Internationale Studie:Steueroase Deutschland

Herbstliche Skyline

Die Skyline der Finanzmetropole Frankfurt, im Vordergrund ein herbstlich belaubter Baum, der im 15 Kilometer entfernten Königstein im Taunus steht

(Foto: dpa)

Das internationale "Netzwerk Steuergerechtigkeit" hat die wichtigsten Finanzzentren der Schattenwirtschaft untersucht. Dabei steht ein Staat weit oben auf der schwarzen Liste, der sonst gerne den Saubermann gibt: die Bundesrepublik.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Was es mit den Steueroasen auf sich hat und wie diese funktionieren, wird im "Arbeitsblatt ab Klasse 10" der Stiftung Jugend und Bildung genau beschrieben. Da ist von "Unternehmern oder vermögenden Privatpersonen" die Rede, die in fernen Ländern Scheinfirmen gründen und große Geldsummen auf die Konten dieser Unternehmen überweisen. "Dadurch können sie in hohem Umfang in Deutschland Steuern sparen. Diese Steuern fehlen dann in den öffentlichen Kassen", heißt es in dem zweiseitigen Überblick, den die Stiftung mithilfe des Bundesfinanzministeriums erstellt hat - Karikatur inklusive.

Ein kleines Detail aber verschweigen die Mitarbeiter von Ressortchef Wolfgang Schäuble den Mittel- und Oberstufenschülern: dass diese selbst in einem "Eldorado" für Geldwäscher und Steuerhinterzieher leben. So zumindest sieht es das international agierende Netzwerk Steuergerechtigkeit (Tax Justice Network, TJN), das an diesem Donnerstag seinen Bericht über die "Schattenfinanzzentren" der Welt veröffentlicht, der alle zwei Jahre erscheint (hier als PDF).

Auf dieser schwarzen Liste liegt Deutschland auf Rang acht - und damit teils weit vor klassischen Steuerparadiesen wie Jersey, den Marshall-Inseln oder den Bahamas. Hauptübeltäter ist die Schweiz, gefolgt von Luxemburg, Hongkong und den Kaimaninseln. Auch die USA (Platz sechs) und Japan (Platz zehn) belegen vordere Plätze. Die am schnellsten wachsenden Schattenfinanzzentren sind Singapur (Platz fünf) und der Libanon (Platz sieben).

Dass einige große Industrienationen so weit vorne landen, liegt daran, dass TJN nicht nur die Intransparenz der jeweiligen nationalen Vorschriften anhand Dutzender Variablen misst, sondern darüber hinaus den "Marktanteil" jedes Landes an den grenzüberschreitenden Finanzströmen einbezieht. Der Grund dafür liegt darin, dass Kriminelle ihre illegalen Geldtransfers trotz des größeren Entdeckungsrisikos lieber über große Finanzplätze abwickeln, als Gewinne mit einigem Aufwand in verschwiegene, politisch aber oft instabile Bananenrepubliken zu schaffen. Ein Land wie Deutschland mit einem großen Marktanteil und relativ weitgehenden Geheimhaltungsmöglichkeiten rangiert so vor Staaten wie Somalia oder Samoa, die zwar völlig intransparent sind, aber kaum am globalen Finanzverkehr teilnehmen.

Nach groben Schätzungen staatlicher wie nichtstaatlicher Organisationen werden allein in der Bundesrepublik Jahr für Jahr zwischen 29 und 57 Milliarden Euro "gewaschen", die aus kriminellen Geschäften sowie aus Steuerbetrug und -hinterziehung stammen. So haben italienische Ermittlungsbehörden nach eigenem Bekunden herausgefunden, dass die kalabrische Mafia, die 'Ndrangheta, Deutschland zu einem ihrer Haupt-Geldwäschezentren erkoren hat. Angeblich schleusen die Gangster über die Bundesrepublik nicht nur eigene Gewinne etwa aus dem Drogenhandel und der Prostitution in den legalen Geldverkehr ein, sondern übernehmen zusätzlich noch Auftragsarbeiten für kriminelle Gruppen aus Mittel- und Südamerika.

"Riesige Kluft zwischen Rhetorik und Realität"

Dass die Bundesrepublik auf der Rangliste so schlecht abschneidet, liegt an den im internationalen Vergleich zahlreichen Geheimhaltungsmöglichkeiten, die Unternehmen und Privatbürger aus aller Welt hierzulande vorfinden. So gebe es zum Beispiel weder ein Register, das die wahren Eigentümer von Briefkastenfirmen offenlegt, noch eine Pflicht für alle Unternehmen, ihre Geschäftsabschlüsse und die Identität der gewinnberechtigten Besitzer zu veröffentlichen, klagt TJN-Wissenschaftler Markus Meinzer. Außerdem könne man in Deutschland leichter als anderswo einen Treuhänder beauftragen, um eine Immobilie zu kaufen.

In der Politik bestehe bei der Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Geldwäsche eine "riesige Kluft zwischen Rhetorik und Realität", die die künftige Bundesregierung endlich überwinden müsse. Bisher sei es so, dass führende Politiker in Sonntagsreden Transparenz forderten, jedoch hinter den Kulissen notwendige Reformen oft blockierten.

Markus Henn, Finanzexperte der Entwicklungsorganisation WEED, verweist auf weitere "kritische Bereiche" in der vermeintlichen Sauber-Republik Deutschland: geheime Konten ehemaliger ausländischer Potentaten wie Muammar al-Gaddafi und Hosni Mubarak, iranische Scheinfirmen und Treuhandschaften, Immobilienkäufe russischer Krimineller oder Glücksspielhallen der italienischen Mafia. Aber auch die Aktivitäten führender deutscher Kreditinstitute in Steueroasen und Diktaturen, allen voran der Deutschen Bank, trügen zum schlechten Abschneiden des Landes bei.

Hinzu kämen die Zersplitterung der Finanzaufsicht und der Steuerverwaltung, die oft mit unterschiedlichen, nicht kompatiblen Computerprogrammen agierten. Für einige Bereiche, etwa die häufig unter Geldwäscheverdacht stehenden Spielhallen, seien die Kommunen zuständig. Viele Städte und Gemeinden seien aber oft weder personell noch von ihrem Fachwissen her in der Lage, es mit der organisierten Kriminalität aufzunehmen.

Das Netzwerk Steuergerechtigkeit, zu dem gewerkschaftliche, kirchliche, sozialpolitische, Umwelt- und wissenschaftliche Gruppen gehören, kritisiert auch die Steuerpolitik in Deutschland scharf. Die TJN-Vertreter fordern unter anderem entschiedene Schritte gegen aggressive Steuersparmodelle großer Konzerne, die anonyme Kapitalertragsbesteuerung abzuschaffen, den Umsatzsteuerbetrug strikt zu bekämpfen, Steuerschlupflöcher für Privatpersonen zu schließen sowie länderbezogene Konzernbilanzen und fairere Doppelbesteuerungsabkommen mit Schwellen- und Entwicklungsländern.

Die Schüler, die im Unterricht mit den Unterlagen des Finanzministeriums arbeiten müssen, erfahren von all dem nichts: In ihrem Arbeitsblatt taucht kein einziger der genannten Punkte auf.

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