Johannes Huth:"Wir brauchen eine gerechtere Verteilung"

Der Europachef der Beteiligungsgesellschaft KKR sieht das drängendste Problem in der Kluft zwischen Arm und Reich. Er begründet ganz analytisch, warum die Finanzeliten jetzt umdenken.

Interview von Andrea Rexer

Leute wie ihn hat der SPD-Politiker Franz Müntefering gemeint, als er einst von "Heuschrecken" sprach. Johannes Huth ist zwar Europachef der bedeutsamsten Beteiligungsgesellschaft KKR, erfüllt aber keines der Klischees seines Berufs. Weder hat Huth teure Hobbys (er ist passionierter Rennradfahrer), noch tritt er polternd auf. Im Gegenteil: Mit leiser, aber bestimmter Stimme, fordert er eine Umverteilung zwischen Arm und Reich. Das ist für den in London lebenden Deutschen die Hauptlehre aus dem Brexit-Votum.

SZ: Herr Hutz, Sie sind Chelsea-Fan, zugleich ist KKR beim Berliner Fußballverein Hertha BSC investiert. Sind die Spiele für Sie eine dienstliche Pflicht?

Johannes Huth: (lacht) Das klingt ja, als ob es eine Qual wäre, die Spiele zu schauen. Aber das stimmt nicht. Ich freue mich sehr über den sportlichen Erfolg von Hertha. Auch wenn wir als Investor darauf keinen Einfluss haben.

Das Investment in Hertha hat damals viele verwundert, es ist nicht gerade typisch für eine Beteiligungsgesellschaft wie KKR. War es ein Liebhaber-Investment?

Nein, wir investieren nie in Liebhabereien. Wir müssen schon auf die Zahlen schauen. Bei Hertha haben wir gehofft, dass die Fernsehrechte höher bewertet werden. Die Rechnung ist aufgegangen. Wir sind mit der Investition sehr zufrieden.

Noch vor ein paar Jahren hatte Ihre Branche ein Imageproblem. Das Wort "Heuschrecken" hört man inzwischen kaum noch. Weil es kaum noch Deals gibt?

In der Tat ist das Volumen der gesamten Branche deutlich gesunken. Wir sind in einem zyklischen Geschäft und der Zyklus ist aktuell am Boden. Ein Grund ist die Niedrigzinspolitik der Notenbanken: Sie treibt die Preise für sämtliche Investitionen in die Höhe. Hinzu kommt, dass die Unternehmen große Transaktionen selbst finanzieren können, weil Geld noch nie so billig war. Manche Konzerne bekommen ja sogar noch Geld hinterhergeworfen, wenn sie Kredite aufnehmen wollen. Das ist absurd.

Wie reagieren Sie darauf?

Unsere Branche verändert sich stark und wir versuchen, an der Spitze des Wandels zu sein. Wir haben unser Angebot stark verbreitert: Neben dem klassischen Beteiligungsgeschäft sind wir im Wachstumsgeschäft, Immobiliengeschäft, im Kreditbereich und bei Infrastrukturprojekten aktiv. Das breitere Wissen schafft Synergien.

Sie sind inzwischen so etwas wie der Grüne Punkt der Banken: Sie recyceln Portfolios von Banken, sie kaufen deren Immobilien- und Schiffskredite.

(lacht) Der Grüne Punkt war damals wirklich eine gute Investition für die Investoren in KKR Fonds. Und zu heute: Wir versuchen den Banken zu helfen, ihre Kreditbücher zu verbessern, denn das hält sie ab, neue Kredite zu vergeben. Es gibt auch andere Wettbewerber, die Portfolios einfach abkaufen. Wir haben einen anderen Ansatz, wir versuchen durch Kapital und Know-how den Gegenwert der Darlehen zu verbessern.

Ganz selbstlos?

