Italien:"Dekret Würde"

A food delivery driver for Foodora cycles in downtown Milan

Viele Fahrradkuriere fühlen sich ausgebeutet.

(Foto: Stefano Rellandini/Reuters)

Italiens neuer Arbeitsminister Luigi Di Maio will die Rechte der Fahrradkuriere stärken, die stellvertretend für viele prekär Beschäftigte stehen. Doch der Start missglückte.

Von Ulrike Sauer, Rom

Am Tag eins im neuen Amt empfing Luigi Di Maio, 31, Fahrradkuriere. "Die Rider sind das Symbol einer Generation, die vom Staat im Stich gelassen wurde", postete Italiens Arbeitsminister, der selbst dieser Generation angehört. Nun aber, so seine Botschaft, weht ein neuer Wind durch die römischen Regierungspaläste. Der Parteichef der Cinque Stelle, dessen berufliche Laufbahn vor fünf Jahren als Parlamentarier begann, nimmt den Kampf gegen die prekären Arbeitsverhältnisse auf.

Die Einladung der Kuriere war gut gewählt: Die Tagelöhner der Digitalwirtschaft stehen in Italien stellvertretend für viele junge Menschen mit schlechten Jobs. In Cargohosen und T-Shirts saßen sie dem Arbeitsminister im Ministerialbau an der Via Veneto gegenüber.

Der junge Süditaliener empfing seine Altersgenossen im dunkelblauen Anzug und dezenter Krawatte, eine Uniform, in der er sich an Ostern auch bei Mamma an den Mittagstisch setzt. Nun signalisiert er seinen Freunden bei Facebook, dass der Boom der Essensbestellung im Internet nicht länger auf Kosten der Kuriere stattfinden darf. Und dass fairere Arbeitsbedingungen in der "gig economy" bei ihm oben auf der Agenda stehen. Der Minuteneinsatz auf Abruf - die Kurzform "gig" steht für "engagement" - breitet sich in der App-Wirtschaft rasant aus.

Auf dem Tisch Di Maios liegt an jenem Tag der Entwurf einer Eilverordnung, die den Titel "Dekret Würde" trägt. Würde, das ist eines der Lieblingswörter der Regierungskoalition. Sieben Artikel des Entwurfs betreffen die Arbeitsbedingungen bei den digitalen Bestellplattformen wie Foodora aus Berlin oder der britischen Deliveroo. Der Minister will Fahrradkurieren ein Recht auf Ferien, Bezahlung bei Krankheit und Mutterschutz garantieren. Außerdem sollen Kuriere elf Stunden am Stück offline leben dürfen. Der Clou: Eine Änderung der Arbeitsmarktreform soll die Firmen zur Einstellung der Kuriere zwingen.

Gianluca Cocco ist, wie der Minister, 31. Er ist Ingenieur und Italien-Chef von Foodora. Cocco zog aus dem Vorhaben folgenden Schluss: "Die neue Regierung scheint nur ein Ziel zu haben: die digitalen Plattformen aus dem Land zu vertreiben", sagte er der Mailänder Zeitung Corriere della Sera. Es bestehe keine Hoffnung, dass die Branche die Einschränkung der Flexibilität überlebe, sagte der Foodora-Chef. Er arbeitet mit mehreren tausend Kurieren zusammen. Im Jahr setze die Branche in Italien 450 Millionen Euro um. Das Dekret sei darum ein "tragischer Fehler", unter dem vor allem die Restaurants zu leiden hätten, meint Cocco.

Seit dem Amtsantritt Di Maios ist ein Monat vergangen. In der "Rider"-Frage ruderte er rasch zurück. Nachdem der Minister vor zwei Wochen auch die Chefs der Lieferdienste getroffen hatte, waren die Instant-Maßnahmen vom Tisch. Jetzt setzt er auf Verhandlungen, an diesem Montag geht es los. Di Maio nimmt dann Gespräche mit den Gewerkschaften und den Unternehmen auf. Vom Einstellungszwang ist keine Rede mehr. Nun strebt er einen landesweiten Rahmenvertrag für die "gig economy" an, der Italien zu einem Vorbild für Europa machen soll.

Der Kampf gegen schlecht bezahlte Jobs sind ein Kernanliegen der Cinque Stelle

Foodora und Co sind nur ein Symbol des Prekariats. Neben der Einführung des Grundeinkommens für Arbeitslose stellt der Kampf gegen die unsicheren, schlecht bezahlten Jobs ein Kernanliegen der Fünf-Sterne-Bewegung dar. Erste Abhilfe soll das Würde-Gesetz schaffen. Es ist als Debüt der Regierung in der Wirtschaftspolitik gedacht und verfolgt im Wesentlichen zwei Ziele: Die Auflagen für befristete Jobs sollen verschärft werden, und die Kontrollen, die Firmen Steuerhinterziehung erschweren, sollen abgeschafft werden - was den Staat Steuereinnahmen kostet.

Die Verabschiedung des Pakets musste aber inzwischen drei Mal verschoben werden. Di Maio hatte vergessen, sich eine finanzielle Deckung seiner Maßnahmen zu überlegen. An den Hebeln der Macht angekommen, muss der Minister lernen, sie zu bedienen. Improvisation ist nicht das einzige Problem des Cinque-Stelle-Chefs. Es regt sich auch Protest der Industrie, Händler und Gastronomen gegen die Regulierung der befristeten Verträge, höhere Abgaben und strengere Auflagen für Leiharbeit. Zudem treten erste Gegensätze innerhalb der Koalition zutage. Der Regierungspartner Lega vertritt die Interessen der Kleinunternehmer, Restaurantbetreiber und Hoteliers, denen der neue Kurs nicht passt.

So fiel es Di Maio in den ersten Regierungswochen schwer, sich in der Öffentlichkeit gegen seinen Rivalen, den allgegenwärtigen Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini, in Szene zu setzen. Mal versucht Di Maio es damit, gegen die Sonntagsarbeit im Handel zu wettern. Dann regt er an, Bedürftige eine halbe Stunde am Tag gratis Internet zur Verfügung zu stellen. Dann plädiert er für die Einführung von Strafzöllen - und provozierte den Protest der Metallgewerkschaft Fiom, die ihn aufklärt, dass 2017 aus italienischen Werken 130 000 Autos in die USA exportiert wurden.

Zugegeben: Der Superminister, der die Ressorts Arbeit und Soziales sowie Industrie in Personalunion führt, hat ein schweres Los. Während Salvini seine Popularität täglich mit der kostenlosen Hetze gegen Flüchtlinge steigert, kann Di Maio keines seiner Vorhaben ohne viel Geld auf den Weg bringen. Dem hat Finanzminister Giovanni Tria einen Riegel vorgeschoben. 2018 dürfen nur Maßnahmen "ohne zusätzliche Ausgaben" aufgelegt werden, beschied er seinen Kabinettskollegen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: