Jede Menge Ärger für die Bahn:173.000 Mitarbeiter in der Spitzel-Falle

"Rasterfahndung", "Abgründe", "Skandal": Mit heftigen Worten geißelt die Politik die neuen Spitzel-Geständnisse der Bahn. Innerhalb von zwei Jahren wurden 173.000 Mitarbeiter überwacht - bislang war von 1000 Betroffenen die Rede.

Die Datenschutzaffäre bei der Deutschen Bahn hat weit größere Ausmaße als bisher bekannt. Innerhalb von nur zwei Jahren hat der Konzern heimlich 173.000 der damals gut 240.000 Mitarbeiter heimlich und ohne die entsprechenden Personen zu informieren bespitzelt. Das sagte der Bahn-Antikorruptionsbeauftragte Wolfgang Schaupensteiner nach Angaben von Teilnehmern im Verkehrsausschuss des Bundestages.

Bespitzelung Deutsche Bahn hat heimlich Mitarbeiter ausgespäht AP

173.000 Mitarbeiter wurden ohne deren Wissen mit einem Datenabgleich überprüft. Insgesamt arbeiten rund 240.000 Mitarbeiter bei der Deutschen Bahn.

(Foto: Foto: AP)

Damit bekommt der Fall eine ganz neue Dimension, denn bislang war nur von etwa 1000 Führungskräften die Rede, die der Konzern beobachtet haben soll. Fast drei Viertel der Beschäftigten waren somit betroffen. Daten wie Wohnadressen, Telefonnummern und Bankverbindungen seien mit jenen von 80.000 Firmen abgeglichen worden, zu denen die Bahn Geschäftsbeziehungen hatte.

Der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix sagte Teilnehmern zufolge im Ausschuss, die Bahn müsse wegen Verstößen gegen Datenschutzbestimmungen in mindestens zwei Fällen mit Geldbußen von 250.000 Euro rechnen. Die Mitarbeiter seien ohne konkreten Verdacht überprüft und auch im Nachhinein nicht informiert worden. Die Überprüfungen hatten nach Dix' Worten den Charakter einer Rasterfahndung.

Bei den 173.000 Überprüfungen seien laut Schaupensteiner 300 Auffälligkeiten entdeckt worden, hieß es aus dem Verkehrsausschuss. In etwa 100 Fällen hätten sich tatsächlich Hinweise auf Korruption ergeben. Von den Führungskräften seien 774 kontrolliert worden sowie etwa 500 Ehepartner. Dabei habe es 12 Treffer gegeben, also Verdachtsmomente auf Korruption.

Durch alle Parteien ging ein Aufschrei der Empörung. SPD, FDP und Grüne zeigten sich bestürzt über die Dimension des Aktionen. Die Bahn habe ihre Mitarbeiter unter einen Generalverdacht gestellt, kritisierten Abgeordnete von SPD und Grünen. Der SPD-Verkehrsexperte Uwe Beckmeyer sagte, die genannte Zahl an Überprüfungen sei unglaublich. Offensichtlich sei jeder Inlandsmitarbeiter in den Datenabgleich einbezogen worden. Beckmeyer sprach von "Abgründen".

Für die Grünen stellten die Verkehrsexperten Winfried Hermann und Anton Hofreiter fest: "Mit dieser heimlichen Ausspähung in großem Stile stellt die Bahn AG alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen unter Generalverdacht und verstößt massiv gegen deren schutzwürdige Interessen."

Empörte Politiker

Die FDP sprach nach der Sitzung von einem "Skandal mit völlig neuen Dimensionen". Der Abgeordnete Horst Friedrich wies darauf hin, dass es keine Betriebsvereinbarung oder Ähnliches gegeben habe, die als Rechtsgrundlage für eine "solche Rasterfahndung" hätte dienen können. "Die Überprüfung fast der gesamten Konzernbelegschaft mit Korruptionsbekämpfung zu begründen, ist absurd. Der Großteil aller Bahnbeschäftigen hat mit Einkäufen und Auftragsvergaben überhaupt nichts zu tun", sagte Friedrich.

Der verkehrspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Dirk Fischer (CDU), sagte, grundsätzlich könne es nicht sein, dass der richtige und notwendige Kampf gegen Korruption "zur allgemeinen Ausspähung missbraucht werden kann, ohne dass die Betroffenen zeitnah informiert werden". Zum konkreten Fall wolle er noch keine endgültigen Schlussfolgerungen ziehen, da der Ausschuss über das Thema noch nicht abschließend beraten habe.

Der Verkehrsausschuss des Parlaments will seine Befragung am 11. Februar fortsetzen und dazu auch die Leiter der Konzernrevision und der Konzernsicherheit einladen.

Die Affäre reicht zurück bis zum Sommer 2008. Damals hatte die Bahn eingeräumt, der Berliner Ermittlungsfirma Network Deutschland in den Jahren 1998 bis 2007 in 43 Fällen Aufträge erteilt zu haben. Network stand damals im Mittelpunkt des Bespitzelungsskandals bei der Deutschen Telekom. Recherchen des Magazins Stern ergaben vor einer Woche, dass mindestens 1000 Bahn-Führungskräfte von Kontrollen betroffen waren.

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