Internationaler Währungsfonds:Gutachter: IWF lässt sich von Euro-Ländern unter Druck setzen

Internationaler Währungsfonds: Ein Jahr nach dem Referendum, bei dem die Griechen gegen Sparmaßnahmen votierten (zu denen es aber dennoch kam), fordert ein Demonstrant in Athen den Austritt aus dem Euro.

Ein Jahr nach dem Referendum, bei dem die Griechen gegen Sparmaßnahmen votierten (zu denen es aber dennoch kam), fordert ein Demonstrant in Athen den Austritt aus dem Euro.

(Foto: Louisa Gouliamaki/AFP)

Unabhängige Gutachter werfen IWF-Chefin Lagarde vor, in der Griechenland-Krise nicht hart genug vorzugehen. Der Fonds soll mit geschönten Zahlen gerechnet haben.

Von Cerstin Gammelin und Claus Hulverscheidt, Berlin/New York

Politiker nicht intervenieren lassen. Reformprogramme nicht immer wieder ändern. Alle Mitgliedsländer gleich behandeln: Das sind drei von insgesamt fünf Empfehlungen, die Gutachter des Internationalen Währungsfonds (IWF) in einem vertraulichen Bericht an die eigene Führungsspitze festgehalten haben. Auf knapp 80 Seiten haben die unabhängigen Experten akribisch die Kredithilfen des IWF für Griechenland, Irland und Portugal analysiert - die Kritik ist harsch und umfassend und sorgt mittlerweile innerhalb des Fonds für heftige Debatten.

So bemängeln die Gutachter, dass es der Fonds zunächst als "unwahrscheinlich" bezeichnet habe, dass er überhaupt Kredithilfen an ein Euro-Land zahlen werde. Später habe man es versäumt, sich Richtlinien zu geben, wie mit Ländern einer Währungsunion umzugehen sei, also mit Ländern, die ihre Währung nicht abwerten könnten.

Der IWF habe in den Verhandlungen mit der Troika, also der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank, "seine charakteristische Gewandtheit als Krisenmanager verloren", heißt es in dem Bericht, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Und weil die Brüsseler Kommission im Auftrag der Euro-Staaten verhandelt habe, seien die IWF-Mitarbeiter "in ihren technischen Analysen von Anfang an politischem Druck ausgesetzt gewesen".

Europäer weisen die Vorwürfe zurück - und streiten bald in Washington weiter

Weiter heißt es, der IWF habe das Wirtschaftswachstum vor allem in Griechenland und Portugal "allzu optimistisch" berechnet. Der Ruf des Fonds als "unabhängige, technokratische Institution" habe nicht gefestigt werden können. "Der Auftritt des IWF war uneinheitlich."

Auch wenn das im Bericht, der maßgeblich von Nicht-Europäern geschrieben wurde, so nicht steht: Der Vorwurf der politischen Einflussnahme richtet sich direkt an Fonds-Chefin Christine Lagarde. Der Französin wird schon länger vorgeworfen, Europäer zu großzügig zu behandeln. Konkrete Kritik gibt es aber nicht. Die Eigentümer haben alle Kredite in die Länder der Euro-Zone gebilligt, mehr als 100 Milliarden Euro insgesamt. Die Rückzahlung des Geldes läuft planmäßig.

IWF soll in Griechenland politische Rechenkünste verhindern

Brisant ist der Vorwurf aus Sicht der Bundesregierung. Er macht es deutlich schwerer, das Versprechen zu erfüllen, wonach der IWF bei den Finanzhilfen für Griechenland weiter an Bord bleibt.

Die Bundesregierung hat den Bürgern zugesichert, dass die deutschen Kredite in Griechenland auch deshalb nicht versickern, weil sich der IWF als erfahrener und neutraler Akteur an den Programmen beteiligt. Weil er die Reformen überwacht und dafür sorgt, dass zwei plus zwei vier bleibt, also keine politischen Rechenkünste veranstaltet. Unter der ausdrücklichen Zusicherung, dass sich der IWF am dritten, laufenden Kreditprogramm beteiligt, hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble Ende Mai neue Milliardenkredite für das verschuldete Land freigeben lassen.

Bis Ende des Jahres wollten die IWF-Experten noch einmal nachrechnen

Damals hatte sich der IWF trotz durchverhandelter Nächte geweigert, seine Teilnahme am dritten Kreditprogramm zuzusagen. Seine Begründung: Ohne Schuldenerleichterungen versickern weitere Kredithilfen. Euro-Finanzminister und IWF-Mitarbeiter einigten sich schließlich auf eine Fristverlängerung. Bis Ende des Jahres wollen die IWF-Experten noch einmal nachrechnen, ob Athen seine Schulden langfristig tragen kann, ohne den erwarteten Aufschwung zu gefährden. Falls das Ergebnis positiv ausfällt, wird Lagarde den Anteilseignern des IWF vorschlagen, neue Kredite zu gewähren.

Bereits kommenden Dienstag müssen die Eigentümer des Fonds sich mit der Kritik der unabhängigen Expertenkommission beschäftigen, wenn sie in Washington zum letzten Treffen vor der Sommerpause zusammen kommen.

Schon jetzt ist absehbar, dass sich die Gutachter ihrerseits auf heftige Kritik einstellen müssen. In den europäischen Institutionen heißt es, dass gerade die schwierigen Verhandlungen mit den IWF-Mitarbeitern um die Beteiligung am dritten Kreditprogramm gezeigt hätten, dass diese sich eben nicht politisch unzulässig beeinflussen lassen würden.

Irland und Portugal blieben in der Krise wenigstens politisch stabil

Andererseits habe das Beharren vor allem des griechischen IWF-Teams auf eigenen Berechnungen wiederum bei der deutschen Delegation, die den IWF unbedingt dabei haben will, zu Verärgerung geführt. Es wäre einfacher gewesen, wenn IWF-Chefin Lagarde direkt verhandelt hätte, gab der Bundesfinanzminister damals im Mai in Brüssel zu Protokoll. Aus Eigentümerkreisen verlautete zudem, viele der Punkte, die jetzt bemängelt würden, seien bereits geändert oder beseitigt worden. "Der IWF hat längst damit begonnen, Lehren zu ziehen", hieß es.

Zudem seien die Krisen in Portugal, Irland und Griechenland unterschiedlicher Natur. In Irland war der Bankensektor betroffen, das Land blieb über die Krisenjahre politisch stabil, die Programmvorgaben arbeitete Dublin ab. In Portugal war die wirtschaftliche Basis schwach, die Banken gerieten in Schieflage. Aber ähnlich wie in Irland blieb das Land regierbar, die Verpflichtungen wurden erfüllt.

Über 80 Prozent der Zeit erfüllte Griechenland die Zusagen nicht

Griechenland war dagegen von der Zahlungsunfähigkeit und von politischen Unruhen bedroht. Seit dem Ausbruch der Krise gab es sieben Regierungschefs. Die Euro-Finanzminister hatten mit mehr als zehn griechischen Kollegen zu verhandeln. Über achtzig Prozent der Programmlaufzeit erfüllten die Griechen die Zusagen nicht. Reformen fänden "eben nicht im politischen Vakuum statt", heißt es in Berlin. Kreditgeber, die wollten, dass vereinbarte Verpflichtungen umgesetzt würden, müssten demokratische Strukturen akzeptieren. Nach Regierungswechseln müsse in Grenzen nachverhandelt werden, um den Wählerwillen zu akzeptieren.

Mit Argumenten wie diesen will Lagarde die Anteilseigner überzeugen, das bisherige Vorgehen des Fonds in der Euro-Zone zu billigen - und womöglich auch weitere Kredite für Athen bereitzustellen. Zu dem Bericht der Gutachter wollte sich der IWF am Donnerstag nicht offiziell äußern.

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