Island-Modell gescheitert:David raus!

In den achtziger Jahren machte Regierungschef David Oddsson Island zum Modellstaat des Wirtschaftsliberalismus. Nun ist das Land fast pleite.

Gunnar Herrmann

Zentralbankchef David Oddsson steht eigentlich gerne im Rampenlicht. Das war immer so. Ältere Isländer erinnern sich daran, wie der junge Oddsson die Hauptrolle im Schultheater spielte oder im Radio eine beliebte Comedy-Sendung moderierte. Und auch in seiner späteren Karriere als Regierungschef und Wirtschaftsreformer redete der Mann mit dem Lockenkopf stets gerne und viel. Journalisten aus aller Welt empfing er, um ihnen zu erklären, wie er aus seiner armen Heimatinsel das wohlhabendste Land Europas geformt hatte.

David Oddsson

David Oddsson hatte zwei große Vorbilder: Margaret Thatcher und Ronald Reagan

(Foto: Foto: Bloomberg)

In der vergangenen Woche allerdings, nach dem Zusammenbruch, war von ihm nicht mehr so viel zu sehen. Die Pressekonferenzen bestritt sein langjähriger Freund und Nachfolger, Ministerpräsident Geir Haarde, alleine. Dabei gäbe es gerade jetzt viele Fragen, die man dem 60-jährigen Oddsson gerne stellen würde.

Rasantes Wachstum

Etwa die, ob er rückblickend vielleicht etwas anders gemacht hätte in seinen Jahren als Regierungschef. Und was er den wütenden Menschen sagt, die ihre Ersparnisse verloren haben. Einige stehen in diesen Tagen vor der Reichsbank und protestieren mit Pappschildern, auf denen Sprüche stehen wie: "David raus".

Oddsson war es, der als Ministerpräsident von 1991 bis 2004 Island zu einem wirtschaftsliberalen Musterland machte. Mit der Privatisierung der Banken und der Liberalisierung der Geldmärkte ermöglichte er der Finanzbranche ihr rasantes Wachstum. Wie kein anderer Politiker steht er für den dramatischen Aufschwung, den Island erlebte. Nun wird ihm von vielen Mitbürgern der ebenso dramatische Absturz angekreidet.

David Oddsson hatte bei seinen Reformen zwei große Vorbilder: Margaret Thatcher und Ronald Reagan. Ebenso wie diese beiden orientiert sich seine Politik vor allem an den Ideen des Wirtschaftsliberalismus.

Die wichtigsten Vertreter dieser Denkschule wie Milton Friedman, Friedrich von Hayek und James Buchanan besuchten Island in den achtziger Jahren und sprachen dort über ihre Theorien. Unter den jungen Mitgliedern der konservativen Unabhängigkeitspartei fanden die Professoren einige ihrer gelehrigsten Schüler. Nicht nur Oddsson, auch der heutige Ministerpräsident Haarde und weitere, heute einflussreiche Isländer ließen sich von den Gesellschaftsmodellen aus Amerika inspirieren.

Die damals geschlossenen Freundschaften währten bis in die heutige Zeit. So veranstaltete zum Beispiel im Jahr 2005 die Mont-Pelerin-Gesellschaft eine Tagung in Reykjavik.

Ordnung ohne Regierung

Die 1947 von Friedrich von Hayek und anderen Wissenschaftlern gegründete Vereinigung ist eine einflussreiche liberale Denkfabrik. Acht Wirtschaftsnobelpreisträger zählten über die Jahre zu ihren Mitgliedern. Bei der Tagung in Reykjavik präsentierte sich Island als wirtschaftsliberaler Modellstaat. Die Webseite zur Konferenz lobt Oddssons Reformpolitik und weist auf den Einfluss hin, den prominente Mont-Pelerin-Mitglieder darauf hatten.

Selbst das isländische Mittelalter erschien den Teilnehmern der Tagung von liberalem Geist geprägt. Ein Vortrag zur Frühgeschichte des Landes trug den Titel "Ordnung ohne Regierung". Demnach waren die ersten Siedler im 10. Jahrhundert auf die Insel geflohen, um den hohen Abgaben des norwegischen Königs zu entgehen - Island war also eine Art frühes Steuerparadies. In der neuen Heimat lebten die Wikinger 300 Jahre lang ohne Zentralgewalt. Sie einigten sich auf Gesetze, die von allen gemeinsam durchgesetzt wurden.

Solche Geschichten zeigen die Vorstellung, dass Freiheit vor allem in kleinen, unabhängigen Gesellschaften zuhause ist. Oddsson vertritt diese Idee. Konsequenterweise gehört er zu den schärfsten EU-Gegnern des Landes. Als Regierungschef versuchte er, Diskussionen über einen Beitritt zu ersticken. Er kritisierte Tendenzen der Union, ein "Staat statt ein Staatenbund" zu werden und nannte sie "eine der undemokratischsten Bürokratien, die Menschen erfunden haben".

Viele Inselbewohner haben nun mit Sorge verfolgt, dass in den vergangenen Tagen die europäischen Länder die Hilfe verweigerten. Und dass an diesem Dienstag isländische Gesandte ausgerechnet in Moskau über einen Milliardenkredit verhandeln müssen, mildert ihre Bedenken nicht. Seit Oddssons Abschied aus der Politik mehren sich ohnehin die Stimmen, die zumindest eine ernsthafte Debatte über Islands Verhältnis zur Europäischen Union fordern.

Oddsson hatte im Herbst 2004 zunächst Halldor Asgrimsson von der Fortschrittspartei das Amt des Regierungschefs überlassen und war Außenminister geworden. Vorangegangen waren ein Verfassungsstreit und eine Wahlschlappe. Aus gesundheitlichen Gründen verließ Oddsson die Regierung bald ganz und wurde Zentralbankchef.

Ausruhen konnte er sich dort angesichts der Währungsprobleme des Landes aber kaum. Auch wird er in den vergangenen Monaten wenig Zeit für seine zweite Leidenschaft gehabt haben: die Schriftstellerei.

Aber vielleicht schreibt der Autor zahlreicher Kurzgeschichten, Gedichte und Theaterstücke ja irgendwann einmal auf, was er in der Finanzkrise so erlebt hat. Stoff für einen interessanten Roman gäbe es sicher. Und vielleicht könnte ein Buch auch die Fragen beantworten, die man dem Isländer jetzt gerne stellen würde.

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