Irak:Zur Hölle mit den Deutschen

Ein Unternehmen aus Peine will den Menschen im Irak helfen und am Wiederaufbau Geld verdienen — aber der Widerstand ist massiv.

Von Kristina Läsker

Immer, wenn Tony Zraiqat die Grenze zwischen Jordanien und dem Irak überquert, zückt er seinen amerikanischen Pass. Das macht ihn unverdächtig. Viele Jahre hat der Jordanier in den Vereinigten Staaten gearbeitet, der Pass ist ein nützliches Überbleibsel, ein Sesam-öffne-Dich in dieser Nachkriegszeit. Früher war es umgekehrt, da hatte er ihn bei Reisen in den Irak immer verstecken müssen, hatte nur seine jordanischen Papiere gezeigt und Arabisch gesprochen. Heute ist eben vieles anders.

Zraiqat ist Unternehmer und auf dem Weg nach Bagdad. Der 40-Jährige arbeitet als Leiter der Ammaner Büros für den Brunnenbau-Zulieferer German Water and Energy (GWE). Die GWE ist eine deutsche Firma mit Sitz in Peine. Keine optimale Voraussetzung in diesen Zeiten, in denen deutsche Firmen bei amerikanischen Soldaten nicht den besten Ruf genießen. Weshalb der Jordanier nicht nur den amerikanischen Pass zückt, wann immer es nötig ist, sondern auch seinen deutschen Arbeitgeber so lange wie möglich verschweigt.

Besser als gedacht

Am 8. Juni hat die Coalition Provisional Authority (CPA), die amerikanische Zivilverwaltung, den Irak de facto zur Freihandelszone erklärt. Bis Ende des Jahres werden keine Zölle erhoben, um die Wirtschaft zu stimulieren. Auch die Firma in Peine will davon profitieren.

Und so fährt Zraiqat alle zwei Wochen in den Irak, um die niedersächsische Firma mit den 300 Mitarbeitern wieder ins Geschäft zu bringen. Bereits im Herbst, lange vor dem Krieg, hatte das Iraker Landwirtschaftsministerium einen Spezialbohrer bei GWE bestellt, der den Brunnenbau erleichtert.

Längst war der Auftrag von den deutschen Behörden bewilligt worden, denn er entsprach den strengen Auflagen des UN-Programms Öl-für-Lebensmittel.

Doch seit der Krieg vorbei ist, wartet man in Peine vergeblich auf eine Genehmigung der Amerikaner. "Unsere Unterlagen liegen da irgendwo in einem Office in New York, und wir können nichts tun," beklagt sich Michael Stötzel. Der 35-Jährige leitet den Bereich Nahost. Zwanzig Prozent des jährlichen 50-Millionen-Euro-Umsatzes macht GWE dort. Stötzel versteht nicht, dass die Amerikaner so lange für die Genehmigung brauchen. "Mensch, die brauchen das Ding doch da unten." So, wie die GWE den Zehn-Millionen-Auftrag braucht, der schon fest im Budget eingeplant war.

Immerhin sind nach Einschätzung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) die Chancen für deutsche Firmen im Irak besser als zunächst vermutet. Es gebe gute Geschäftsmöglichkeiten, heißt es in einer soeben veröffentlichten Studie.

Ursprünglich war erwartet worden, dass Wiederaufbau-Projekte ausschließlich an US-Firmen und Unternehmen aus Ländern vergeben werden, die sich am Krieg gegen Saddam beteiligt hatten. In der Studie wird nun betont, dass sowohl die Vereinten Nationen als auch die US-Übergangsverwaltung bereits Wiederaufbauprojekte international ausgeschrieben haben.

Das ist die Theorie. In der Praxis ist für Zraiqat das Geschäft im Irak mit Angst verbunden: Angst, während der Reise auf dem knapp 1000 Kilometer langen Highway zwischen Amman und Bagdad überfallen zu werden. Angst vor einem Unfall, wenn der Jeep mal wieder zu schnell fährt, Angst vor Minen.

"Das alles ist saugefährlich", sagt Stötzel, der sich zu Hause in Peine ans Telefon klemmt, wenn seine Kollegen "irgendwo in der Wüste" sind. Stötzel würde selbst fliegen, aber noch gibt es keine zivilen Flüge in den Irak. Vor vier Wochen hat die Lufthansa eine Landelizenz für den Bagdader Flughafen bei der amerikanischen Zivilverwaltung beantragt, doch auch hier ist bisher nichts entschieden.

