Interview: Lars Feld:"Die Griechen brauchen mehr Zeit"

Lars Feld ist der jüngste "Wirtschaftsweise" aller Zeiten. Ein Gespräch über die Steuertricks der Regierung, verschuldete Zombie-Staaten - und seine Furcht vor neuen Turbulenzen in der Weltwirtschaft.

Markus Balser

Er gilt als der Shooting-Star unter Deutschlands Topökonomen. Als jüngster Wirtschaftsweiser zieht Lars Feld, 44, Chef des Freiburger Walter-Eucken-Instituts, ab 1. März in den Sachverständigenrat der Bundesregierung ein und wird zu einem der wichtigsten Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" zeichnet Feld ein düsteres Bild der Entwicklung auf den globalen Märkten: "Die Weltwirtschaft kann in den nächsten fünf Jahren in größere Turbulenzen geraten als in den vergangenen zehn." Der Euro aber werde eine neue Schockwelle überstehen.

Lars Feld

Lars Feld, der neue Wirtschaftsweise.

SZ: Herr Professor Feld, der Sachverständigenrat galt bisher als distinguiertes, leises Gremium. Weiß die Regierung, was da auf sie zukommt?

Lars Feld: Was meinen Sie?

SZ: Ihre Studenten schwärmen von Ihrer Leidenschaft für laute Rockmusik und Ihren lockeren Sprüchen. Klingt nach Kulturschock - für beide Seiten.

Feld: Moment mal! Sie unterschätzen die Rockexpertise der Wirtschaftsweisen. Ein kleines Geheimnis: Mein Vorgänger Wolfgang Wiegard spielt Gitarre in einer Rockband in Regensburg. Große Fußstapfen also.

SZ: Keine falsche Bescheidenheit. Sie gelten als ziemlich textsicher.

Feld: Bei Frank Zappa. Oder den Foo Fighters vielleicht. Leider findet deren Open-Air-Konzert in Berlin dieses Jahr wohl ohne mich statt. Dann tagt der Sachverständigenrat.

SZ: Ökonomen sind ja berühmt für ihren Pessimismus. Testen wir doch mal die Zuversicht des jüngsten Wirtschaftsweisen: Sie sind für fünf Jahre gewählt. Werden Sie in Ihrer Amtszeit noch das Ende der Finanzkrise erleben?

Feld: Die Risiken sind noch immer groß. Wir haben die Stabilität des Finanzsystems noch nicht wieder hergestellt, und die Schuldenprobleme in der Euro-Zone sind nicht bewältigt.

SZ: Jüngste Studien sagen der Weltwirtschaft sogar neue gewaltige Erschütterungen voraus. Zu Recht?

Feld: Die Weltwirtschaft kann in den nächsten fünf Jahren in größere Turbulenzen geraten als in den vergangenen zehn. Das muss keine neue Finanzkrise sein, sondern ist die Folge des Beinahezusammenbruchs. Wichtigster Grund: die gewaltige Liquidität in den Märkten durch die Bankenrettung und die Konjunkturpakete. Sie wird das System noch einige Zeit in Atem halten.

SZ: Das heißt?

Feld: Die Gefahr wächst, dass es zu größeren Ausschlägen auf wichtigen Märkten kommt. Zum Beispiel einer Immobilienblase oder Kapriolen auf den Rohstoffmärkten. Auch die Inflationsgefahr wächst. Und der Kampf dagegen ist schwierig. Denn die Europäische Zentralbank und ihr US-Pendant Fed müssen die Liquidität sehr vorsichtig aus dem System holen. Das gleicht einem chirurgischen Eingriff. Dabei reden wir über Operationen, mit denen Notenbanker bislang in der Praxis keine Erfahrungen sammeln konnten.

SZ: Wie lange kann das der Patient überleben?

Feld: Wir werden den Euro noch lange haben. Ich glaube nicht, dass das System zusammenbricht.

