Suchmaschine Seznam.cz:Warum Google in Tschechien ein Knirps ist

Suchmaschine Seznam.cz: Das schwarz-weiß gescheckte Maskottchen der tschechischen Suchmaschine Seznam.cz

Das schwarz-weiß gescheckte Maskottchen der tschechischen Suchmaschine Seznam.cz

(Foto: Daniel Hofer)
  • Während überall in Europa die Marktmacht von Google diskutiert wird, gibt es dieses Problem in Tschechien nicht: Zwei Drittel aller Tschechen nutzen die Dienste von seznam.cz.
  • Die Firma bietet mittlerweile fast 30 verschiedene Dienste, zum Beispiel ein Portal für die Auto- und Wohnungssuche.
  • Die großen Konzerne wie Google und Amazon haben sich lange Zeit nicht sonderlich für das Land interessiert. Das ändert sich jetzt.

Von Varinia Bernau, Prag

Hunde sind treue Gefährten. Das schwarz-weiß gescheckte Exemplar, das auf der Internetseite seznam.cz neben dem Suchschlitz hockt, steht den Tschechen seit fast 20 Jahren zur Seite, wenn sie sich durchs Internet klicken: Er begleitet sie beim Blick in E-Mails, der Suche nach dem Weg, einem neuen Job oder ein wenig Unterhaltung. Kurzum: bei all den Dingen, die die meisten Europäer bei einem amerikanischen Anbieter erledigen.

Einst war Ivo Lukačovič, der Gründer von Seznam, diesem Hund auf der Straße begegnet - und hat ihn kurzerhand zum Maskottchen des Unternehmens gemacht, dessen Seiten zwei Drittel aller Tschechen besuchen, wenn sie im Netz surfen. Google mag zu einer enormen Macht in Europa geworden sein. Doch der Internetkonzern beherrscht keinesfalls den gesamten Kontinent. Ebenso wenig übrigens wie Amazon, Ebay oder Uber. Ein kleines Land widersetzt sich den Amerikanern.

Wer verstehen will, wie Seznam schafft, woran viele scheitern, muss in den Osten von Prag reisen. In jenes Viertel, das einst von Brauereien, Eisenbahnwaggons und Textilfabriken geprägt war - und in dem heute junge Menschen an der digitalen Zukunft schrauben. Hinter hohen Fassaden aus Waschbeton und Glas sitzen die meisten der 1100 Mitarbeiter von Seznam. Von der Decke baumeln Leuchtdioden und Blumentöpfe. Auf den Tischen liegen rote Pappuntersetzer mit dem Passwort fürs Internet. Auch eine Kletterwand gibt es.

Google wollte die Welt erobern, das tschechische Pendant Seznam das eigene Land durchdringen

Im sechsten Stock sitzt Pavel Zima, ein schmaler Mann im Jeanshemd: "Es gab um die Jahrtausendwende einige gute Suchmaschinen in Europa", sagt der Chef von Seznam. Aber die meisten seien von Medien- oder Telefonkonzernen gekauft worden, die in einem ganz anderen Geschäft unterwegs waren. Seznam hatte zu der Zeit einen schwedischen Risikokapitalgeber gewonnen. Kurz darauf platzte die Internetblase. "Für uns war das ein riesiges Glück." Das Start-up bekam zwar Geld, um weiter zu wachsen. Aber der Investor konnte sich nicht mehr die Mehrheit sichern. So hatten die Gründer weiterhin ihre Freiheit - statt das Unternehmen fit für einen Börsengang machen zu müssen.

Suchmaschine Seznam.cz: Satireshows bis Kartendienst: Das tschechische Internetunternehmen Seznam bietet fast 30 verschiedene Dienste. Das Maskottchen ist ein gescheckter Hund.

Satireshows bis Kartendienst: Das tschechische Internetunternehmen Seznam bietet fast 30 verschiedene Dienste. Das Maskottchen ist ein gescheckter Hund.

(Foto: PR)

Seznam ist das tschechische Wort für Listen. Damit hat alles angefangen: Ivo Lukačovič, ein Freund von Zima, legte Mitte der Neunzigerjahre eine Übersicht für seine Lieblingsseiten im tschechischen Netz an. Wenig später fügte er auch ein paar Nachrichten hinzu. Die Zahl der Zugriffe stieg - und Lukačovič entschloss sich, Werbeplätze am oberen Rand seiner Seite zu verkaufen, um mit seinem Hobby ein wenig Geld zu verdienen. Zwei Jahre später stieß Zima dazu. Er kannte sich mit Computern aus - und sollte dafür sorgen, dass der Server nicht in die Knie ging, wenn wieder einmal viele Leute auf die Seite klickten.

Zur selben Zeit wurde auf der anderen Seite des Ozeans eine Firma namens Google gegründet. Wie Seznam machte auch sie sich an die Entwicklung einer Suchmaschine. Für englischsprachige Internetseiten war dies damals noch deutlich einfacher. Denn im Tschechischen gibt es sieben Fälle - und somit sieben unterschiedliche Schreibweisen eines Wortes.

Während die Amerikaner die Welt erobern wollten, ging es den Tschechen darum, ihr eigenes Land zu durchdringen.

Pavel Zima zieht ein iPhone aus seiner Hosentasche - und öffnet den Kartendienst von Seznam. Der Stadtplan von Prag zeigt nicht nur wie Google Maps Straßen. Er zeigt auch: Hausnummern, Bankautomaten, Straßenbahnhaltestellen und markante Gebäude wie die Synagoge oder das Kino unweit von Zimas Büro. Dann zoomt er zur Schneekoppe - und auf der Karte tauchen auch Wanderwege und Höhenlinien auf. "Wir Tschechen sind leidenschaftliche Wanderer", sagt Zima. Ein einheimisches Unternehmen weiß so etwas. Es gestaltet die Karten fürs Riesengebirge so, dass Wanderer sich dort zurechtfinden, und bietet die Möglichkeit, diese auch dann zu nutzen, wenn man im Wald keinen Zugang zum Internet hat.

Der Onlinehändler mall.cz passt sein Sortiment an die Vorlieben der Kunden an

Suchmaschine Seznam.cz: Pavel Zima führt Seznam - und fordert Google heraus.

Pavel Zima führt Seznam - und fordert Google heraus.

(Foto: PR)

"Seznam hat eine unglaubliche Fähigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden", sagt Ján Simkanič. Er leitet den Verband der tschechischen Internetfirmen, hat einen Branchendienst aufgebaut und richtet Fachkonferenzen aus. Nun sitzt er in einem Kaffeehaus, ein Laptop vor sich, und versucht die Eigenarten der Tschechen im Netz zu erklären. Es gibt, so sagt er, in seinem Land einige ausgezeichnete Entwickler, die wissen, wie man neue Technologien nutzt. Seznam hat sein Angebot stetig ausgebaut: Auf die Suchmaschine folgten E-Mails, Karten, Wettervorhersagen, ein Wörterbuch, ein Portal, auf dem man Autos oder Wohnungen suchen kann. Fast 30 verschiedene Dienste bietet die Firma inzwischen. Seit Kurzem hat Seznam auch einen Streamingdienst mit eigenen Serien. Auch eine politische Satireshow ist darunter. Etwas, das es im tschechischen Fernsehen gar nicht gibt - und auf große Begeisterung stößt. All dies ist kostenlos. Geld macht Seznam mit Werbung. Der Jahresumsatz lag zuletzt bei umgerechnet 106 Millionen Euro, der Gewinn bei 33,9 Millionen Euro.

In Tschechien haben einheimische Unternehmer die Menschen mit eigenen Diensten begeistert - ehe diese die Angebote aus Amerika überhaupt entdecken konnten. "Wir Tschechen ändern unsere Gewohnheiten nicht so schnell", sagt Simkanič. "Meine erste E-Mail-Adresse hatte ich bei Seznam. Und ich hatte keinen Grund, mir eine neue zu besorgen." Als patriotisches Statement will Simkanič das nicht verstanden wissen. Anders als in Deutschland fürchtet sich in Tschechien niemand vor Google. Über Datenschutz werde in seinem Land noch nicht debattiert, erzählt Simkanič.

Dass einheimische Internetunternehmen in Tschechien so stark sind, liegt auch daran, dass sich die amerikanischen Konzerne für das kleine Land mit seinen 10,5 Millionen Einwohnern lange Zeit nicht interessierten. Auch Amazon, noch so ein Gigant, dessen Dienste fast alle Deutschen nutzen, aber trotzdem verfluchen, ist in Tschechien nicht präsent. Wenn die Tschechen im Netz shoppen, dann zumeist bei mall.cz.

Mittags bestellen, nachmittags abholen

So wie der Geschäftsmann im Anzug, der nun zu einem knallroten Automaten im Erdgeschoss eines neuen Bürogebäudes in der Mitte von Prag eilt. Er zieht einen Zettel und seine Kreditkarte aus dem Sakko, tippt, geht anschließend zu einem der Schalter - und holt dort ab, was er zuvor im Netz bestellt hat. Kurz darauf rennt er mit einem Topfset davon. Ein anderer Mann schultert eine riesige Packung Katzenstreu. 17 solcher Läden betreibt mall.cz im ganzen Land. Dort kann man um 16 Uhr bereits abholen, was man bis mittags online bestellt hat. Noch vor zehn Jahren waren die meisten Tschechen davon überzeugt, dass Onlinehändler ihnen zwar viele Versprechen machen - diese dann aber doch nicht einhalten. Mall.cz hat es geschafft, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Eine Lieferung binnen weniger Stunden - in einem kleinen Land ist das möglich. In Polen aber, ein Land, fast vier mal so groß wie Tschechien, gibt der Onlinehändler dieses Versprechen nur Kunden in Wrocław. Denn dort ist das Lager.

Auch die Slowakei, Slowenien und Ungarn hat sich der tschechische Internethändler erschlossen. "Im Hintergrund läuft ein und dasselbe System, aber nach vorne passen wir uns den Gegebenheiten an", sagt der zuständige Manager Vít Endler. "Wir sehen aus wie eine einheimische Firma." 60 bis 80 Prozent des Sortiments sind in all diesen Ländern identisch, über den Rest entscheiden die Manager vor Ort. Auch die Preise passen sie an. Kühlschränke von Bosch werden überall gekauft, sagt Endler, zumindest von Leuten, die Geld haben. Amica, ein polnisches Unternehmen, sei in seinem Heimatland der gefragteste Hersteller von Küchengeräten, in Tschechischen aber nur Nummer zehn. Solche Sachen müsse man beachten, wenn man ein Kaufhaus im Netz bestücke.

Ob die tschechischen Anbieter den amerikanischen Giganten weiterhin die Stirn bieten, wird davon abhängen, ob sie auch weiterhin einen guten Job machen. "Für unsere Kunden ist es sehr leicht, den Weg zu unseren Konkurrenten zu finden." Mehr als jeder zehnte komme durch eine Preisvergleichsportal zu mall.cz, in Polen ist es sogar jeder dritte. Amazon baut gerade ein Lager in Prag - offiziell, um von dort aus die deutsche Kundschaft zu bedienen. Pavel Zima beobachtet, dass sich Google seit einigen Jahren besonders ins Zeug legt, um seine Dienste auch auf die Tschechen zuzuschneiden. "Dafür, dass wir ein solch kleines Land sind, investieren die hier eine Menge Geld." Vielleicht liege es daran, überlegt er, dass sie im Silicon Valley eine Karte an der Wand haben. "Und Tschechien ist der letzte Fleck in Europa, wo noch kein Google-Fähnchen steckt." Der wahre Gewinner dieses Wettstreits, sagt Zima, sei der Verbraucher. Er bekomme das beste Angebot.

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