Italien nach der Wahl:Grillonomics

Beppe Grillo von der Fünf-Sterne-Bewegung

Beppe Grillo: Er hat nicht den Euro zum Problem erklärt, sondern die Schulden Italiens.

(Foto: dpa)

Ein Wirtschaftsprogramm? Hat die Fünf-Sterne-Bewegung des ehemaligen Komikers Beppe Grillo nicht. Dennoch setzen jetzt italienische Industrielle auf den frischen Wind der Grillini. Und auch einige US-Investmentbanker haben die politischen Neulinge schon auf dem Schirm.

Von Ulrike Sauer, Rom

Mauro Gallegati streitet die Unreife nicht ab. Die Einträge von vielen der 163 neu gewählten Grillini auf der Internetseite Facebook rühren den Ökonomen in ihrer Naivität geradezu. Gallegati, Beppe Grillos Vordenker in Wirtschaftsfragen, macht keinen Hehl daraus, dass die Newcomer im römischen Parlament in seiner Disziplin ziemlich unbeleckt sind. Deshalb bereitet der Professor aus Ancona mit Kollegen von der Columbia-Universität in New York und der Mailänder Hochschule Cattolica Crash-Kurse für die Volksvertreter vor.

Ein Programm im Stil der traditionellen Parteien hat die junge Fünf-Sterne-Bewegung nicht, die als stärkste Partei aus den Wahlen hervorging. Es liegen 15 Seiten mit Vorhaben vor. Auf dem Internet-Blog existiert noch ein 20-Punkte-Plan. Zusammen ergibt das ein Sammelsurium von Ideen, Initiativen und "Provokationen", wie Gallegati einräumt. Dazu zählt der Ökonom, der ein Freund des Nobel-Preisträgers Joseph Stiglitz ist, auch Grillos Angriff auf die Gewerkschaften. Er forderte im Wahlkampf die Abschaffung der Arbeitnehmerverbände. Eigentlich ginge es der Bewegung vielmehr um die Einführung der Mitbestimmung und Gewinnbeteiligung in italienischen Unternehmen, sagt Gallegati.

Das wirtschaftspolitische Credo der Bewegung fußt auf der Überzeugung, dass das Wachstumsmodell der Nachkriegszeit passé ist. Doch für Nichtwachstum zu plädieren, findet Gallegati grundfalsch. Dass die Fünf-Sterne-Bewegung einen Euro-Austritt anstrebe, bezeichnet der Professor als Legende. Von Grillo habe er das nie gehört. Aus gutem Grund: "Den Euro zu verlassen, bedeutet, das Land auf einen Schlag um 30 bis 40 Prozent ärmer zu machen", glaubt Gallegati. Zum Problem hat Grillo in der Tat nicht den Euro, sondern die Schulden erklärt. Er will über Italiens Verbindlichkeiten neu verhandeln.

Die Wirtschaft muss sich auf die Neulinge einstellen: Nach dem Triumph der Bewegung stoßen in Italien zwei fremde Welten aufeinander. Hier die meist jungen Empörten, die das verknöcherte Italien aus den Angeln heben wollen. Da die vom Stillstand gebeutelte Geschäftswelt südlich der Alpen. Die Begegnung verspricht, spannend zu werden. Die US-Investmentbank JP Morgan jedenfalls belieferte ihre Kunden bereits mit einer Studie unter dem Titel "Crash-Kurs in Grillonomics".

Die Berührungsängste der Industriellen Italiens sind verblüffend gering

Im Ausland stopfen der Sozialdemokrat Peer Steinbrück und das britische Wirtschaftsmagazin Economist Grillo und Silvio Berlusconi in einen Sack und verteufeln beide als Narren. Dagegen suchen italienische Industrielle in ihrer Verzweiflung über den komatösen Zustand des Landes das Positive an dem wuschelköpfigen Schreihals, den ehemaligen TV-Komiker und Konzernschreck, der als Rächer der Verbraucher einst die Hauptversammlungen bei Telecom Italia aufmischte.

Die Berührungsängste sind heute verblüffend gering. Vielleicht, weil zu den Qualitäten der routinierten Krisenartisten in Italien Flexibilität gehört. Für Furore sorgte Luxottica-Gründer Leonardo Del Vecchio. Grillo Ministerpräsident? "Warum denn nicht?" antwortete der Brillen-Weltmarktführer. "Grillos Nachdenken über Ideen missfällt mir nicht", sagte der 77-Jährige dem Mailänder Corriere della Sera. Mit 11,5 Milliarden Dollar Vermögen ist Del Vecchio der zweitreichste Italiener. Als Architekt seines globalen Imperiums bewies der Waisenhauszögling eine ungewöhnliche Weitsicht.

Die Region Veneto mit ihrer Myriade mittelständischer Unternehmen ist über Nacht gar zu einer Hochburg der Grillini geworden. Andrea Bolla, junger Industriellenchef in Verona, ist über die Patt-Situation in Rom bestürzt. Doch er räumt ein: "Viele Kollegen beginnen daran zu glauben, dass Grillo der Bürokratie einen Stoß geben und die Kosten unseres Politikbetriebs herabsetzen kann." Außerdem sieht man in den Grillini Vorreiter. "Sie haben die Macht der neuen Technologien erkannt", sagt Franco Moscetti, Chef des Hörgeräteherstellers Amplifon. Die Zukunftsvergessenheit der italienischen Führungsklasse sorgte dafür, dass das Land in Sachen Internetgeschwindigkeit auf Platz 85 rangiert.

Während die meisten Wähler Grillo ihre Stimme gaben, weil sie einen Ausbruch aus den sklerotischen Strukturen ihres Landes ersehnen, verfängt in der Wirtschaft die Aussicht, von den Fesseln eines aufgeblähten Staates erlöst zu werden. Stahlunternehmer Francesco Biasion aus Vicenza etwa scheut sich nicht, zu sagen, dass er Grillo gewählt hat. "Die Unternehmen sind heute im Griff der Bürokratie und der Gewerkschaften", klagt er.

Grillos Angriffe auf die Arbeitnehmervertreter kommen da gut an.

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