Italien:In Schieflage

Dem Land laufen die Investoren davon. Die Schulden drücken. Jetzt straft auch die letzte große Ratingagentur das Land ab - es könnte bald zum Problemfall in Europa werden.

Von Ulrike Sauer, Rom

Das Warnlicht ging vor einer Woche an. Der Risikoaufschlag für Staatsanleihen aus Italien durchbrach die symbolische Marke von 2,0 Prozentpunkten. Seit mehr als drei Jahren war die Zinsdifferenz zu Bundesanleihen nicht mehr so angestiegen. Das Beunruhigende daran: Einen Grund für die abrupte Fluchtbewegung aus römischen Schuldpapieren gab es eigentlich nicht.

Stattdessen griff die Befürchtung um sich, dass man es mit einem grundsätzlichen Umdenken der Anleger zu tun hat. In der vergangenen Woche war es Marie Le Pen gewesen, die Chefin des französischen Front National, die mit ihrem aggressiven Wahlkampfauftakt dafür sorgte, eben diesen Wandel zu offenbaren. "Die Risikoprämie ist ein zuverlässiges Thermometer für Spannungen", sagte der Mailänder Ökonom Giacomo Vaciago. Das zerrissene Europa, die Ausbreitung des Populismus, das Erstarken der Euro-Gegner - in der neuen Ära der weltweiten Unordnung gibt es genügend Anlässe zur Verunsicherung der Finanzmärkte.

Für Italien ist die Nervosität eine extrem schlechte Nachricht. Das Land hat den drittgrößten Schuldenberg der Welt aufgehäuft und muss bis Jahresende ein Volumen von 413 Milliarden Euro an Staatsanleihen neu finanzieren. "Der Zinsanstieg ist eine unhöfliche Erinnerung, dass ein hoch verschuldetes Land nicht drum herumkommt, sich um den Abbau seiner Schulden zu kümmern", bemerkte Finanzminister Pier Carlo Padoan trocken. Der parteilose Wirtschaftsprofessor war vor drei Jahren von dem jungen Reformpremier Matteo Renzi in die Regierung berufen worden. Seit Februar 2014 müht sich Padoan auf einem äußerst schmalen Grat zwischen schwachem Wachstum und gigantischen Altschulden um die Sanierung der Staatsfinanzen. Den Weckruf der Finanzmärkte hätte er gerade nicht nötig gehabt. Andere offenbar schon.

In Brüssel will man Beschlüsse aus Rom sehen, sonst droht ein Strafverfahren

Genau da liegt das Problem. Als Renzi vor zwei Monaten nach seiner Niederlage beim Referendum über die Verfassungsreform abtrat, ging in Rom nahtlos eine neue Regierung ans Werk. Die gleichen Minister mit einem neuen Premier, Renzis Parteifreund Paolo Gentiloni. Der Eindruck der Kontinuität aber trügt. Italien gingen am 4. Dezember 2016 die politische Stabilität und ein Reformprogramm abhanden, das die Investoren bewogen hatte, die hartnäckigen Probleme des Landes mit dem Wachstum, den Schulden und den strauchelnden Banken gelassener zu sehen.

General Economy As Italy Faces Rise In Market Volatility Due To Referendum

Schiefer Turm von Pisa: Symbol für ein Land, das sich schwertut mit stabilen Verhältnissen.

(Foto: Bloomberg)

Damit ist es nun vorbei. Die Zukunft verheißt nichts Gutes. Entweder stürzen vorgezogene Neuwahlen Italien im Juni direkt in die Unregierbarkeit, denn klare Mehrheitsverhältnisse im Parlament sind heute eine Utopie. Oder das Land verharrt bis zum Ende der Legislaturperiode im Februar 2018 in Immobilität. Aus der teuflischen Kombination von politischer Perspektivlosigkeit und Finanzstress zogen die internationalen Rating-Agenturen umgehend einen Schluss: Renzis Scheitern verzögert die Lösung der italienischen Probleme weiter. Die kanadische Agentur Dbrs nahm Italien die allerletzte A-Note in der Bewertung der Kreditwürdigkeit weg. Moody's stellte die Bonitätsnote des Landes auf den Prüfstand.

