Japanischer Onlinehändler Rakuten:Wie Amazon in nett

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In Japan hat Hiroshi Mikitani mit dem Internetkonzern Rakuten schon für kräftig Wirbel gesorgt. Nun will er weltweit expandieren - und in fünf Jahren an den Rivalen Ebay und Amazon vorbeiziehen. Sein Konzept: Emotionen, Seminare für die Händler und Geschichten über Fleischspießchen.

Von Sophie Crocoll, Bamberg, und Christoph Neidhart, Tokio

Im neuen Japan putzt der Chef sein Büro selbst. Hiroshi Mikitani wischt dann den Schreibtisch ab und Regale aus, er poliert die Stuhlbeine. Einer, der vormacht, was er von seinen Mitarbeitern verlangt. So beschreibt sich Mikitani gern. Seinen Mitarbeitern hat er den Putzdienst in ihr Handbuch geschrieben: Damit sie am Boden bleiben, sagt er.

Hiroshi Mikitani, Gründer und Chef des japanischen Internetkonzerns Rakuten, hat sich aufgemacht, die Unternehmenskultur in Japan zu verändern - und die japanische Gesellschaft gleich mit. Doch da endet sein Ehrgeiz nicht: "Wir wollen der führende Online-Händler werden", sagt er. Rakuten soll in fünf Jahren an mächtigen Wettbewerbern wie Ebay und Amazon vorbeiziehen. Zum Vergleich: Die Japaner setzten in den ersten drei Monaten dieses Jahres umgerechnet etwa 1,1 Milliarden US-Dollar um, Amazon 16,1 Milliarden. Allein in Deutschland nahm der US-Konzern im vergangenen Jahr fast neun Milliarden Dollar ein.

Mikitani erzählt Geschichten von Eiern, Reis und Fleischspießen

Um das zu ändern, ist Mikitani an einem Samstag im Mai nach Bamberg gekommen. Japanischer Marktführer ist das Unternehmen längst, nun will er Rakuten weltweit bekannt machen. Mikitani empfängt Händler, die in Deutschland über seine Plattform verkaufen. Er steht auf der Bühne, ohne Krawatte und mit einem lässigen beigen Sakko, die meisten Zuhörer haben sich förmlicher gekleidet für den Gast aus Japan.

Mikitani erzählt die Geschichte eines japanischen Bauern, der Ende der Neunzigerjahre zu ihm kam und ihn bat, für ihn den Verkauf seiner Eier über die Internetplattform zu organisieren. Das erschien selbst Mikitani ungewöhnlich. Heute verkaufe der Bauer nur noch im Netz und nur an Privatkunden, die bezahlten für die Bioeier ein Mehrfaches von dem, was Eier im Supermarkt kosten. Der Bauer verdiene fast 400.000 Euro - im Monat. Dank Rakuten. Das sagt Mikitani nicht. Aber er erzählt viele Geschichten, die das verdeutlichen; sie handeln von Eiern, von Reis und von Fleischspießen, Produkten, die man in Deutschland nicht unbedingt mit erfolgreichem Onlinehandel in Verbindung bringen würde. Es ist das, was der Rakuten-Chef an diesem Tag den versammelten Händlern sagt: Internetshopping heißt, Geschichten zu erzählen. Emotionaler Onlinehandel, das sei die Zukunft.

Für Mikitani bedeutet das: Rakuten konzentriert sich nicht auf Produkte, verkauft also nicht selbst Spielzeug oder Pullover. Stattdessen bietet das Unternehmen gegen Gebühr die Ware von Dritten an. Die bekommen einen Berater zur Seite gestellt und können Seminare an einer eigenen Rakuten-Akademie besuchen. Und, wieder ein Unterschied zu Amazon, die Händler dürfen nicht nur direkt mit dem Kunden in Kontakt treten - sie sollen es unbedingt. "Wir können nicht warten, bis die Konsumenten zu uns kommen. Wir müssen die Verbindung mit ihnen suchen", sagt Mikitani. Nur so kämen die Kunden wieder. Und: Verkaufen die Händler mehr, nimmt auch Rakuten mehr Geld ein.

Mikitani gab einen sicheren Job bei der Industriebank Japans auf, um 1997 Rakuten als Online-Einkaufszentrum zu gründen. Drei Jahre später brachte er das Unternehmen an die Börse. Inzwischen können Kunden über Rakuten auch Hotelzimmer reservieren, eine Eheberatung in Anspruch nehmen, eine Versicherung abschließen und ihr Wertpapierdepot führen; außerdem bietet das Unternehmen Kreditkarten an und verleiht Geld - das Kunden dann wieder für Onlinekäufe ausgeben können. Mit all diesen Diensten verdient Rakuten Geld, sie dienen aber vor allem dazu, neue Kunden für den Internethandel zu gewinnen.

In Japan verbucht Rakuten ein Drittel aller Bestellungen im Netz. Noch ist das Land das Zentrum des Unternehmens; auch in der Broschüre, die den Konzern vorstellt, liegt Japan in der Mitte der Weltkarte. Je bekannter sein Unternehmen im Land wurde, desto bekannter wurde auch Mikitani: 2010 verdonnerte er alle Mitarbeiter dazu, Englisch zu lernen - in ihrer Freizeit und zum Teil auf eigene Kosten. Wer die Sprache nicht innerhalb von zwei Jahren sprechen könne, dessen Position werde überprüft, so lautete die Vorgabe.

Mikitani selbst hat in den USA an der renommierten Harvard-Universität studiert, sein Englisch ist gut verständlich, aber nicht perfekt. Inzwischen hat er seine Erwartungen etwas abgemildert. Die Idee dahinter verteidigt er dagegen noch immer: Japanische Firmen konzentrierten ihre Geschäfte zu stark auf das eigene Land, das zeige sich auch an den Sprachkenntnissen ihrer Mitarbeiter. In einer globalisierten Welt führe solch eine Engstirnigkeit langfristig in den Ruin.

Vor zwei Jahren hat Mikitani außerdem den angesehenen japanischen Unternehmerverband Keidanren verlassen. Der vertrete allein das alte Japan, kümmere sich nur um das Wohl der großen Firmen. Da könne sich Rakuten nicht einfügen. So hat es Mikitani zu einem der Vorzeige-Außenseiter der japanischen Wirtschaft gebracht: Mit seinem Auftreten fällt er in Japan auf und eckt an. Er distanziert sich von einem Establishment, das ihn ohnehin ablehnt. Gleichzeitig darf Mikitani dem neuen japanischen Premier Shinzo Abe Vorschläge machen; der wiederum gilt als Mann des Unternehmensverbands Keidanren.

Und der Rakuten-Chef hat ein eigenes Baseball-Team geschaffen, die Golden Eagles. Baseball ist in Japan die beliebteste Sportart. Es gibt kaum eine eindeutigere Geste eines aufsteigenden Unternehmers, dass er zum Establishment gehören möchte. Gerade hat die Mannschaft sechs Spiele in Folge gewonnen. Es ist Werbung, wie Mikitani sie sich vorstellt. Werbung, die Rakuten noch bekannter macht.

"Aggressive Marketingstrategie"

Auch außerhalb von Japan sollen die Menschen direkt bei Rakuten einkaufen, statt zufällig beim Suchen auf die Seite zu gelangen. "Wir brauchen in vielen Ländern eine aggressive Marketingstrategie ", sagt Mikitani. "Und wir wollen auch in Deutschland aggressiver wachsen, mehr in Wachstum investieren." Noch in diesem Jahr werde Rakuten ein Logistikzentrum in Deutschland eröffnen, kündigt er an: "Beim Internetshopping musst du sortieren und packen und verschicken." Das heiße allerdings nicht, Geld zu verbrennen. Ein Seitenhieb auf Amazon, das Gewinne derzeit Marktanteilen opfert.

Von der Kritik an den Arbeitsbedingungen in einzelnen Logistikzentren bei Amazon in Deutschland hat Rakuten bislang nicht profitiert. Mikitani hat für sich ohnehin längst eine Strategie im Umgang mit dem großen Konkurrenten entwickelt: "Der Feind meines Feindes ist mein Freund." Sagt er und lacht. Wo Amazon die Wut vieler Buchläden auf sich gezogen hat, geht Rakuten eine Partnerschaft mit den Geschäften ein, was das Unternehmen nicht davon abhält, für das eigene Lesegerät Kobo digitale Bücher anzubieten.

Über das spanische Start-up Wuaki, das Rakuten übernommen hat, ist Mikitani außerdem eine Kooperation mit Samsung eingegangen, das mit seinen Tablet-Computern wiederum im Wettbewerb mit Amazon steht. Wer in Spanien einen Samsung-Fernseher kauft, findet auf dem Gerät auch die Online-Videothek Wuaki. Das Geschäft mit den Inhalten, mit E-Books und Filmen, soll für Rakuten zum einträglichen Geschäft werden - und Kunden auch zu anderen Angeboten locken. Ein bisschen Amazon also doch.

© SZ vom 15.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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