nieder. So hat jeder vierte nur einen befristeten Vertrag - in Deutschland ist dabei der Unterschied zwischen 15- bis 24-Jährigen und den 25- bis 54-Jährigen so groß wie in fast keinem anderen Industrieland.

SZ-Grafik; Quelle: OECD, Stand 2013 (Foto: sz)

Die OECD sieht die Gefahr, dass solche Jobs zu einer Sackgasse werden und fordert deshalb, die Regeln am Arbeitsmarkt so zu ändern, dass die Arbeitssuchende schneller einen Job finden. Dazu gehören nach Ansicht der OECD auch Änderungen beim Kündigungsschutz, denn wenn dieser zu hoch sei, lasse dies Unternehmen zögern, Zeitverträge in dauerhafte Stellen umzuwandeln. Die OECD ruft ferner dazu auf, Mindestlöhne, Steuern und Sozialleistungen zu überprüfen - und gegebenenfalls zu reduzieren, damit es für Arbeitgeber günstiger wird, junge Menschen mit wenig Berufserfahrung einzustellen.

Wie sehr Bildungspolitik auch in wirtschaftlich starken Staaten die jungen Menschen betrifft, zeigt das Beispiel Großbritannien. Dort ist die Arbeitslosenquote für junge Menschen fast dreimal so hoch wie der allgemeine Wert von nur 5,5 Prozent. Vielen der jungen Arbeitslosen fehlen die richtigen Qualifikationen. Im Vergleich zu Deutschland gibt es deutlich weniger Ausbildungsplätze in Unternehmen. England ist sogar das einzige Industrieland, in dem die Jugend heute schlechter lesen, schreiben und rechnen kann als ihre Großeltern-Generation. In keinem anderen Staat ist zudem der Unterschied bei diesen Fähigkeiten größer zwischen jungen Arbeitslosen und jungen Menschen mit einem Job. Die konservative Regierung will das Problem mit mehr und besseren Ausbildungsprogrammen in den Betrieben bekämpfen.

© SZ vom 28.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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