Stötzels Mitarbeiter Tony Zraiqat hat gerade durchgegeben, wie es aussieht in Bagdad. Zäh und schmierig lastet die Hitze auf der Stadt. Seit der großen Plünderung nach dem Krieg funktionieren die Pumpen der Kläranlagen nicht mehr. Strom gibt es nur wenige Stunden am Tag, und in vielen Häusern tröpfelt das Wasser spärlich aus den Hähnen. Alltag drei Monate nach Kriegsende.

Zäh und schmierig gestalten sich auch die Geschäfte. Alte Geschäftspartner sind verschwunden, neue noch nicht aufgespürt. "Zurzeit suchen wir händeringend Ansprechpartner", sagt Stötzel. Hätte man erst einmal Leute gefunden, laufe vieles über Mundpropaganda - wobei der eine oder andere kleine Geldbetrag hilfreich sein kann. Doch selbst mit dem Schmiergeld sei das nicht mehr wie früher, als das "Bakschisch" noch vieles erleichterte. "Wir wissen nicht mal mehr, wen wir überhaupt schmieren sollen."

Nicht alle Firmen haben es so schwer, wenn sie im Irak Fuß fassen wollen. Aufträge im Wert von zwei Milliarden Dollar hat die amerikanische Entwicklungshilfe-Organisation US-Aid gleich nach Kriegsende ausgeschrieben. Alle bisher erteilten Zuschläge gingen an US-Firmen. Eine Zusage über 680 Millionen für Wiederaufbau-Projekte erhielt zum Beispiel der amerikanische Baukonzern Bechtel.

Chancen als Subunternehmer

Doch ob es sich nun um die Flughäfen in Bagdad und Basra handelt oder um die Eisenbahnlinie von Mosul nach Bagdad - Bechtel kann die Vorhaben allein nicht bewältigen, weshalb die amerikanische Firma 90 Prozent der Aufträge für Subunternehmer ausgeschrieben hat. "Eine Riesenchance für deutsche Unternehmen", sagt Jürgen Münker, Referatsleiter Nahost der Deutschen Industrie- und Handelskammer in Berlin. "Augenwischerei", sagt Stötzel dazu.

Mit seiner Kritik steht Stötzel nicht allein:"Das heißt hier überall ,zur Hölle mit den Deutschen!'", sagt ein Berliner Unternehmer, der Energieanlagen im Irak verkaufen möchte und auf gar keinen Fall namentlich genannt werden will. Er fürchtet um den Verlust der Aufträge. Bereits vor dem UN-Embargo lieferte der Berliner - wie viele andere deutsche Firmen - seine Produkte in den Irak. Laut Statistischem Bundesamt betrug der Wert der Ausfuhren 1989 mehr als 1,1 Milliarden Euro. Während des ersten Golfkriegs schrumpften die Ausfuhren auf sechs Millionen zusammen und stiegen nur langsam wieder auf 410 Millionen Euro im Jahr 2002.

Viele deutsche Firmen haben noch Kontakte in den Irak, und nötig wäre das Engagement der nahosterfahrenen Unternehmer allemal: "50 bis 100 Milliarden US-Dollar" koste allein der Wiederaufbau der Infrastruktur, verkündete der amerikanische Zivilverwalter Paul Bremer kürzlich. Jahre wird es dauern, bis die wirtschaftlichen Lebensadern erneuert sind, dringend werden sie gebraucht, die Kraftwerkbauer, Logistikunternehmen und Energielieferanten.

In Peine glaubt man nicht daran, dass die Amerikaner deutsche Firmen am Wiederaufbau verdienen lassen. Daher geht Stötzel nun andere Wege: Gemeinsam mit einer UN-Organisation will er die zur Wassergewinnung nötigen Anlagen in den Irak bringen. Dazu hat er bereits mit der in Rom ansässigen Food and Agriculture Organization (FAO) telefoniert. Die FAO kümmert sich im Irak seit Kriegsende wieder um die Versorgung mit Nahrungsmitteln. Das Peiner Unternehmen könnte Glück haben: Durch den Aufruf des UN-Generalsekretärs Kofi Annans kamen zwei Milliarden US-Dollar zusammen, gespendet von der internationalen Staatengemeinschaft. "Viele nichtstaatliche Organisationen suchen dringend Subunternehmer", sagt Nahost-Experte Münker.

Der Jordanier Zraiqat wird Ende der Woche zurück in Amman sein. Dann wird er viel diskutiert und gefeilscht haben, wahrscheinlich ohne zählbaren Erfolg. Gewiss ist nur eines: Seinen amerikanischen Pass wird er bei der Einreise nach Jordanien nicht brauchen.

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