Internet-Modehändler Zalando:Im Hauptquartier der Frauenversteher

Mit Schuhen, Mode und schrillen Werbespots ist Zalando zu einer führenden deutschen Marke im Online-Handel aufgestiegen. Investoren hoffen auf das große Geld und die Berliner Antwort auf die großen US-Shopping-Portale. Über ihre Start-Up-Firma haben die Gründer bislang nicht viel verraten. Jetzt sprechen sie erstmals über Zahlen, Pläne und wahre Klischees. Ein Besuch in Berlin.

Sophie Crocoll und Lutz Knappmann

Erfolg misst Zalando auch in Stahl und Beton. Neben dem Empfang im fünften Stock des Berliner Firmensitzes haben die Geschäftsführer Robert Gentz, David Schneider und Rubin Ritter einen Bildschirm aufhängen lassen. Darauf ist eine Baustelle in Erfurt zu sehen, eine Webcam überträgt die Arbeiten. Zalando lässt ein neues Warenlager errichten. Erst Anfang Dezember wurde der Grundstein gelegt, jetzt steht schon der Rohbau. Noch in diesem Jahr soll das Lager in Betrieb genommen werden. Zalando investiert in Erfurt etwa 100 Millionen Euro und will dort 1000 Mitarbeiter einstellen.

Internet-Modehändler Zalando: Im Keller des Berliner Zalando-Hauptquartiers türmen sich die Schuh- und Kleidungs-Muster, mit denen die Produkte im Netz bebildert werden. Mittendrin: die Studienfreunde David Schneider (l.), Rubin Ritter (M.) und Robert Gentz, die den Onlinehändler aufgebaut haben

Im Keller des Berliner Zalando-Hauptquartiers türmen sich die Schuh- und Kleidungs-Muster, mit denen die Produkte im Netz bebildert werden. Mittendrin: die Studienfreunde David Schneider (l.), Rubin Ritter (M.) und Robert Gentz, die den Onlinehändler aufgebaut haben

Es ist der nächste Wachstumsschub für das wohl auffälligste und zugleich geheimnisvollste Start-up, das die deutsche Internetszene derzeit zu bieten hat: Vor kaum mehr als drei Jahren gegründet, ist Zalando Marktführer im Online-Schuhhandel, eine wachsende Macht im Internet-Modehandel - und bekannt für die schrillen Werbespots mit dem Slogan "Schrei vor Glück". Zalando ist beliebt bei Frauen, die über das Netz Waren bestellen, sowie bei Investoren, die hier den nächsten großen Börsencoup wittern, das deutsche Facebook.

Probleme, Geld aufzutreiben, haben Gentz, 28, Schneider, 29, und Ritter, 30, nicht: Es haben sich deutsche Verleger, der Einzelhändler Tengelmann, der schwedische Kinnevik-Konzern und seit kurzem auch der russische Facebook-Investor Digital Sky Technologies (DST) beteiligt. Die Mehrheit der Zalando GmbH gehört nach wie vor den Brüdern Marc, Oliver und Alexander Samwer; sie gelten als die mächtigsten Unternehmer der deutschen Internetszene. Das Trio soll auch den Namen erfunden haben, angeblich als Kreation aus Zappos (US-Onlineschuhhandel) und Alando, der ersten Gründung der Samwer-Brüder, die später von Ebay übernommen wurde. Es ist das Markenzeichen der Samwers, Neugründungen schnell und gezielt groß zu machen. Experten sagen, bei Zalando wollen sie noch mal richtig verdienen.

Über das Wachstum der Firma ließ sich bisher nur spekulieren - anhand der vielen Zalando-Pakete, die sich täglich in verschiedenen Poststellen stapeln, oder anhand der etlichen Stellenanzeigen im Netz, vor allem aber anhand der Branchengerüchte. Das ändert sich nun, zumindest ein wenig. Es sei an der Zeit, "ein bisschen offener zu werden", sagt Rubin Ritter im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Die jungen Unternehmer fürchten, dass die Spekulationen allmählich außer Kontrolle geraten.

Wie stark Zalando zugelegt hat, das lässt sich so beschreiben: Anfangs packten die Gründer die Pakete in einer kleinen Berliner Wohnung. Inzwischen sitzt die Firma in einem ehemaligen Umspannwerk im Stadtteil Prenzlauer Berg, einem monumentalen Klinkerbau mit Großraumbüros, die dem Klischee des Berliner Internet-Start-ups perfekt entsprechen. Hohe, helle Räume. Regale, die den Raum in Schreibtischinseln teilen. Ikea-Sofas. Süßigkeitenautomaten - und junge, gut aussehende Mitarbeiter, im Schnitt höchstens Ende zwanzig.

200 Millionen Euro Umsatz in sechs Monaten

In der Zentrale ist es laut. Ständig klingeln die Smartphones der drei Geschäftsführer, vor dem Fenster lärmen Baumaschinen. Erst 2010 ist die Firma in ihr neues Hauptquartier gezogen, noch immer wird renoviert. Der Platz reicht schon jetzt nicht mehr aus.

Gentz und Schneider passen ziemlich gut ins Bild des jungen Unternehmers: Beide haben an der Wirtschaftshochschule in Vallendar bei Koblenz studiert. Schon viele Absolventen der Universität haben Internetfirmen gegründet, auch Finanzier Oliver Samwer hat dort studiert. Als sie wussten, dass sie einen Internet-Handel aufziehen wollen, meldeten sich Gentz und Schneider bei dem Überall-Geldgeber. "Wenn man was im Internet gründet, landet man relativ automatisch bei ihm", sagt Schneider. Inzwischen habe Zalando aber eine eigene Unternehmenskultur aufgebaut und sei weitgehend von den Samwers unabhängig, betonen die Manager. Branchenkenner bezweifeln das: Schließlich haben die Samwers den Ruf, nur ungern die Kontrolle abzugeben.

Als Rubin Ritter, 30, vor gut zwei Jahren zu Zalando kam, hatte die Firma etwas mehr als 50 Mitarbeiter. Inzwischen sind es weit über 1000 Angestellte. Das Personal in Erfurt wird bald dazukommen. Die Umsätze sind nach dem Start des Portals Ende 2008 sprunghaft gewachsen: "2010 haben wir 160 Millionen Euro Nettoumsatz gemacht. Im ersten Halbjahr 2011 waren es 200 Millionen Euro - in nur sechs Monaten", rechnet Ritter vor. "Das ist der Wachstumspfad, auf dem wir uns befinden." Da das Tempo in der zweiten Jahreshälfte nicht nachgelassen hat, dürfte Zalando 2011 etwa 500 Millionen Euro umgesetzt haben.

Neuer Investor sorgt für Spekulationen

Längst geht das Geschäft über Deutschland hinaus. In sieben Ländern ist Zalando mittlerweile aktiv, darunter in Italien, Holland und Großbritannien. Und international habe der Onlinehändler "noch viel vor", sagt Mit-Geschäftsführer Schneider. Kein Wunder, dass dieses Wachstum Spekulationen nährt. Denn es kostet die Firma viel Geld.

Die Gerüchte nährt auch Zalandos neuer Investor. Als Anfang Februar bekannt wurde, dass der russische Finanzier DST sich mit vier Prozent an dem Modehandel beteiligt hat, sorgte das für Aufmerksamkeit: DST ist einer der mächtigsten Geldgeber für Internetunternehmen weltweit. Die Beteiligungsfirma gehört den russischen Milliardären Alischer Usmanow, Jurij Milner und Grigorij Finger - und DST ist mit sieben Prozent an Facebook beteiligt. Der geplante Börsengang des Netzwerks geht stark auf die Initiative von DST zurück. Auch Anteile am Gutscheinportal Groupon und am Spieleentwickler Zynga gehören dem russischen Finanzier, auch diese Firmen sind mittlerweile an der Börse.

Ist das Berliner Start-up also der nächste Kandidat für einen Milliarden-Börsengang? "Der Einstieg von DST ist keine strategische Richtungsentscheidung", sagt Ritter. "Er ist auch kein Signal für einen bevorstehenden Börsengang." Ausschließen will er nichts: "Natürlich kann ein Börsengang für Zalando mal eine Option sein, aber weder steht er jetzt unmittelbar bevor, noch ist er konkret geplant." Auch wollten weder die Gründer noch die Geldgeber die Firma verkaufen. "Wir wollen Zalando nachhaltig und längerfristig aufbauen", sagt Ritter. "Wir investieren in Erfurt in einen großen Lagerstandort. Wenn jetzt jemand das Unternehmen unbedingt verkaufen wollte, warum sollte er so viel Geld ausgeben?"

Bisher seien Start-ups oft zu früh abgegeben worden. Zalando wolle einen Schritt weiter gehen, sich zumindest in Europa etablieren. Schon oft haben deutsche Gründer ihre Firmen an Vorbilder aus den USA verkauft, die Brüder Fabian und Ferry Heilemann etwa das Rabattportal Dailydeal an Google, die Samwers den Wettbewerber Citydeal ans Original Groupon. "Dann gibt es eben mal ein Unternehmen, das ist der große Bruder in Berlin", sagt Ritter.

"Ich halte es für ausgeschlossen, dass die Samwers sich länger als vier Jahre bei Zalando engagieren werden", glaubt dagegen Joel Kaczmarek. Er ist Chefredakteur beim Branchenmagazin Gründerszene.de. Das passe nicht zu den Brüdern. Die würden Geschäftsführern normalerweise fertig ausgearbeitete Performance-Pläne vorlegen, Start-ups aggressiv aufblähen und dann teuer verkaufen. "Zalando verbrennt für seinen globalen Aufbau gerade kräftig Geld. Es ist also nicht die Frage ob, sondern wie die Samwers aus der Beteiligung aussteigen."

Kleidung ist ein schwieriges Geschäft für Onlinehändler

Profitabel ist das Geschäft noch nicht. 20 Millionen Euro Verlust machte Zalando im Jahr 2010, bestätigen die Gründer: "Eine bewusste Investition in Wachstum" sei das gewesen, erläutert Ritter. "Das ist ja auch völlig in Ordnung, so lange sich die wichtigsten Kennzahlen positiv entwickeln und man dieses Ergebnis finanzieren kann - aus der Substanz der Firma." Und bislang verfolgen sie diese Strategie mit Unterstützung potenter Geldgeber unverändert weiter.

Nach Zahlen von Gründerszene.de lässt der Einstieg von DST auf die 15. Finanzierungsrunde bei Zalando schließen. Wie viel Investorengeld insgesamt bisher geflossen ist, kommentieren die Gründer nicht. So weit reicht die neue Offenheit nicht. "Viele haben aus der Aufnahme von DST als Gesellschafter abgeleitet, Zalando brauche wieder ganz dringend Geld. Das war nicht der Fall", sagt Ritter nur. Experten schätzen, dass DST einen zweistelligen Millionenbetrag bezahlt hat - für gerade mal vier Prozent.

Zalando braucht das Geld. Kaum ein Markt ist für Internethändler schwieriger als das Geschäft mit Schuhen und Kleidern. Sortimente müssen im Voraus finanziert, gelagert und verschickt werden. Dazu kommt, dass viele Paar Schuhe, Kleider und Jeans zurückkommen. Bei Mode werde in der Regel jeder zweite bestellte Artikel zurückgeschickt, schätzt Payam Akbar von der Hochschule Niederrhein; bei Schuhen sei die Quote noch höher. Zudem blieben Kunden ihren Anbietern im Netz nur selten treu. Aber nur wenn ein Kunde mehrmals bestellt, lohnt er sich. Bei Zalando seien die Retourquoten branchenüblich, betonen die Geschäftsführer. "Für uns gilt dasselbe wie für den klassischen Versandhandel: Bei der ersten Order ist nicht jeder Kunde profitabel", sagt Robert Gentz.

Peter Thormann, Handelsexperte und Partner bei der Unternehmensberatung Deloitte, sieht großen Spielraum: "Bislang war der Handel mit Medien im Netz führend, der Modebereich hat aber aufgeholt, beide liegen bei etwa 15 bis 20 Prozent." Man werde diese Anteile sicher verdoppeln können. "Das ist alles Kannibalismus: Der Einzelhandelsumsatz insgesamt wächst nicht", sagt der Berater.

Bei der Ansprache der Kunden hilft Zalando der TV-Konzern Pro Sieben Sat 1: die Zalando-Spots sind bei dessen Privatsendern fast allgegenwärtig - Spots im Wert von vielen Millionen Euro. Der Onlinehändler entlohnt den Fernsehanbieter durch eine Umsatzbeteiligung dafür.

Vor allem Frauen lassen sich von der Werbung animieren. "Sie wären erstaunt, wie viele Klischees man bei Zalando in Zahlen beweisen kann", sagt Manager Gentz. Frauen kaufen impulsiv, interessieren sich für Trends; "Männer kaufen halt 'ne Jacke, wenn's kalt wird", ergänzt David Schneider. Und deutsche Frauen, die Kleider kaufen, tauschen am meisten um. Damit das seltener passiert, haben die Unternehmer in ihrer Zentrale eine Halle voller Requisiten eingerichtet. Dort bilden Kleider an Stangen lange Gänge. Schuhe türmen sich in Regalen - lila Pumps und lila Sneakers. Die Mitarbeiter nehmen jeden Artikel aus dem Plastik oder dem Karton, fotografieren ihn in verschiedenen Positionen, befühlen und beschreiben ihn. Das soll dem Kunden das Gefühl im Laden ersetzen.

Zalando investiert kräftig in den Aufbau eigener Schuh- und Kleidermarken wie "Zign Shoes" oder "Mint & Berry". Der Markt ist umkämpft: Immer mehr Marken-Hersteller nutzen das Internet und eröffnen ihrerseits eigene Läden im Netz. Zalandos Schwierigkeit liege darin, dass es den Laden nur im Internet gibt, sagt Akbar. Auch Berater Thormann rechnet damit, dass Händler, die mehr als einen Vertriebsweg bedienen können, langfristig besser dastehen.

Es ist ein langer Weg, den die Gründer Schneider und Gentz hinter sich haben. Bei Praktika in Banken und Beratungsfirmen lernten sie zu reden wie Business-Leute - und gründeten Zalando. Ritter, einen Freund aus Studientagen, holten sie später dazu. Den Anzug haben sie gegen Jeans getauscht, die Budapester gegen bordeauxrote Sneakers oder graue Wildlederschuhe. "Es geht nicht um Egos", sagt Gentz, "sondern um ein großes Team."

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