SZ: Dabei steht das erste Mitglied der Euro-Zone vor dem Zusammenbruch. Griechenland droht die Pleite.

Feld: Ich vermeide solche Begriffe. Richtig ist: Es wird immer klarer, wie schwer es für Griechenland wird, sich aus eigener Kraft zu befreien. Schon 2013 könnte der Schuldenstand im pessimistischen Szenario eine kritische Schwelle erreichen. Bei mehr als 160 Prozent, gemessen an der Wirtschaftsleistung, werden die Zinsen zu einer schweren Last. Dann fließen acht bis neun Prozent des Bruttoinlandsprodukts in den Zinsendienst. Um eine Umschuldung werden wir wohl nicht herumkommen.

SZ: Was würde ein Staatsbankrott mitten in Europa bedeuten? Könnte das ein Beben nach sich ziehen, so wie die Pleite der amerikanischen Investmentbank Lehman?

Feld: Turbulenzen ja, Zusammenbruch wohl nicht. Europas Banken wären stabil genug, ein solches Szenario zu verkraften. Umschuldung bedeutet meist, dass Gläubiger nur auf Teile ihrer Forderungen verzichten müssen. Das geht auf mehrere Arten. Ich bin dafür, den Griechen mehr Zeit zu geben. Man könnte Fristen der Staatsanleihen verlängern. So bekäme das Land etwas Luft.

"Die Schulden müssen runter"

SZ: Was erwarten Sie: Wer folgt als Erster unter den Rettungsschirm: Portugal oder Spanien?

Feld: Spanien wird es alleine schaffen, bei Portugal werden wir abwarten müssen, wie weit die Krise noch geht. Wenn jetzt keine bösen Überraschungen mehr kommen, kann es auch Portugal ohne den Schirm schaffen.

SZ: In Europas Hauptstädten wird längst über neue Milliarden für den Rettungsschirm gefeilscht. Wird das selbst starke Länder wie Deutschland nicht endgültig überfordern?

Feld: Mehr als 750 Milliarden Euro geht auf keinen Fall. Das wäre ein Dammbruch. Danach kommt nur noch unendlich. Wenn die Bundesregierung jetzt einknickt, werden die Märkte der Politik keine Grenze mehr glauben. Sie werden darauf spekulieren, dass der Staat einspringt, wo immer Probleme auftauchen. Dann werden die Risiken eher größer als kleiner. Schnell wären wir bei 900 Millionen oder der Billion. Die Glaubwürdigkeit der Politik wäre dann endgültig dahin.

SZ: Zuerst retten wir Zombie-Banken, jetzt Zombie-Staaten. Welche Reformen werden Sie der Regierung empfehlen, damit die Euro-Zone krisenfest wird?

Feld: Wir müssen zurückkehren zu einem System, in dem kein Euro-Land automatisch für ein anderes haftet. Diesen Grundsatz müssen wir verbinden mit einem Insolvenzverfahren für Staaten. Ein Hilfsmechanismus könnte in Notsituationen kurzfristig Geld zur Verfügung stellen, dann aber die Insolvenz abwickeln. Eine Transferunion muss die Bundesregierung verhindern.

SZ: Sie haben jahrelange Erfahrung als Berater von Berliner Spitzenpolitikern. Sie sitzen seit 2003 im Beirat von Finanzminister Wolfgang Schäuble. Hand aufs Herz: Wie schwierig ist es, im Regierungsviertel im Ringen um Macht und Mehrheiten mit Kritik durchzudringen? Finden Sie Gehör?

Feld: Nicht leicht! Regierungen haben bei ihren Beratern natürlich ein Interesse an Konformität. Nicht nur in Deutschland. Für die USA gilt das noch extremer. Man wünscht sich keine Kritik, sondern eine Stützung der eigenen Position.

SZ: Wozu dann der Aufwand?

