US-Bank:JP Morgan überwacht Banker mit Algorithmen

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  • Manipulierte Zinsen, minderwertige Kredite: Skandale aus den eigenen Reihen kosten Großbanken Milliarden und ihr Ansehen.
  • Die Investmentbank JP will Mitarbeiter nun mithilfe von Algorithmen überwachen lassen, um Fehlverhalten zu verhindern.
  • Ergeben sich auffällige Muster, schlägt das Verfahren Alarm.

Von Harald Freiberger, Frankfurt

Das Wort "Algorithmus" ist Bankern und Börsianern vertraut. Ein großer Teil des Börsenhandels läuft mittlerweile über Computerprogramme, die Kurse auf Auffälligkeiten untersuchen und dann binnen Millisekunden kaufen und verkaufen. Die Sache ist nicht unumstritten, da Algorithmen Kettenreaktionen auslösen können. Mancher Crash wurde auf diese Weise verursacht oder verstärkt.

Nun taucht das Wort "Algorithmus" in einem anderen Zusammenhang in der Finanzwelt auf: Die US-Investmentbank JP Morgan Chase will einen Algorithmus nutzen, um Fehlverhalten von Mitarbeitern auf die Schliche zu kommen. Sie sammelt Daten unterschiedlichster Art und kombiniert diese so, dass zweifelhaftes Verhalten in einer Art Frühwarnsystem aufgedeckt werden soll. Im Idealfall sollen Mitarbeiter, die gegen Regeln verstoßen, identifiziert werden, noch bevor sie der Bank oder Kunden schaden können.

Rechtsstreitigkeiten kosten Milliarden

Der Vorgang, über den die Nachrichtenagentur Bloomberg als erste berichtete, sorgt in der Investmentbanking-Branche für Aufsehen. Schließlich waren amerikanische und europäische Großbanken in den vergangenen Jahren in zahlreiche Skandale verwickelt. Sie manipulierten Zinsen und Währungen zu ihren eigenen Gunsten, sie zogen Kunden mit minderwertigen US-Immobilienkrediten über den Tisch. Und etliche Male verzockten Händler auch das Geld der eigenen Bank.

JP Morgan, Amerikas größte Investmentbank, war bei vielen dieser illegalen Praktiken dabei. Die Kosten für Rechtsstreitigkeiten beliefen sich in den letzten Jahren auf immense 36 Milliarden Dollar (33,5 Milliarden Euro). JP-Morgan-Chef Jamie Dimon, mit 20 Millionen Dollar Einkommen im vergangenen Jahr einer der bestbezahlten Banker der Wall Street, greift nun zu einem drastischen Mittel. Er will seine Mitarbeiter künftig per Algorithmus besser überwachen. Dazu werden Daten aus unterschiedlichen Bereichen gesammelt, zum Beispiel, ob ein Börsenhändler bestimmte Risikogrenzen überreizt, ob er gegen Handelsregeln verstößt oder ein Seminar über Verhaltensregeln schwänzt. Der Algorithmus kombiniert diese Daten und schlägt Alarm, wenn sich aus dem Verhalten eines Mitarbeiters ein bestimmtes Muster ergibt.

Ziel sind Verhaltensprognosen

"Es ist sehr schwierig für einen Vorgesetzten, aus Hunderten von Daten bestimmte Themen zu erkennen, die sich für einen Händlertisch ergeben", sagte Sally Dewar zu Bloomberg; sie leitet die Rechtsabteilung von JP Morgan in Europa. Die Idee sei es, anhand der Daten Vorhersagen über bestimmte Verhaltensmuster zu treffen.

Das Softwareprogramm wurde in den Handelsräumen von JP Morgan bereits getestet. Im nächsten Jahr soll es auch in den Investmentbanking-Bereichen und in der Vermögensverwaltung angewandt werden. Das Experiment dürfte bei anderen Investmentbanken stark beachtet werden. Denn viele, auch die Deutsche Bank, wollen ihre Mitarbeiter zu einem Kulturwandel anstiften. Wenn diese wissen, dass sie von Algorithmen überwacht werden, könnte dies zweifelhaftes Verhalten von vorneherein eindämmen.

Mit der stärkeren Überwachung seiner Mitarbeiter reagiert JP Morgan auch auf Kritiker in den USA, die monieren, Großbanken täten zu wenig, um Missbrauch und Betrug künftig zu verhindern. Politiker drohen damit, das Investmentbanking künftig noch stärker vom Privatkundengeschäft zu trennen - so wie dies in den USA früher schon der Fall war.

Zentrale von JP Morgan in New York: Die größte amerikanische Investmentbank war bei fast allen Skandalen der vergangenen Jahre dabei. (Foto: Emmanuel Dunand/AFP)

JP Morgan hat in den vergangenen drei Jahren 2500 Mitarbeiter eingestellt, die sich ausschließlich um die Einhaltung von Verhaltensregeln kümmern. Die Bank hat zudem 730 Millionen Dollar ausgegeben, um die Prozesse zu verbessern. Stellenausschreibungen von JP Morgan zeigen, dass die Bank vermehrt Mitarbeiter sucht, die sich mit moderner Kommunikation per Internet und Smartphone auskennen. Vermutlich geht es auch darum, E-Mails, Chats und Telefonate zu überwachen. Das ist aus der Terrorismus-Bekämpfung bekannt, wo E-Mails und Anrufe auf bestimmte Wörter hin untersucht werden.

Der E-Mail-Verkehr von Großbanken war ein wichtiges Beweismittel im Skandal um manipulierte Zinssätze wie dem Libor. Dabei verabredeten sich Händler einzelner Banken, die für die Feststellung des Zinses zuständig waren, diesen in eine bestimmte Richtung zu manipulieren, von der die Bank dann profitierte. Die Aufsichtsbehörden haben mehrere Banken, auch JP Morgen, deswegen zu Milliarden-Strafen verurteilt. Außerdem war JP Morgen in die Manipulation von Devisenkursen verwickelt. Und schließlich verzockte ihr Händler Bruno Iksil, genannt "der Wal von London", mit riskanten Wetten auf Derivate in London allein 6,2 Milliarden Dollar.

Mitarbeiter können anonym Verdächtiges melden

Die Methode, mit Algorithmen menschliches Fehlverhalten vorherzusehen, erinnert an den US-Science-Fiction-Film "Minority Report" von 2002, in dem Tom Cruise als Polizist mit Hilfe von Datenüberwachung Verdächtige jagt, noch bevor diese ein Verbrechen begehen können. Die Überwachung von Bankern mit solchen Mitteln wirft aber auch eine Reihe von Datenschutzfragen auf. Eine davon ist, ob man jemanden überhaupt für etwas zur Rechenschaft ziehen kann, das er noch gar nicht getan hat. Man werde beim Sammeln der Daten vorsichtig vorgehen, sagte die JP-Morgan-Verantwortliche Dewar. Die Bank wollte nicht detailliert dazu Stellung nehmen, welche Daten sie genau erhebt und in welchen Bereichen ihre Mitarbeiter auf welche Weise überwacht werden.

Schon im Februar schaltete JP Morgen einen E-Mail-Account frei, in dem Mitarbeiter anonym Verdächtiges melden können. Der Organisations-Chef ermahnte Angestellte, die Verhaltensregeln einzuhalten und erinnerte daran, dass Skandale Boni für jeden mindern. 300 Führungskräfte bekamen ein Sondertraining, um besonders gefährdete Bereiche zu identifizieren. Dewar gibt jedoch zu, dass sich Betrug niemals ganz ausschließen lässt: "Wir haben nun größeres Vertrauen in Früherkennung", sagte sie. "Aber ich denke, es wird niemals 100-prozentige Sicherheit geben."

© SZ vom 10.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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