Atomabkommen:Wie Iran zum Geschäftspartner des Westens wird

City Economy As Iran's Oil Investments Shrink To 'Almost Nothing' On Crude Slump

Im Südosten der iranischen Hauptstadt Teheran haben sich kilometerlange Risse gebildet. Ursache ist das Absinken des Grundwasserspiegels.

(Foto: Simon Dawson/Bloomberg)
  • Nach dem erfolgreichen Abschluss des Atom-Abkommens mit Iran haben europäische Staaten großes Interesse, mit dem Land wieder Geschäfte zu machen.
  • Iran hat große Vorräte an Erdöl und Erdgas. In der Gesellschaft haben Bildung und Aufstieg einen hohen Stellenwert.
  • Chinas volkswirtschaftliche Schwäche lässt das Land noch attraktiver erscheinen.

Von Cerstin Gammelin

Kreditkarten funktionieren nicht, Überweisungen nur mit komplizierten Ausnahmegenehmigungen. Die Banken sind ausgeschlossen vom internationalen Finanzsystem. Nein, hier ist nicht von Griechenland die Rede, sondern von einem großen Staat in Westasien: der Islamischen Republik Iran.

Das Land, das zu den zwanzig bevölkerungsreichsten und größten Staaten weltweit zählt, ist wegen seines Strebens nach der Atombombe und wegen Menschenrechtsverletzungen seit Jahren durch ein Netz von internationalen Sanktionen von der westlichen Welt abgeschnitten. Außenpolitiker wie Wirtschaftsexperten bezeichnen es als "das Komplizierteste, was je verhängt wurde".

Iran dürfte wieder zu einem begehrten Wirtschaftspartner werden

Wenn sich am kommenden Wochenende die Finanzminister der zwanzig größten Volkswirtschaften zum G-20-Gipfel in Ankara treffen, stehen die Beziehungen zu Iran nicht offiziell auf der Tagesordnung. Aber Teilnehmer erwarten, dass am Rande sehr wohl darüber geredet wird, dass jetzt in allen großen Wirtschaftsnationen gesetzliche Regelungen abgestimmt werden, um die vielfältigen Sanktionen gegen Iran zurücknehmen zu können.

Schließlich dürfte Iran von 2016 an wieder zu einem überaus begehrten Wirtschaftspartner werden. Vorausgesetzt, die Regierung in Teheran erfüllt die Auflagen des Atomabkommens, auf das sich die fünf UN-Vetomächte und Deutschland am 14. Juli 2015 in Wien einigten, könnten Anfang 2016 die ersten internationalen Handelsbeschränkungen aufgehoben werden.

Steinmeier plant Iran-Reise im Oktober

Und das Rennen um die besten Startvoraussetzungen im Geschäft mit Iran hat schon begonnen. "Sowohl wir als auch die Iraner sind jetzt dabei, die Voraussetzungen für das Ende der Sanktionen zu schaffen", heißt es in der Bundesregierung.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier kündigte auf der Botschafterkonferenz in Berlin in der vergangenen Woche an, er werde "im Oktober in Iran sein" und sich "ein persönliches Bild machen". Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat sich sein Bild schon im Juli gemacht, als er kurz nach Unterzeichnung des Atomabkommens mit einer Wirtschaftsdelegation nach Iran reiste. Eine erste "politische Kontaktaufnahme" sei das Ziel gewesen, entgegnete Gabriel auf Kritik, er habe die übliche diplomatische Schamfrist nicht eingehalten.

Inzwischen sind auch französische, italienische und andere Delegationen in Teheran gewesen. Chinas volkswirtschaftliche Schwäche lässt Iran noch attraktiver erscheinen. Das Berliner Wirtschaftsministerium verweist auf die starke industrielle Basis, über die Iran traditionell verfügt. Nicht nur Öl und Gas, auch Autoproduktion. Die Menschen seien bildungsinteressiert und aufstiegsorientiert. Im Vergleich zur chinesischen Bevölkerung sei das Selbstbewusstsein der Iraner hoch, die Gesellschaft weiter entwickelt.

Trotz aller Fortschritte ein sensibles Unterfangen

Wenn die Finanzminister auf der ersten Arbeitssitzung ihres G-20-Treffens am Freitagabend über "die Lage der Weltwirtschaft" sprechen, wird China im Vordergrund stehen. Dass Iran nicht auf der Tagesordnung steht, mag auch daran liegen, dass der Umgang mit Teheran trotz aller vorsichtigen Fortschritte ein höchst sensibles Unterfangen bleibt.

Wie groß der Balanceakt vor allem mit Blick auf Israel ist, zeigte sich in den vergangenen Tagen. Teheran sagte am Freitag ein Konzert mit dem berühmten Dirigenten Daniel Barenboim ab. Weil der Pianist israelischer Staatsbürger ist, stornierte die iranische Regierung den möglichen Auftritt Barenboims mit der Staatskapelle Berlin in Teheran.

Einen Tag später protestierte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erneut scharf dagegen, die internationalen Sanktionen gegen Iran aufzuheben. Teheran werde an Millionen kommen, um "seine Aggression und seinen Terrorismus im Nahen Osten und Nordafrika und darüber hinaus zu befeuern", warnte er. Der Iran sei gefährlicher als die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS).

Die internationale Eingliederung der Banken sei in 48 Stunden möglich

Die Bundesregierung geht indes davon aus, dass das Wiener Abkommen "ein Mehr an Sicherheit für die Region" schafft - und diplomatische Spielräume eröffnet. In Berlin wird an der Normalisierung der Beziehung gewissermaßen in Arbeitsteilung gearbeitet - zwischen Auswärtigem Amt sowie Finanz-, Justiz- und Wirtschaftsministerium. Übergeordnetes Ziel ist es, deutschen Unternehmen und Banken Rechtssicherheit zu garantieren.

Die Ministerien bereiten Verordnungen vor, welche die Sanktionen am Tag X gesetzlich außer Kraft setzen - und zugleich das iranische Bankensystem an den internationalen Zahlungsverkehr ankoppeln. Verantwortliche in der Bundesbank beschreiben die Eingliederung der Banken ins Zahlungssystem als "technische Aufgabe, die innerhalb von 48 Stunden zu lösen ist". Sobald die politische Entscheidung gefallen sei, würden sämtliche BIC-Codes der iranischen Finanzhäuser ins Swift-System eingegeben. Genau diese Codes waren bei der Verhängung der Sanktionen gelöscht worden.

Ein Rest an Unsicherheit bleibt

Der schwierigste Teil ist die Abstimmung der Europäer mit den USA. Die Amerikaner haben ein so dichtes Netz an Sanktionen verhängt, die auch extraterritorial gelten, dass sich ausländische Unternehmen leicht darin verheddern können. Firmen, die Geschäfte mit Iran machen und dabei unwissentlich eine US-Sanktion berühren, können dann auch in den USA sanktioniert und empfindlich bestraft werden. Es sei "ein großes Risiko, nur einen Schritt zu weit zu gehen", heißt es im Wirtschaftsministerium unter Verweis auf die Commerzbank. Das Finanzinstitut musste Anfang 2015 in einem Vergleich knapp 1,5 Milliarden Dollar Strafe zahlen.

Um so etwas zu vermeiden, stimmen deutsche Ministeriumsbeamte und Mitarbeiter der EU-Kommission akribisch mit den Amerikanern "Mechanismen und Rechtsinstrumente für Unternehmen, Banken und Finanzinstitute" ab. Sie verweisen zudem auf einen Rest an Unsicherheit: Der US-Kongress muss dem Wiener Abkommen noch zustimmen. Rein juristisch treten die Verpflichtungen des Abkommens erst Mitte Oktober in Kraft - zugleich beginnt die Frist zu deren Umsetzung.

Offizielle Fristen sind das eine, wirtschaftliche Interessen das andere. Amerikaner, Europäer, Iraner bereiten ebenso wie Japaner, Koreaner, Schweizer den Tag X längst vor. "Wir wollen die Möglichkeit ausschließen, dass die Sanktionen aufgehoben werden, ohne dass zugleich Handel aufgenommen wird", heißt es in Berlin.

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