Interview mit Ethnologe Stefan Leins:"Börsenhandel ist eine sehr körperliche Arbeit"

Interview mit Ethnologe Stefan Leins: Der Paradeplatz in Zürich, auf den ersten Blick einer der bekanntesten Orte der Schweiz. Auf den zweiten: eine Black Box.

Der Paradeplatz in Zürich, auf den ersten Blick einer der bekanntesten Orte der Schweiz. Auf den zweiten: eine Black Box.

(Foto: imago stock&people)

In der Bank wird geprasst und gekokst? Von wegen. Der Ethnologe Stefan Leins hat zwei Jahre lang mitgearbeitet und fand heraus: Vieles davon ist nur Theater.

Von Pia Ratzesberger und Charlotte Theile

Er verherrlicht das Geld, er giert nach Macht und er missachtet die Moral: So stellen sich viele Menschen den Banker vor, ein klischeehaftes Wesen, das sie doch längst von der Kinoleinwand kennen. Doch geht es in den Finanzinstituten der Welt wirklich so zu wie in The Wolf of Wall Street? Was sind das für Menschen, bei denen sich Tag für Tag alles um Millionen und Milliarden dreht?

Der Ethnologe Stefan Leins hat zwei Jahre lang in einem Zürcher Kreditinstitut mitgearbeitet, um genau das herauszufinden. Während andere Kollegen in Papua-Neuguinea forschten, wollte er dem Stamm der Banker näherkommen. Der allerdings hatte mit dem gängigen Klischee nicht mehr viel zu tun: "Die Banker, die ich kennengelernt habe, entsprechen kaum mehr dem Kokain konsumierenden, Stripklubs besuchenden Bild des Bankers. Das sind bodenständige Menschen, die ihr Gehalt in ein Eigenheim im Zürcher Umland investieren. Teuer essen, teure Ferien. Und klar: ein, zwei, vielleicht drei Autos. Solche Dinge", sagt Leins.

Weniger bodenständig ginge es hingegen immer noch an der Börse zu. "Händler schreien herum und schwitzen wie verrückt", sagt Leins. "Börsenhandel ist eine sehr körperliche Arbeit." Trotzdem sei ein Großteil davon Theater, viele der wild mit den Händen gestikulierenden Händler zögen eine Show ab und müssten dort gar nicht stehen - schließlich findet der Handel heute außerhalb des Börsenrings statt.

Händler und Banker wissen um das miese Image ihres Berufsstandes. Deshalb prahlen sie Leins zufolge nicht mehr mit ihrer Arbeit, sondern erzählen lieber von ihren Aussteigerfantasien: "Viele Banker suchen das alternative Leben. Einige haben mir gesagt: 'Weißt du, das hier mache ich jetzt zwei Jahre, dann gehe ich zu einer NGO oder mache einen Club auf'." Tatsächlich aussteigen, das tun dann aber doch nur die wenigsten. An die hohen Summen gewöhne man sich und andere Branchen könnten mit der Bankenwelt kaum mithalten, sagt Leins, selbst die Versicherungsbranche nicht. Die meisten von denen, die ihm damals vom zweiten Leben als Surflehrer vorschwärmten, arbeiten also nach wie vor als Banker - Karma-Konto und Atoll in der Südsee müssen warten.

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