Feld: Es gibt Positivbeispiele: Ohne Expertenkritik hätte es die Schuldenbremse oder das Konjunkturpaket zwei in dieser Form nicht gegeben. Daran sollte die Politik denken. Aber um es klar zu sagen: Ich verstehe das Misstrauen der Politik gegenüber Wissenschaftlern. Wir Experten haben leicht reden. Wir empfehlen harte Einschnitte, müssen aber dafür nicht den Kopf hinhalten. Wir empfehlen Sparmaßnahmen, brauchen aber keine Mehrheiten. Wer für alles, was er tut, Stimmen sammeln muss, hat es schwer.

SZ: In Berlin heißt es, Wirtschaftsminister Brüderle habe Sie anderen Kandidaten vorgezogen, weil Sie als liberaler Ökonom nicht gegen die Steuersenkungspläne der FDP sind. Ist auch Ihre Berufung ein weiterer Beleg für mangelndes Kritikbedürfnis?

Feld: Das denke ich nicht.

SZ: Brüderle pocht trotz hoher Verschuldung doch auf Steuersenkungen noch vor 2013. Kann er mit Ihrer Unterstützung im Rat der Weisen rechnen oder nicht?

Feld: Meine Linie ist klar. Das oberste Ziel der Finanzpolitik in den nächsten Jahren heißt: Die Schulden müssen runter. Das Ziel der Konsolidierung ist vorrangig. Man kann Steuern senken, aber dann muss man mit Ausgabenkürzungen oder der Streichung von Steuervergünstigungen gegenfinanzieren.

SZ: Es klemmt überall im Haushalt. Wo sehen Sie denn da Spielraum?

Feld: Wenn die Regierung Steuerprivilegien wie die Pendlerpauschale oder den ermäßigten Mehrwertsteuersatz kippt und auf kostspielige Förderprogramme auf dem Arbeitsmarkt und in der Umweltpolitik verzichtet, lassen sich 20 Milliarden Euro und mehr umverteilen. Das wäre genug für eine Einkommensteuerreform.

"Das würde das Steuersystem revolutionieren"

SZ: Höhere Preise für Lebensmittel oder Bücher, mehr Geld für die Fahrt zum Job, weniger für Arbeitslose. Der kleine Mann zahlt die Zeche für die Einkommensteuerreform. Da sind Proteste programmiert. Ist das gerecht?

Feld: Ich halte das tatsächlich für schwer umsetzbar. Allerdings: auch nichts zu tun schafft Gefahren. Denn die hohe Steuer- und Abgabenbelastung von 50 Prozent könnte Fachkräfte aus dem Land treiben, wenn in Europa der Wettbewerb um Arbeitnehmer zunimmt. Außerdem sind die Bürger in Deutschland schon seit Jahrzehnten zu kurz gekommen. Wenn wir ehrlich sind, hat es nach dem Zweiten Weltkrieg unter den zahllosen Reformen gerade mal eine gegeben, die die Deutschen real entlastet hat: die unter Rot-Grün, die dann aber wieder zum Teil zurückgenommen wurde.

SZ: Die Politik täuscht ihre Bürger?

Feld: Sie hat ihnen bestenfalls das zurückgegeben, was ihnen ohnehin zusteht: den Inflationsgewinn des Staates. Ich wünsche mir eine Politik, die regelmäßig gezwungen ist, diesen an die Steuerpflichtigen zurückzuzahlen. Per Gesetz. Das würde das Steuersystem revolutionieren. Bürger hätten plötzlich einen Rechtsanspruch gegenüber dem Staat.

SZ: Macht ein Spitzenökonom, der sich so intensiv mit Steuern befasst, wenigstens seine Steuererklärung selbst?

Feld: Nein, das kostet zu viel Zeit. Ich habe einen Steuerberater. Allein, um ihn vorzubereiten, brauche ich allerdings schon ein ganzes Wochenende.

SZ: Das deutsche Steuerrecht ist das komplizierteste weit und breit. Seit Jahren soll es vereinfacht werden. Können Sie dem Land Hoffnung machen?