Padoan geriet in die Bredouille. In Europa ringt der frühere Chefökonom der OECD mit der Brüsseler Kommission um die Nachbesserung seines Haushalts. Bereits im Herbst hatte EU-Kommissar Pierre Moscovici von ihm verlangt, das Haushaltsdefizit 2017 von 2,4 auf 2,2 Prozent zu drücken. Denn man befürchtet, dass Italien die versprochene Reduzierung der Schuldenquote wieder nicht schafft. Das Vertrauen in die Italiener ist gering. Renzis Reformbemühen belohnte die Kommission in den vergangenen drei Jahren mit der Genehmigung von 26 Milliarden Euro Mehrausgaben. Die Zugeständnisse bremsten den Rückgang der Neuverschuldung. Nun pocht sie darauf, dass wenigstens bei den Schulden, Italiens Achillesferse, endlich eine Trendwende erreicht wird. Treibt Padoan nicht schleunigst 3,4 Milliarden Euro auf, wird die EU ein Strafverfahren gegen Italien eröffnen. Die Verhandlungen gehen diese Woche in die heiße Schlussphase. In Brüssel will man bis 22. Februar verbindliche Beschlüsse sehen.

Ein Strafverfahren gegen das sich langsam aus der Krise kämpfende Italien stellt in der EU-Hauptstadt ein Schreckensszenario dar. Mit einer Sanktionierung würde man sich gewiss einen italienischen Wahlkampf gegen Europa einhandeln. In Umfragen kommen die Euro-ablehnenden Parteien derzeit auf 46 bis 48 Prozent. Zudem würde man ein Land bestrafen, das den Flüchtlingsstrom nach Europa auffangen muss. Brisant ist auch: Die Kommission würde erstmals gegen ein Land vorgehen, dessen Haushaltsdefizit zum fünften Mal in Folge unter drei Prozent der Wirtschaftsleistung liegt.

Schuldenmisere Italien

*Prognose der italienischen Regierung für 2016 und 2017. SZ-Grafik; Quelle: MEF (römisches Finanzministerium)

Auch Italien kann sich ein Strafverfahren nicht leisten. Es würde den Ruf des Landes am Finanzmarkt nachhaltig schaden und sich in einem weiteren Anstieg der Zinsen auswirken, warnte Padoan. Allein 2016 sparte der Finanzminister gegenüber 2012 etwa 17 Milliarden Euro Zinsen bei der Bedienung der Staatsschulden. Die von Brüssel verlangten Korrekturen in Höhe von 3,4 Milliarden Euro wirken da eher läppisch. Und Padoan hat durchaus noch weitere Erfolge mitzuteilen: So gelang es dem Finanzamt 2016, die Rekordsumme von 19 Milliarden Euro hinterzogenen Steuern einzutreiben, ein Plus von 28 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das zeigt, dass die neue Strategie im Kampf gegen eine der Hauptplagen Italiens zu greifen beginnt. Einen Tag später meldete das Statistikamt Istat für Dezember einen Anstieg der Industrieproduktion um satte 6,6 Prozent. Es war das beste Ergebnis seit August 2011. Padoan hofft nun, dass auch die am Dienstag zu veröffentlichende Wachstumszahl für 2016 seine eigene Prognose von 0,8 Prozent übertreffen wird.

Nur ist der Blick in die Zukunft beklemmend. Die EZB wird zwischen 2015 und 2017 insgesamt 300 Milliarden Euro italienische Staatsschulden übernommen haben. Das Anleihekaufprogramm von Mario Draghi hat dem Land in den 1000 Tagen der Renzi-Regierung 45 Milliarden Euro Zinsersparnisse gebracht. Für den Abbau der Schulden wurden sie nicht genutzt. Das könnte sich rächen, sollte Draghi am Jahresende eine Drosselung der Geldschwemme ankündigen. Dann stellt sich die bange Frage: Wer kauft nun Italiens Staatsanleihen? Und zu welchem Preis?

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