SZ-Wirtschaftsgipfel:Es geht bei Flüchtlingen nicht um Politik - es geht um Humanität

Asylsuchende sind für die deutsche Wirtschaft potenzielle Arbeitskräfte. In erster Linie sind sie jedoch Hilfesuchende.

Ein Kommentar von Nikolaus Piper

Jeder sagt es und fast alle sind davon überzeugt: Man darf den islamistischen Terror in Paris nicht mit der Flüchtlingskrise verknüpfen. Es ist eine Beschwörung von Humanität und gesunden Menschenverstand. Flüchtlinge sind Opfer, jedenfalls die übergroße Mehrheit unter ihnen. Man darf sie nicht zu Tätern machen.

Tatsächlich jedoch gibt es eine enge, bedrückende Verbindung zwischen beiden Themen, wenn auch in einem anderen Sinne: Die Mörder von Paris sind, nach allem, was man heute weiß, Beispiele für eine auf katastrophale Weise misslungene Integration von Migranten. Oder von deren Kindern und Enkeln. Einwandererviertel, wie Saint-Denis, Molenbeek in Belgien oder die in den Siebzigerjahren hochgezogenen Hochhaus-Siedlungen rund um Paris sind heute soziale Brennpunkte und/oder Rekrutierungsgebiete und Schutzzonen für Terroristen. Nichts ist zwangsläufig, nicht jeder, der sich von der Gesellschaft zurückgewiesen fühlt, wird zum Mörder. Aber die Lage in Frankreich und Belgien zeigt: Man darf Einwanderer, wie auch immer sie ins Land gekommen sind, nicht alleine lassen.

Keine Garantie, dass sich Zuwanderung nach wenigen Jahren "rechnet"

Die Ökonomie kann hier eine Rolle spielen, vor allem wenn es um das "Wie" der Integration geht. Zunächst einmal sollten Ökonomen gegen einen populär gewordenen primitiven Ökonomismus angehen. Ja, Deutschland braucht Einwanderung, weil die einheimische Bevölkerung schrumpft und weil Facharbeiter fehlen. Aber es gibt keinen Automatismus, wonach die Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und anderen Ländern die Probleme Deutschlands lösen und sich dann nach wenigen Jahren entsprechend "rechnen".

Eine Einwanderungspolitik, die diese Probleme angehen will, würde sicher nicht erst einmal 1,5 Millionen Menschen, die meisten schlecht oder gar nicht ausgebildet, anwerben. Sie würde sich stattdessen gezielt um Einwanderer bemühen, die gut ausgebildet sind und möglichst sofort dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Aber - und darauf hat Michael Hüther hingewiesen, der Präsident des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft: Bei den Flüchtlingen geht es zunächst einmal gar nicht um Einwanderungspolitik, sondern um Humanität. Die Menschen, die über die bayerische Grenze strömen, sind Hilfesuchende und (noch) keine Arbeitskräfte. Die Aufgabe liegt darin, die Hunderttausenden auszubilden und ihnen eine Chance zu geben, mit dem Ziel, dass sie "stolze Bürger dieses Landes" werden (Kanzleramtsminister Peter Altmaier).

Für Flüchtlinge den Mindestlohn zu senken, wäre absurd

Deutschland hat für diese Aufgabe gute und weniger gute Voraussetzungen. Ein Problem ist, dass das Zeitalter der gut bezahlten Industriejobs für gering qualifizierte Arbeitnehmer zu Ende gegangen ist, nicht nur in Deutschland. Auf der anderen Seite sind Wirtschaft und Gesellschaft heute so offen für Migranten noch nie. Viele Firmen kämpfen regelrecht darum, einen Flüchtling einzustellen. Vorbildlich im internationalen Vergleich ist das duale deutsche Ausbildungssystem, also die Kombination von Schule und Praxis in den Betrieben.

Und dann die Frage der Regulierung. Es wäre sicher absurd, für Flüchtlinge den gesetzlichen Mindestlohn zu senken. Niemand will dies ernsthaft, auch nicht in der deutschen Wirtschaft, so man sich durchaus der Kosten des Mindestlohngesetzes bewusst ist. Die Frage ist, wie rigoros dieses Gesetz und andere Regeln des Arbeitsmarktes angewandt werden. Wenn Migranten deswegen der Zugang zum Arbeitsmarkt versperrt wird, dann ist der Preis zu hoch, nicht nur für die unmittelbar Betroffenen.

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