Feld: Machen wir uns nichts vor: Der Wechsel vom progressiven System in den Stufentarif, über den die Politik derzeit diskutiert, wäre kaum eine Verbesserung. Das schafft kein einfaches System, weil die Berechnung des zu versteuernden Einkommens hochkomplex bleibt.

SZ: Geht es nach Ihnen, könnte das Volk mit mehr direkter Demokratie künftig selbst über die wichtigsten Fragen der Finanzpolitik abstimmen. Glauben Sie wirklich, die Deutschen hätten ihre Banken gerettet?

Feld: Beispiele aus der Schweiz zeigen jedenfalls, dass aufgeklärte Bürger auch für Steuererhöhungen stimmen, wenn sie deren Sinn erkennen. Man muss es ihnen eben gut begründen. Da hat die Politik Defizite.

SZ: Wir sind in der Krise mit der repräsentativen Demokratie und schnellen Entscheidungen doch gut gefahren.

Feld: Ich will sie ja nicht abschaffen, sondern ergänzen. Natürlich sind EU-Gipfel einfacher und mit weniger Risiken behaftet als Volksbefragungen. Aber man darf sich nicht wundern, wenn die Leute die Veranstaltung EU satt haben und der Politik nicht mehr vertrauen. Es wird sich rächen, wenn man immer wieder am Bürger vorbei entscheidet. Sollte es zu einer Ausdehnung des Rettungsschirms kommen, halte ich die Volksabstimmung in Deutschland für nötig. Mit einer akuten Notsituation hat das nichts zu tun und ist vom Grundgesetz wohl nicht mehr gedeckt.

SZ: Die Bürger sind auch keine Lämmer. Um die Steuermoral unter den Deutschen steht es nicht zum Besten. Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel und andere Wohlhabende flogen als Steuersünder auf, weil sie Geld in Liechtenstein versteckt hatten. Enttäuscht Sie solches Verhalten gegenüber dem Gemeinwesen?

Feld: Es enttäuscht mich, wenn die Justiz das nicht transparent ahnden kann und der Staatsanwalt sich mit den Angeklagten in einem Vergleich einigt. So wird man das Problem nicht in den Griff kriegen. Die Bürger müssen wissen, was ihnen blüht, wenn sie Steuern hinterziehen. Da muss der Staat künftig konsequenter sein.

SZ: Welche Schwerpunkte wollen Sie im Sachverständigenrat setzen?

Feld: Wir müssen dafür sorgen, dass sich neben dem Bund auch die Länder an die Schuldenbremse halten. Sie sind nicht sehr enthusiastisch. Bis 2019 muss zudem ein neues Finanzausgleichssystem stehen. Ich bin dafür, den Ländern mehr Autonomie in der Steuerpolitik einzuräumen. Sie sollten ihren Anteil an der Einkommen- und Körperschaftssteuer nicht mehr durch den Bund zugewiesen bekommen, sondern selbst entscheiden.

Interview: Markus Balser

Steckbrief: Lars Feld zieht als jüngstes Mitglied am 1. März in den Sachverständigenrat, das wichtigste Beratergremium der Bundesregierung, ein. Der neue Weise gilt als Experte für Steuerwettbewerb und Schattenwirtschaft. Er wird sich im Rat vor allem mit Fragen der Finanzpolitik befassen.

Seit September 2010 leitet er das traditionsreiche Walter-Eucken-Institut in Freiburg. Gleichzeitig ist der 44-Jährige Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Freiburg. Feld kommt aus dem Saarland, wo er auch seine Universitätskarriere begann. Nach Gastprofessuren in Frankreich und in den USA hat er im Alter von 36 Jahren 2002 seine erste ordentliche Professur in Marburg übernommen. Im Jahr 2006 wechselte er dann nach Heidelberg. Lars Feld ist mit einer Medizinerin verheiratet und hat mit ihr drei Kinder. Er sammelt antiquarische Bücher - vor allem von ökonomischen Klassikern - und geht sehr gerne ins Fußballstadion.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: