125 Jahre Telefonbuch:Die ganz große Nummer

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Das Geschäft mit den Telefondaten ist immer noch lukrativ - aber der Markt ist heftig umkämpft.

Gregor Schiegl

Wer in der Ära Kohl den Außenminister anrufen wollte, musste nur zum Telefonbuch greifen. Hans-Dietrich Genscher stand drin, mit Büro- und Privatnummer - übrigens als einziges Regierungsmitglied.

Auflage: 30 Millionen (Foto: Foto: dpa)

Inzwischen ist Genscher nicht mehr im Dienst und das deutsche Telefonbuch so etwas wie ein Klassiker. Am 14. Juni feiert es 125. Geburtstag.

Die Telekom-Tochter DeTe Medien lud aber schon mal vorab zur offiziellen Geburtstagsparty nach Frankfurt ein, mit viel Pomp und Prominenz und der feierlichen Versicherung, dass dies nicht der letzte runde Geburtstag des altehrwürdigen Telefonbuchs gewesen sei.

Die Marge - ein Geheimnis

Inzwischen kommen jährlich 125 Einzelausgaben des Telefonbuchs auf den deutschen Markt. Auflage: rund 30 Millionen Exemplare. Etwa eine Milliarde Euro Umsatz generiert der Werbemarkt für Telefon- und Branchenbücher jährlich in Deutschland.

Bislang unangefochtener Marktführer ist die Telekom-Tochter DeTe Medien, mit der 38 mittelständische Verlage assoziiert sind. 10.000 Arbeitsplätze hängen unmittelbar von dem Produkt ab, indirekt sind es weitere 30.000.

Wenn es um die Gewinnmargen geht, werden die Beteiligten sehr schmallippig. "Das ist sehr unterschiedlich", heißt es dann. Oder: "Das kann man schwer beziffern."

Aber wer eine Geburtstagsparty im renommierten Frankfurter "Cocoon Club" des Techno-Pioniers Sven Väth feiert, einen Vier-Sterne-Koch zum Show-Cooking bestellt, eigens einen Telefonbuch-Geburtstagssong komponieren lässt und sich einen ehemaligen Außenminister Genscher als Festredner leistet, kann so knapp bei Kasse nicht sein.

Bislang war die große DeTeMedien mitsamt ihrem Satellitensystem mittelständischer Verlage beinahe so etwas wie ein Monopolist im Telefonbuch-Gewerbe.

Doch vor kurzem hat die Regulierungsbehörde den Kleinen den Einstieg in das gewinnträchtige Geschäft erleichtert: Statt wie früher für 49 Millionen Euro sind die Standarddaten der Telekom zu den deutschen Telefonanschlüssen inzwischen für vergleichsweise günstige 770.000 Euro zu haben. Nun drängen die Konkurrenten auf den Markt.

"Wir nehmen jeden Mitbewerber sehr sehr ernst", sagt Gunther Oschmann, Gesellschafter bei Müller Media. Müller Media ist einer der größten Telefonbuchverlage in Deutschland und mischt auch im österreichischen und Schweizer Markt mit.

Aber Oschmann weiß: Wer in dieser Branche nicht ständig am Ball bleibt, der kann schnell den Anschluss verlieren. Denn das Produkt Telefonbuch verändert sich seit Jahren dramatisch: Längst ist das Telefonbuch, das als "Verzeichnis der bei der Fernsprecheinrichtung Beteiligten" seinen Anfang nahm, nicht mehr nur ein gedrucktes amtliches Nummernverzeichnis.

Profane Herausforderungen

Es ist eine multimediale Plattform: für Internet, für PDA und inzwischen auch immer öfter für Mobiltelefone. Um die Kunden bei der Stange zu halten, werden immer neue Service-Angebote implementiert sowie Suchfunktionen, etwa nach dem nächsten italienischen Lokal oder Damenfriseur.

Während diese Extras sich immer mehr verbessern, hat die Branche mit der schwindenden Qualität der Basisdaten zu kämpfen. Im Jahr ändern sich durchschnittlich 30 Prozent der Datensätze.

Eine Zahl, die bei der gestiegenen Mobilität in der Gesellschaft eher zu- als abnehmen dürfte. Inzwischen halten es außerdem rund sechs Prozent der Kunden für schick, nicht im Telefonbuch aufgeführt zu werden.

Ein Phänomen, für das Trendforscher den Begriff des "Cocooning" geprägt haben, das Einigeln. Zudem hat die Liberalisierung des Telefonmarktes dazu geführt, dass viele Nummern im Telefonbuch fehlen.

Statt wie früher zentral bei der Telekom zusammenzulaufen, verteilen sie sich heute auf eine Vielzahl von Anbietern. Von dort müssen die Daten erst wieder zusammengeführt werden. Das hat DeTeMedien in den vergangenen Jahren etwas schleifen lassen. Nun schreckt sie die Konkurrenz auf.

Noch ist das Telefonbuch der DeTe Medien unangefochtener Marktführer. Einer Studie zufolge besitzen 77 Prozent aller deutschen Haushalte die aktuelle Ausgabe von "Das Telefonbuch". Die Marke hat einen Bekanntheitsgrad von 96 Prozent, eine Quote, die den Verleger Florian Langenscheidt zu der Aussage hinriss, "Das Telefonbuch" sei "Teil unserer Alltagsmythologie".

Doch auch das derart weihevoll gefeierte Telefonbuch muss sich mit profanen Herausforderungen herumschlagen: Der Werbemarkt ist in den vergangenen Jahren geschrumpft.

Konjunkturbarometer

Von einer "Delle" spricht der Verleger Gunther Oschmann; von Einbußen in Höhe von zehn bis 15 Prozent in den vergangenen vier Jahren Klaus Mapara von der Telefonbuch-Servicegesellschaft.

Die Telefonbücher sind ein sensibles Sensorium für die Konjunktur. "Wir merken sofort, wie es dem Mittelstand geht", sagt Mapara. In einigen Gegenden Ostdeutschlands ist die Lage noch so desolat, dass die Werbung die Herstellungskosten von sechs bis sieben Euro pro Telefonbuch nicht erwirtschaftet.

Hier müssen die Verlage das Defizit mit dem Gewinn von Ausgaben wirtschaftlich stärkerer Regionen ausgleichen. Wenn das Telefonbuch nicht irrt, so springt die Konjunktur langsam wieder an. Verleger Oschmann verzeichnet jedenfalls für Nordbayern wieder mehr Werbung, vor allem "im konsumnahen Bereich".

Obwohl der Online-Bereich beim Telefonbuch weiter wächst, schreibt die Branche das gedruckte Telefonbuch auch auf lange Sicht nicht ab. Einer Studie des Meinungsforschungsinstituts Ipsos zufolge bevorzugen 36 Prozent der Deutschen immer noch das gedruckte Buch. 41 Prozent nutzen die Internet-Version, greifen aber auch immer wieder zum Print zurück.

"Innovation heißt nicht gleich Substitution, sondern Diversifikation", sagte der ehemalige Außenminister Genscher bei der Feier in Frankfurt.

Und dabei mag der heute 80-Jährige an sein erstes Erlebnis mit dem Telefonbuch gedacht haben: Um besser den Mädchen aus dem Fenster zusehen zu können, war der kleine Hans-Dietrich auf einen Stapel Telefonbücher gestiegen. Eine CD-Rom hätte ihm da wenig geholfen.

© SZ vom 13.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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