Japan:Von der alten Schule

A man walks past an advertising poster at the head office of Japan Post in Tokyo

Werbung für den Börsengang der Post in Tokio: Es ist die größte Aktienemission in Japan seit der des Telekomkonzerns NTT im Jahr 1987.

(Foto: Thomas Peter/Reuters)

Japan bringt Teile der Post an die Börse und will zehn Milliarden Euro einnehmen - doch die Ineffizienz bleibt.

Von Christoph Neidhart, Tokio

In Japan hat selbst das kleinste Dorf bis heute eine eigene Post, manche kaum größer als ein Kiosk. Winzige Poststellen gibt es auch in Städten, oft nur einige Gehminuten von einem großen Postamt. Sie sind geblieben, weil jedem kleinen Stadtkreis eine eigene Post zusteht. Gemeinsam ist der kleinen Provinzpost und der Schalterhalle in der Großstadt das Tempo. Man muss erst mal warten, fast immer. Und man bekommt den Eindruck, der Betrieb sei eher überbesetzt. Wie in jedem japanischen Büro sitzen Angestellte dicht gedrängt an winzigen, mit Papierstapeln überfrachteten Schreibtischen. Die Elektronik scheint das Papier hier noch nicht verdrängt zu haben.

Aber es ist alles freundlich, hilfsbereit, sorgfältig und bedächtig. "Japan Post" ist eine Post alter Schule, ein para-staatlicher Dienstleister, kein Profit-optimiertes Wirtschaftsunternehmen. Heute allerdings hat die japanische Regierung die Post, die Postbank und deren Versicherung an die Börse gebracht - für 10,5 Milliarden Euro. Es ist der größte Börsengang Japans seit fast zwei Jahrzehnten und weltweit der größte in diesem Jahr. An ihrem ersten Tag an der Tokioter Börse schloss die Aktie 25,7 Prozent im Plus.

Das Geld soll in den Aufbau nach Fukushima fließen

Für die Post, wie Japan sie kennt, werde sich nichts ändern, heißt es. Die Nachfrage sei trotzdem hoch. Auf dem Papier hat die japanische Regierung bereits seit 2007 drei Bereiche privatisiert: Die Postbank, die als größte Sparkasse der Welt gilt, die Post-Versicherung - zusammen verwalten sie 13 Prozent der japanischen Finanzvermögen - und die Briefpost.

Bis 2007 war die Post mit 400 000 Angestellten Japans größter Arbeitgeber, ein Drittel aller Staatsangestellten waren Postler, etwa 200 000 im Brief- und Paketdienst. Heute sind es noch 197 000 private Angestellte. Um die zu schützen, werden nur Aktien der Postbank und der Lebensversicherung direkt an Anleger abgegeben.

Die Regierung von Premier Shinzo Abe hält den Börsengang für einen wichtigen Beitrag zu ihrem "Abenomics" genannten Konjunkturprogramm. Sie verfolgt mit ihm zwei Ziele. Einerseits sollen die Einkünfte zur Sanierung der Staatskasse beitragen, die mit mehr als 1,05 Billiarden Yen verschuldet ist, umgerechnet etwa 7,8 Billionen Euro - das sind fast 250 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung Japans. Da helfen die Post-Milliarden allerdings bloß symbolisch. Die Regierung hatte angekündigt, die 10,5 Milliarden Euro in den Wiederaufbau nach dem verheerenden Erdbeben und der Atomkatastrophe in Fukushima vor viereinhalb Jahren zu stecken.

Andererseits hofft Abe, die Japaner mit den Medienberichten über einen erfolgreichen Börsengang vermehrt an die Börse zu locken. Japans Kleinsparer, von denen viele ihr Geld den Konten der Postbank liegen haben, fielen bisher an der Börse als Netto-Verkäufer auf. Sie trauen Abenomics nicht.

Post als Bank des Polit-Filzes

"Japan Post" ist die größte Bank der Welt. Heute liegen auf ihren Sparkonten 208 Billionen Yen, etwa 1,55 Billionen Euro, ein Viertel aller Ersparnisse der japanischen Haushalte. Die Lebensversicherung der Post sitzt auf weiteren 87 Billionen Yen (650 Milliarden Euro). Zum Zeitpunkt der formellen Privatisierung 2007 waren die Einlagen noch höher. Dabei zahlt die Post auf Sparguthaben seit 15 Jahren nur Promille-Zinsen. So lange versucht Japans Notenbank schon, mit Null-Zinsen die Konjunktur anzukurbeln. Derweil half die Post der Regierung, ihre hohen Defizite zu finanzieren. Zeitweise hielt sie ein Fünftel aller ausstehenden Staatsanleihen. Überdies gewährte sie Politikern und Parteien großzügig Kredite.

Die Post als Bank des Polit-Filzes - der populäre Premierminister Junichiro Koizumi wollte das kappen. Er möchte "eher umgebracht werden als die Privatisierung der Post aufzugeben", sagte er einmal. Die Gegner der Postreform warf er aus seiner liberaldemokratischen Partei (LDP). "Ich will die alte LDP zerstören und mit einer neuen LDP weitermachen".

Per Privatisierung den Geldhahn zudrehen

In Tokio wurde am Rande des Börsengangs nun gerätselt, ob sie ihre Rolle als Hausbank des notorisch defizitären Staates als börsennotiertes Privatunternehmen, das seinen Aktionären verpflichtet wäre, künftig beibehalten wird. Oder soll die Notenbank noch mehr Staatsanleihen übernehmen, obwohl sie bereits 30 Prozent aller ausstehenden Schulden des Staates hält und den Obligationen-Markt damit eintrocknet? Zur Lösung der Probleme Japans trägt der Börsengang nicht bei.

Ronald Reagan und Margaret Thatcher machten die Privatisierung von Staatsbetrieben zum ersten Gebot der Ökonomie. Nur Privatunternehmen, so ihr Dogma, sind effiziente Betriebe. Staatsbahnen, Airlines, die Gas- und Wasserversorgung sollten verkauft werden, die Telefonie und die Post auch. Der Service werde besser, die Preise fielen. Und so ganz nebenbei konnte der defizitäre Staat sich mit dem Erlös den Haushalt etwas schönen. Für Koizumi spielte diese Argumente keine Rolle. Koizumi wollte vielmehr mit ihrer Privatisierung seiner alten LDP den Geldhahn zudrehen, um sie zu zwingen, die Japaner mit einer vernünftigen Politik zu überzeugen, statt sich auf den Filz und ihre Ersparnisse zu stützen.

Deshalb zerlegte er "Japan Post" in drei Teile. Besonders wichtig war ihm die Trennung der Lebensversicherung von der Sparkasse. Seine Nachfolger hatte es weniger eilig. Seit acht Jahren hält das Finanzministerium alle Aktien der drei Post-Firmen. Verändert hat sich seither wenig. Der Brief- und Paketdienst erhielt neue Uniformen, ein neues Logo und seine eigene Farbe zurück: rot, wie es die Briefkästen immer waren. Das frühere Grün der Postämter ist nur noch die Farbe der Postbank. Aber die Geldautomaten schalten sich weiter um neun Uhr abends ab, in kleinen Filialen sogar früher - und bleiben auch am Sonntag abgeschaltet.

Der Briefträger kommt nachts und sonntags

Andererseits unterhalten größere Postämter für Briefe und Pakete einen 24-Stundenschalter. Der Briefträger bringt Eilbriefe weiterhin bis spät in die Nacht und auch an Sonntagen. Das Porto ist niedrig geblieben, die Post ist schneller als in Deutschland. Auch künftig wird die Post ihre Neujahrskarten auch am ersten, zweiten und dritten Januar austragen, den höchsten Feiertagen Japans.

Der neue Riese an der Tokioter Börse soll jetzt die Aktien-Indizes antreiben. Das Problem: Auch in Japan wächst die Post kaum noch. Statt 4,4 Milliarden Neujahrskarten wie 2003 verschickten die Japaner zum 1. Januar 2015 nur noch drei Milliarden. Es sind zugleich Lotterielose.

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