Nein, wir wollen natürlich Gewinn machen. Aber nicht, indem wir zuerst den Preis drücken, um es hinterher gewinnbringend zu veräußern, sondern wir versuchen, Mehrwert zu schaffen.

Wie?

Wir schauen uns die einzelnen Kredite an und arbeiten daran, dass die Kreditnehmer wieder auf die Beine kommen. Dadurch steigt der Wert des Kredits wieder an. Das lohnt sich.

Sie blicken dabei tief in die Bücher der Banken. Wie marode ist das europäische Bankensystem? Durch die Spekulationen um die Deutsche Bank in den vergangenen Wochen kam ja die Angst vor einer neuen Finanzkrise auf.

Hertha BSC - Fankurve beim Spiel gegen den Hamburger SV

Hertha BSC erhält 125 Millionen Euro von Lars Windhorst.

(Foto: Maurizio Gambarini/dpa)

Wir glauben, die Deutsche Bank ist solide. KKR arbeitet seit 30 Jahren mit der Bank zusammen. Die Aufregung um die Deutsche Bank halten wir für übertrieben. Sie ist wesentlich robuster als 2008. Das Management hatte acht Jahre Zeit, das Portfolio zu verbessern. Und das haben sie zu einem Großteil auch gemacht. Die Bankenlandschaft hat sich verändert, aber die Banken sind nicht risikoreicher geworden. Sie sind langweiliger geworden. Die Renditen sind nicht mehr so gut wie früher. Das ist das Kernproblem.

Sie glauben also nicht, dass der Sturz einer so großen Bank wie etwa der Deutschen Bank eine weltweite Krise auslösen würde? Immerhin hat sie der Internationale Währungsfonds als eine der gefährlichsten Banken der Welt bezeichnet.

Ich glaube, wir sind in einer komplett anderen Situation als 2008. Damals wusste man nicht genau, wo die Risiken liegen. Heute gibt es viel mehr Transparenz. Die Europäische Zentralbank hat schon einige genaue Überprüfungen der Bücher der Banken vorgenommen. Wir sind nicht in einem Lehman-Szenario, die Situation ist völlig anders.

Würden Sie denn derzeit in eine Bank investieren?

Banken werden auch in Zukunft keine hohen Erträge erwirtschaften.

Und damit sind sie für Sie raus.

Naja, das ist für uns nicht wirklich ein Investmentfokus. Wir suchen Wachstumsopportunitäten.

Da lockt die Welt der Start-ups schon eher, oder? Allerdings haben Sie bereits viele attraktive Investitionsmöglichkeiten ausgelassen: Facebook, Uber, Airbnb...

Die Renditen sind nur dann traumhaft, wenn man zufällig die Richtigen erwischt. Für ein gutes Investment muss man 100 schlechte in Kauf nehmen. Unter dem Strich sind die Renditen nicht so stark wie im Private Equity Geschäft. Dennoch haben wir einen Fonds gegründet, der in Wachstumsunternehmen investiert. Wir investieren auch, um zu lernen und um Einblick in künftige Trends zu bekommen. Wir wollen verstehen, welche Herausforderungen auf bestehende Unternehmen zukommen. Das wenden wir dann bei unseren Portfoliounternehmen an.

Die Zukunft gehört also den Etablierten - nicht den Newcomern?

Es wird in einigen Branchen fundamentale Umwälzungen geben. Aber die werden von vielen traditionellen Unternehmen angenommen und umgesetzt. Als wir etwa in Pro Sieben Sat1 investiert haben, war es eine reine Fernsehgesellschaft, inzwischen ist es ein Digitalunternehmen. Große Unternehmen haben eine breite Basis, auf der sie aufsetzen können, das ist ein enormer Vorteil gegenüber Start-ups.

Sie wollen jedenfalls kein Wagniskapitalfonds werden.

Der größte Venture-Capital-Fonds verwaltet etwa fünf Milliarden Dollar, wir verwalten etwa 135 Milliarden Dollar. Da passen die Größenverhältnisse nicht. Es gibt gar nicht so viele Investitionsmöglichkeiten in dem Bereich.

Investieren Sie noch gern in Europa?

Wir sind aktuell vorsichtig bei Investitionen in Europa. Die politische Unsicherheit ist enorm hoch: Das Referendum in Italien, Wahlen in den Niederlanden, in Frankreich und in Deutschland stehen an und in Spanien gibt es keine gewählte Regierung. Hinzu kommt der Brexit.

Johannes Huth scheidender Vorsitzender des Aufsichtsrats der ProSiebenSat1 Media AG Hauptversamm

"Wir sind nicht in einem Lehman-Szenario", sagt KKR-Europachef Johannes Huth.

(Foto: Stephan Görlich/Imago)

Sie leben als Deutscher in London. Denken Sie über einen Umzug nach?

Ich habe mich sehr aktiv für die Remain-Kampagne eingesetzt. Ich bin sehr enttäuscht über den Ausgang des Referendums. Ich glaube nicht, dass der Brexit noch mal revidiert wird. Das ist schade, aber das müssen wir akzeptieren.

Wie klug ist es von der britischen Premierministerin, auf einen harten Ausstieg zu setzen?

Ein softer Ausstieg wäre mir lieber, aber er scheint leider unrealistisch. Die Londoner Finanzindustrie hofft natürlich, dass der Zugang zum EU-Finanzmarkt über den sogenannten "Passport" erhalten bleibt. KKR ist schon jetzt breit in Europa aufgestellt. Eine große Niederlassung haben wir etwa in Dublin, die Hälfte unserer Fonds ist bereits dort. Insofern ist Irland für uns eine Alternative. Noch größere Sorge allerdings macht mir, dass die Briten künftig nicht mehr bei der Finanzmarktregulierung in Brüssel mitsprechen können. Das wird negative Auswirkungen auf die ganze Branche haben, schließlich waren die Briten die liberale Stimme Europas.

Manche glauben, dass die Finanzwelt in London am Ende sogar besser dastehen wird, weil sich London zur Steueroase entwickeln könnte.

Das glaube ich nicht, London wird keine Steueroase. Theresa May hat genau erkannt, dass die Menschen für den Brexit gestimmt haben, weil sie sich wirtschaftlich abgehängt fühlen. Nie war die Kluft zwischen der Bevölkerung und der Finanzelite so sichtbar wie jetzt. Steuererleichterungen für die Finanzindustrie sind politisch weder durchsetzbar noch sinnvoll.

Verstehen Sie, warum die Menschen für den Brexit gestimmt haben?

Im ersten Moment war ich völlig perplex, aber wenn man auf die Wirtschaftsdaten schaut, wird es verständlich. Manche Landstriche in Großbritannien haben vom Wachstum der vergangenen Jahre überhaupt nicht profitiert, sie sind sogar hinter das Niveau von 2007 zurückgefallen, während London deutlich hinzugewonnen hat. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist das fundamentalste Problem Europas - denn das ist nicht nur in Großbritannien so, sondern zeigt sich in Deutschland und Frankreich ebenso. Ich habe Sorge, dass der Populismus Überhand nimmt.

Hätte man in den vergangenen Jahren mehr umverteilen müssen?

Man war sich des Problems nicht bewusst. Das ist jetzt anders. Wir brauchen eine gerechtere Verteilung. Das ist die große Aufgabe der Politik.

Sie schieben die Verantwortung auf die Politik.

Die Rahmenbedingungen setzt die Politik.

Wären Sie persönlich bereit, mehr Steuern zu zahlen?

Mein Beitrag allein würde da nicht ausreichen, dafür ist das Problem zu groß.

Also nein?

Klar ist, dass wir eine Lösung brauchen, auch wenn es Jahre dauern wird. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass diese Erkenntnis bei den Eliten angekommen ist.

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