Japan:Teure Atompolitik

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Japans Premier Shinzo Abe favorisiert die Atomenergie, trotz der Risiken.

(Foto: Kim Kyung-Hoon/dpa)

Die Katastrophe von Fukushima und milliardenschwere Fehlinvestitionen können Japan nicht zum Kurswechsel bewegen. Premierminister Abe hält am Atomstrom fest.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Premier Shinzo Abe kann Japan mit einem Federstrich 200 Millionen Euro sparen. Pro Jahr. Soviel kostet der Unterhalt des Schnellen Brüters Monju, der keine Zwecke mehr erfüllt. Bis Ende des Jahres will der Premier entscheiden. Der Schnelle Brüter, angeblich die Kernenergie der Zukunft, kostete Japan seit 1986 zehn Milliarden Euro. Diese Investition muss Abe auf Null abschreiben. Und für den Rückbau der Anlage in der Präfektur Fukui weitere drei Milliarden Euro bewilligen, wie Japans Atomenergie-Agentur schätzt.

Monju ist in den 22 Jahren seit seiner Fertigstellung etwa 250 Tage gelaufen. In dieser kurzen Zeit verursachte der Schnelle Brüter drei schwere Störfälle. Zahlreiche Pannen verzögerten den Neustart um weitere zehn Jahre. 2010 fiel nach etwa elf Wochen ein Kran in den Reaktor. Untersuchung haben außerdem ergeben, dass Monju auf einer aktiven Erdbebenbruchlinie liegt. Sollte der Reaktor je wieder flott gemacht werden, würde das noch einmal fünf Milliarden Euro kosten.

Offiziell ist Monju ein Forschungsreaktor. Japan wollte mit ihm die Bruttechnologie einführen, die es bereits 1956 zur Energie der Zukunft erklärt hatte. 1961 versprach die Regierung, bis 1980 werde der Schnelle Brüter kommerziell nutzbar. Dieser Zeitpunkt ist seither oft verschoben worden, zuletzt aufs Jahr 2050. Niemand wagte es bisher, die Verantwortung für die Schließung und die Zehn-Milliarden-Euro-Abschreibung zu übernehmen.

Auch Abe zögert. Jenseits der Peinlichkeit, eingestehen zu müssen, dass Tokio Milliarden in eine Anlage ohne Zukunft gesteckt hat, gibt es weitere Gründe. Mit Monju rechtfertigt Japan die 50 Tonnen waffenfähiges Plutonium, auf denen es sitzt - Nordkorea hat 35 bis 54 Kilo. Und das international seltene Privileg, Uranbrennstäbe wieder aufbereiten zu dürfen. Einige Politiker aus Abes Partei nennen die Plutonium-Vorräte offen eine "virtuelle Atombombe".

Nicht nur Monju, auch Japans Wiederaufbereitungsanlage Rokkasho hat bisher vor allem Probleme und Kosten verursacht, bis jetzt 25 Milliarden Euro. Die Inbetriebnahme ist mehrfach verschoben worden: zuletzt auf 2018. Sollte sie je laufen, dann könnte die Anlage jährlich aus 800 Tonnen abgebrannten Uran-Brennstäben acht Tonnen Plutonium produzieren. Sie würde die abgebrannten Brennelemente herkömmlicher AKW zum Brennstoff für den schnellen Brüter verarbeiten. Die Regierung bezeichnet das als "nuklearen Kreislauf", in Wirklichkeit ist es eine gefährliche Zweitverwertung. Plutonium ist nicht nur waffenfähig, es ist hochgiftig. Der sogenannte Kreislauf würde bedeuten, dass in Japan regelmäßig Plutonium-Transporte unterwegs wären. Und es entsteht gleichwohl Atommüll, nur etwas weniger. Dennoch nutzt Japan dies als Ausrede, um sich nicht ernsthaft um ein Endlager kümmern zu müssen.

Japans Handels- und Industrieministerium behauptet bis heute, mit einem Herstellungspreis von umgerechnet acht bis neun Cent pro Kilowattstunde sei die Kernkraft der billigste Strom. Wie diese Zahl berechnet wird, sagt das Ministerium nicht. Die Kosten für Sonnen-, Wind- und Erdwärme-Strom betragen demzufolge ein Vielfaches davon, auch ein Vielfaches dessen, was sie in Europa und den USA kosten. Japans Kernenergie-Kritiker, unter ihnen ehemalige Ingenieure der Atomwirtschaft, behaupten, das Ministerium manipuliere die Zahlen zugunsten der Kernkraft.

Die Kosten für die Endlagerung von Atommüll hat das Ministerium dabei nicht berücksichtigt, wie es zugibt. Sie seien ja noch nicht bekannt. Unberücksichtigt bleiben auch die Schäden der Atomkatastrophe von Fukushima. Nach jüngsten Schätzung betragen sie allein für den Staat mehr als 40 Milliarden Euro. Nicht enthalten sind jene Verluste, die Tokio den noch immer etwa 100 000 Fukushima-Flüchtlinge nicht vergütet hat und die immateriellen Verluste: zersplitterte Familien, zerschlagene Gemeinschaften, zerstörte Lebenspläne, Depressionen und Krankheiten. Ehrlich gerechnet, entpuppt sich Atomstrom als besonders teuer. Dennoch redet man in Tokio nun davon, dass Japan mit Frankreich ein gemeinsames Brüter-Projekt in Angriff nehmen wolle, wenn Monju aufgegeben wird.

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