Interview mit Gerhard Cromme:"Heute kommt alles auf den Tisch"

Der Vorsitzende der Regierungskommission Corporate Governance, Gerhard Cromme, lobt sein Gremium und verteidigt den Verhaltenskodex für deutsche Manager.

Karl-Heinz Büschemann

Gerhard Cromme, 65, der Vorsitzende der Regierungskomssion Corporate Governance, hält die Arbeit seines Gremiums nicht für gescheitert. Der Aufsichtsratschef von Thyssen-Krupp und Siemens tritt nach sieben Jahren als Chef des von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder 2001 eingesetzten Gremiums zurück, um mehr Zeit für seine Arbeit bei Siemens zu haben. Sein Nachfolger wird der frühere Commerzbank-Chef Klaus-Peter Müller.

SZ: Herr Cromme, die Kommission erhält einen neuen Vorsitzenden. Sollte man das Gremium nicht lieber auflösen?

Cromme: Warum denn das?

SZ: Wegen Erfolglosigkeit.

Cromme: Das ist eine falsche Sicht. Die Kommission hat erfolgreich gearbeitet.

SZ: Sogar der Bundespräsident hat sich abfällig über den Kodex geäußert und gesagt, er sei gescheitert.

Cromme: Das hat er nicht gesagt. Er hat nur beklagt, dass es weiterhin für ausscheidende Manager Rundumsorglospakete gäbe. Da hat er recht. Dagegen gehen wir ja vor. Wir haben die Empfehlung gegeben, die Abfindungen auf maximal zwei Jahre zu begrenzen.

SZ: Dagegen wird ständig verstoßen.

Cromme: Niemand sagt doch, dass das Strafgesetzbuch gescheitert ist, nur weil dagegen täglich verstoßen wird. Der Kodex ist nicht gescheitert, weil es ein paar schwarze Schafe gibt.

SZ: Was hat der Kodex denn gebracht?

Cromme: Gehen Sie mal sieben Jahre zurück. Damals wurde die deutsche Corporate Governance international sehr negativ gesehen. Das duale System von Aufsichtsrat und Vorstand wurde kritisiert. amerikanische System sei besser, hieß es damals. Heute weiß man wieder: Das duale System ist sehr gut und hat in Krisenzeiten sogar Vorteile. Der Kodex hat dazu beigetragen, dies klar zu machen.

SZ: Nicht eben viel . . .

Cromme: Ich kann auch konkreter werden. Heute sind die Entscheidungen in Unternehmen viel transparenter. Wir haben die Rolle des Aufsichtsrates gestärkt. Früher hat sich doch der Vorstand seinen Aufsichtsrat oft selbst ausgesucht. Diese Zeiten sind vorbei. Die Qualität der Arbeit in den Aufsichträten ist heute viel besser. Heute ist alles offener. Alles kommt auf den Tisch. Kein Aufsichtsrat kann sich erlauben, Dinge zu machen, die nicht sauber und offen nachvollziehbar sind. Sonst hagelt es Kritik.

SZ: Sie konnten nicht einmal die Veröffentlichung der individuellen Manager-Gehälter durchsetzen. Das musste der Gesetzgeber tun.

Cromme: Das ist eine grobe Verkürzung, die auch falsch ist. In der Öffentlichkeit haben die Managergehälter eine große Bedeutung. Uns geht es um die Prinzipien der Zusammenarbeit von Aufsichtsrat, Vorstand und Hauptversammlung und darum, dass der Aufsichtsrat die Vorstände effektiv beaufsichtigen kann. Dass in der Gehaltsfrage der Gesetzgeber eingegriffen hat, war für mich eine persönliche Enttäuschung. Mehr als drei Viertel aller Dax-Unternehmen hatten ja schon zugestimmt. Aber wegen einiger Totalverweigerer hat der Gesetzgeber gehandelt. Die Chance zur Selbstregulierung hat die Wirtschaft vertan.

SZ: In der Kommission sitzen Mitglieder, die sich nicht als Vorbilder für gute Unternehmensführung eignen. Sie selbst verstoßen gegen den Grundsatz, dass ein Vorstandschef nicht Aufsichtsratsvorsitzender werden sollte. Das gleiche gilt für Ihren Nachfolger Klaus-Peter Müller von der Commerbank.

Cromme: Das ist doch Unsinn. Wir wollten durch den Kodex erreichen, dass es keinen Automatismus gibt. Aber ein früherer Vorstandsvorsitz darf auch kein K.O.-Kriterium sein. Warum soll einer, der seine Sache gut gemacht hat, nicht Aufsichtsratschef werden dürfen? Es kann nicht sein, dass einer nicht Aufsichtsratschef werden darf, nur weil er etwas vom Unternehmen versteht. Es gibt auch Externe, die als Aufsichtsratsvorsitzende kein Ruhmesblatt waren.

SZ: Als Aufsichtsratschef von Siemens wissen Sie, dass diese Praxis in dem Technologiekonzern schädlich war. Hätte der der frühere Unternehmenschef Heinrich von Pierer nicht die Spitze im Aufsichtsrat übernommen, wäre die Korruptionsaffäre schneller aufgeklärt worden.

Cromme: Als Heinrich von Pierer 2005 Aufsichtsratsvorsitzender wurde, gab es große Lobeshymnen über ihn in der Hauptversammlung. Damals waren weder dem Aufsichtsrat noch der Öffentlichkeit die heutigen Vorgänge bekannt.

SZ: Es geht vor allem um die Fälle, wo der Vorgänger seinem Nachfolger keine freie Hand lässt.

Cromme: Diese Fälle gibt es. Aber es gibt noch mehr viele Beispiele, wo sich das Verfahren sehr bewährt hat.

SZ: Manchmal hat es geschadet.

Cromme: Schon. Wir müssen erreichen, dass der Aufsichtsrat sachlich und transparent darüber entscheidet, ob der frühere Vorstandsvorsitzende geeignet ist. Der Aufsichtsrat muss seiner Verantwortung gerecht werden.

SZ: Gibt es in der Führungskultur der deutschen Unternehmen noch Mängel?

Cromme: Ja.

SZ: Was würden Sie ändern?

Cromme: Es gibt noch vieles zu verbessern. Aber da sind wir ja dran. Die Wirkung des Kodex ergibt sich durch die heutige Transparenz. Dadurch und durch das wachsende Interesse der öffentlichen Meinung bekommen Fehlentwicklungen eine andere Aufmerksamkeit als früher. Ich bin sicher, dass die Zahl der Verfehlungen eindeutig zurückgegangen ist. Aber man hat das Gefühl, dass es mehr geworden wäre, weil heute alles auf den Tisch kommt.

SZ: Viele Firmen haben Probleme, z.B. Siemens, Telekom, IKB. Das spricht nicht für gute Corporate Governance.

Cromme: Das Gegenteil ist richtig. Die Probleme dieser Unternehmen werden heute viel aufmerksamer diskutiert als früher. Deshalb dringen Einzelfälle sehr viel stärker ins öffentliche Bewusstsein.

SZ: Alles nur Einzelfälle?

Cromme: Durch den Kodex wird die Zahl der Fälle aber erheblich geringer und es gibt sowas auch im Ausland.

SZ: Welche Note würden Sie den deutschen Aufsichtsräten geben?

Cromme: Insgesamt noch nicht gut genug. Aber immerhin voll befriedigend. Vorher war es erheblich schlechter.

SZ: Deutsche Aufsichtsräte sind provinziell. Es gibt nur wenige Ausländer in den Kontrollgremien. Warum?

Cromme: Das ist richtig. In einer Krisensituation geht es darum, sehr schnell herauszuarbeiten, was getan werden muss. Ein ausländischer Vertreter im Aufsichtsrat, der die besonderen Verhältnisse in Deutschland nicht kennt, tut sich da schwer, auch wegen der deutschen Mitbestimmung.

SZ: Aber High-Tech-Unternehmen mit internationalen Konkurrenten können doch nicht mit rein deutschen Aufsichtsräten erfolgreich sein.

Cromme: Da haben Sie ja recht. Wir sind mit der Internationalisierung in Deutschland noch nicht weit genug. Aber sie ist kein Allheilmittel. Gerade die Arbeit in den Ausschüssen erfordert auch andere Qualifikationen.

SZ: Brauchen wir professionelle Aufsichtsräte?

Cromme: Ja, eindeutig. Besonders gilt das für die Vorsitzenden. Diese Aufgabe ist inzwischen sehr zeitaufwendig. Die Zeiten sind vorbei, in denen man auf der Fahrt zur Aufsichtsratssitzung mal eben kurz in die Unterlagen schaute.

SZ: In der deutschen Wirtschaft herrscht noch immer das Prinzip, dass sich eine Handvoll Manager gegenseitig kontrolliert und sie daher auch nicht weh tut.

Cromme: Das war einmal. Wir dürfen das Kind aber nicht mit dem Bade ausschütten. In allen Ländern gibt es unterschiedliche Netzwerke, um sich vor wirtschaftlich nachteiligen Entwicklungen zu schützen. Weil die großen Versicherungen nicht mehr die großen Beteiligungen halten, ist ein Großteil der deutschen Industrie inzwischen ungeschützt und kann jederzeit übernommen werden.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, ob Cromme feindliche Übernahmen ablehnt.

"Heute kommt alles auf den Tisch"

SZ: Die personelle Verflechtung der Unternehmen dient dem Schutz des Industriestandortes Deutschland?

Cromme: Wir müssen sicherstellen, dass industriell nicht sinnvolle Übernahmen, die nur aus finanztechnischen Gesichtspunkten gemacht werden, erschwert werden. Ich bin kein Gegner feindlicher Übernahmen. Aber wir müssen uns klar sein, welche nachteilige Wirkung es hat, wenn der Sitz eines Unternehmens ins Ausland verlegt wird. Das hat weitreichende Folgen für den Arbeitsmarkt die Investitionsentscheidungen und das soziale Umfeld bis hin den Wirtschaftsprüfern, Rechtsanwälten, Schulen und Universitäten.

SZ: Das ist das Denken von gestern.

Cromme: Ist es nicht. Hier in Deutschland kann jeder jedes Unternehmen kaufen. Als sich Eon im vergangenen Jahr in Spanien engagierte, wurde das verhindert.

SZ: Seit sechs Jahren gibt es einen Verhaltenskodex für Unternehmensführung. Trotzdem haben die Manager inzwischen ein schlechteres Ansehen als Politiker.

Cromme: Das ist richtig. Richtig ist aber auch, dass in der Öffentlichkeit Einzelfälle verallgemeinert werden.

SZ: Liegt das nicht auch an den exorbitant gestiegenen Gehältern?

Cromme: Zum Teil. Wir haben die Gehälter zuletzt an die Gewinnentwicklung gekoppelt. Vor einigen Jahren konnte doch keiner ahnen, dass die Gewinne so phänomenal steigen würden. Da ist jetzt der Aufsichtsrat gefordert. Wenn ein Unternehmenschef eine bessere Entwicklung erreicht als der Konkurrent, sollte man das honorieren. Wenn alle sich gleich bewegen, gibt es dafür keinen Grund.

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