Jürgen Schneider:Der Hauptmann von Königstein

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Jürgen Schneider nach seiner Festnahme in Miami. Er war mit internationalem Haftbefehl gesucht und vom FBI verhaftet worden. (Foto: ullstein bild)

Der frühere Bauunternehmer ist 1994 als der größte Pleitier in die deutsche Wirtschaftgeschichte eingegangen. Er sieht sich heute als Kriminellen, der aber auch viel Gutes bewirkt hat.

Von Karl-Heinz Büschemann

Wovon er heute lebt, verrät Jürgen Schneider, 83, nur unpräzise. Ein Konto habe er nicht, sagt er, dafür eine Milliarde Euro Schulden. "Wir leben vom Nachlass unserer Eltern", sagt der Mann, der 1994 als der größte Pleitier in die Wirtschaftgeschichte der Bundesrepublik eingegangen war, weil er als Bauunternehmer 1994 mit 6,7 Milliarden Mark Schulden in die Pleite gerutscht, mit seiner Frau nach Amerika abgehauen war, geschnappt wurde und vor fast genau 20 Jahren, am 23. Dezember 1997, in Frankfurt wegen Kreditbetrugs und Urkundenfälschung zu sechs Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt worden war.

Aber noch immer ist dieser Mann, der offen zugibt, ein Krimineller zu sein, und der allein der Deutschen Bank einen Schaden von 1,2 Milliarden Mark zufügte, eine Legende, ein von vielen bewunderter Held. Die Bild-Zeitung sagte über den Milliardenbetrüger Jürgen Schneider fast bewundernd: "Deutschlands sympathischster Verbrecher". Er selbst sieht sich als eine Art Robin Hood. Er habe das Geld der Reichen zwar nicht den Armen gegeben, aber er habe es in schöne Häuser gesteckt. In Leipzig und Frankfurt hat der Immobilienunternehmer ganze Straßenzüge so wunderbar saniert, dass das Stadtbild nachhaltig verschönert war. Dafür hat Schneider das Bild der Deutschen Bank, des einst weltweit hoch respektierten deutschen Kreditinstituts, massiv beschädigt.

Der Pleitier verführte Hilmar Kopper, Ex-Chef der Deutschen Bank, zu einem folgenreichen Satz

Ausgerechnet dieser Pleitier verführte Hilmar Kopper, den damaligen Chef der Deutschen Bank, zu einem fatalen Satz, der nur der Anfang einer langen Reihe von fatalen Fehlern weiterer Deutsche-Bank-Chefs war. Die Rechnungen der Handwerker, die nach der Schneider-Pleite um ihr Geld fürchteten, werde die Deutsche Bank übernehmen, sagte Kopper gönnerhaft. Die Beträge, um die es gehe, lägen doch weit unter 50 Millionen Euro. "Wir reden hier eigentlich von Peanuts." Ein Satz für die Ewigkeit. Kopper hatte damit der Öffentlichkeit einen Beleg für die scheinbar unerreichte Arroganz der Deutsch-Banker geliefert. Das Peanuts-Wort, zu dem ihn ein Hochstapler verleitet hat, bei dem nicht einmal die Haare echt waren, wird ihn bis zu seinem Lebensende verfolgen, die Bank wahrscheinlich noch länger.

Jürgen Schneider war ein Bau-Verrückter. Der Sohn eines Bauunternehmers aus Frankfurt, der sich mit seinem Vater überworfen hatte, gründete eigene Firmen und spezialisierte sich auf die Sanierung von Baudenkmälern. Das wurde zu seiner Leidenschaft, die er vor allem in Leipzig auslebte, wo er die Mädler-Passage sanierte, ein historisches Einkaufszentrum mit Wurzeln im 16. Jahrhundert, und den berühmten Barthels-Hof, einen Vorläufer des Leipziger Messegeländes. "Ich wollte mich darstellen mit Projekten, die das Stadtbild prägten, um mir hinterher sagen zu können: Guck mal, das hast du geschaffen." Das war, so sieht er es selbst, sein Motiv. Für sich selbst und Ehefrau Claudia kaufte er in dem reichen Taunusstädtchen Königstein passenderweise ein altes Schloss mit Türmchen und Erkern.

Seine Sanierungen betrieb der Sanierungsenthusiast scheinbar ohne Rücksicht auf die Kosten. Er musste sich auch nicht beschränken. Kredite waren für ihn kein Problem. Die Banken warfen dem Baunarren die Darlehen nur so hinterher. Die Rentabilitätsberechnungen seiner Immobilien, die Mieten, die Nutzflächen, die Ertragswerte, waren weitgehend frei erfunden oder gefälscht. Mietverträge wurden getürkt, ganze Geschosse in seinen Prachtbauten waren reine Hirngespinste. Sie existierten nur in den Worten von Jürgen Schneider gegenüber den Banken. Es gab sie nicht einmal auf dem Papier. Aber die Banker haben nicht nach seriösen Berechnungen verlangt. Schneider, der stets mit einem Toupet auftrat, um seine Glatze zu verstecken, der immer braun gebrannt war und mit seinen Worten selbst scheinbar kühle Kreditmanager spielend überzeugte, war den Bankern - allen voran der Deutschen Bank - Sicherheit genug. "Der Trick war, überhöhte Mietflächen anzugeben", verriet er sein simples Rezept. Er hat die Kreditmenschen einfach beschwatzt: "Die Banken haben mitgemacht."

Als die Sache aufflog, war der Bauherr Schneider erledigt. Aber der Ex-Gefängnisinsasse und Privatmann Schneider tauchte wieder auf. Nachdem er zwei Drittel seiner Strafe verbüßt hatte, kam er frei. Schneider hat gelegentlich als Berater fungiert, aber am wichtigsten waren seine Interviews. Darin machte er sich darüber lustig, wie leicht es ihm die Banker gemacht haben. Besonders ärgerlich muss es für die seriösen Herren in den Frankfurter Banktürmen gewesen sein, dass dieser Schneider ihnen nach seiner Entlassung eine lange Nase zeigte und die Herren des leichten Geldes nach der großen Finanzkrise von 2008 selbst am liebsten im Gefängnis sehen würde. Die seien mit ihren Finanzpraktiken schuld an der großen Krise. "Für Banker müssen endlich auch Strafgesetze geschaffen werden", wetterte er im Klatschblatt Bunte. Süffisant sagte er: "Gegen das, was sich die Banken heute erlauben, ist mein Fall doch Peanuts."

Schneider hat mit seinem windigen Geschäftsgebaren den Bankern die Maske vom Gesicht gerissen und vorgeführt, wie deren Geschäft funktioniert: Wer großspurig auftritt, hat es leichter, wenn es um Kredite geht. Mit gehöriger Zufriedenheit erklärt Schneider, warum er sein Schloss in Kronberg im Taunus gebraucht hat, also dort, wo die Frankfurter Banker vorzugsweise ihre Villen haben. Damit wollte er er seine Kreditgeber beeindrucken: "Das habe ich gebraucht, um bei den Bankern anzugeben."

Der Richter am Frankfurter Landgericht, der Jürgen Schneider vor 20 Jahren ins Gefängnis schickte, hat damals in seiner Urteilsbegründung Worte gesagt, die nicht nur im Gerichtssaal relevant waren. Sie würden sich auch für Studenten in einer Vorlesung in praktischer Bankbetriebslehre eignen. Die Banken, so Richter Heinrich Gehrke, treffe an dem Finanzdesaster des Jürgen Schneider "eine besonders hervorzuhebende erhebliche Mitverantwortung, im Einzelfall auch ein Mitverschulden". Sie hätten mit "schier unglaublichem Leichtsinn" dem vermuteten Großinvestor die Tür eingerannt. Allenfalls der Hauptmann von Köpenick habe auf ähnliche Weise erkannt, "dass in unserer Gesellschaft im Allgemeinen und bei den Banken im Besonderen Schein vor Sein geht". Ein klares Urteil.

© SZ vom 22.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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