Insolvenzrecht:Mit besonderer Eile

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Dieses Geschäft hat für immer geschlossen. Bei einem Konkurs können auch andere betroffen sein, Zulieferer etwa. Dann droht eine Kettenreaktion. (Foto: Mauritius Images)

Hastig und unbemerkt hat die Bundesregierung die Insolvenzordnung geändert. Wissenschaftler kritisieren, dass das vor allem den Banken hilft.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Wenn eine Firma pleitegeht, bringt das in der Regel auch Geschäftspartner in Nöte. Lieferanten bleiben auf ihren offenen Rechnungen sitzen, Dienstleister können ihre Aufträge nicht mehr ausführen - eine Insolvenz löst meist eine fatale Kettenreaktion aus. Deshalb legen viele Unternehmen Geld zurück, um im Notfall, also etwa der Insolvenz eines Partners, nicht selbst in wirtschaftliche Turbulenzen zu geraten. Wenn dann ein Insolvenzverwalter die Geschäfte der Pleitefirma übernimmt, ist die Begleichung der offenen Rechnungen auch nicht garantiert. Der Verwalter kann teilweise selbst entscheiden, wofür er die verbliebenen Mittel ausgibt und für wen nicht. Genauso möchte es der Gesetzgeber. Eine Insolvenz, erklärte das Bundesjustizministerium, müsse schließlich eine echte "Chance zur Sanierung" sein - um Arbeitsplätze zu retten und die Wirtschaft zu stabilisieren.

Doch während es für viele Zulieferer und mittelständische Unternehmen zum Alltag gehört, ein Ausfallrisiko bei ihren Geschäften einzuberechnen, gibt es eine Branche, die weit weniger Probleme bekommt, wenn der Partner abrutscht: die Banken. Deutsche Gesetze schützen bestimmte Verträge der Finanzbranche vor dem Zugriff der Insolvenzverwalter. Seit mehr als 20 Jahren besteht bereits eine Sonderregel für sogenannte Finanztermingeschäfte. Diese erlaubt Banken, wechselseitig geschlossene Vertragskonstrukte mit insolventen Firmen abzurechnen, ohne dabei auf die Zustimmung des Insolvenzverwalters angewiesen zu sein. Ein Privileg, das Banken nicht nur in Deutschland sondern auch in vielen anderen Ländern der Erde genießen - und welches bald auch viele andere Großunternehmen in Deutschland einfordern können, Strom- oder Gaslieferanten, zum Beispiel. Dies ist das Ergebnis einer Blitz-Reform, die weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit Anfang Dezember beschlossen wurde - im Eilverfahren. Der Rechtsprofessor Christoph Paulus von der Berliner Humboldt-Universität nennt dieses Gesetz ein Ergebnis von "massivem Lobbyismus".

Abends um kurz vor halb elf wurde das Gesetz bei einer Plenarsitzung beschlossen

Auslöser der hektischen Gesetzgebung war ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) am 9. Juni 2016. Das Gericht hatte damals eben jene Sonderregel für Finanzverträge in einem Einzelfall in Frage gestellt. Noch am selben Tag reagierte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) mit einer Allgemeinverfügung und hebelte damit den Urteilsspruch der Richter wieder aus. Würde der Richterspruch greifen und die Finanzverträge unwirksam machen, hätte dies "nicht einschätzbare Folgen für den deutschen Finanzplatz", hieß es in dem Schreiben. Die "Finanzmarktstabilität" sei bedroht. Also widersprach die Behörde den Richtern und erlaubte ausdrücklich die alte Sonderbehandlung von Finanztermingeschäften. Bereits dieses Hinwegsetzen über ein BGH-Urteil sei "verfassungsrechtlich bedenklich" gewesen, moniert der Bonner Rechtsprofessor Johannes Köndgen.

Am selben Tag kündigten auch Justizminister Heiko Maas (SPD) und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) mit einer gemeinsamen Mitteilung auf der Webseite des Finanzministeriums ein neues Gesetz an. Die Bundesregierung werde "unmittelbar gesetzgeberische Maßnahmen" ergreifen und eine "kurzfristige Klarstellung" des Insolvenzrechts auf den Weg bringen, stand da. Schließlich widerspreche das deutsche Recht sonst den Gesetzen aller anderen Mitgliedsstaaten der EU, die Wirkung der Bafin-Verfügung endet zudem am 31. Dezember um 24 Uhr.

Es folgte ein Kabinettsbeschluss mit "besonderer Eilbedürftigkeit" und eine beschleunigte Zuleitung des Gesetzentwurfs an den Bundestag. Die Sitzung des Rechtsausschusses wurde um einen Tag vorverlegt, damit das Gesetz in einer Plenarsitzung am 1. Dezember abends um 22.26 Uhr beschlossen werden konnte. Ein Teil des Gesetzes trat direkt rückwirkend in Kraft, zum 10. Juni 2016.

An der schnellen Änderung der Insolvenzordnung, die Justiz- und das Finanzministerium innerhalb weniger Monate durch den Bundestag paukten, ließ sich beobachten, was passiert, wenn ein Sonderrecht der Banken ins Wanken gerät. Die rechtspolitische Sprecherin der Grünen, Katja Keul, kritisiert, dieses Gesetzgebungsverfahren sei ein "Musterbeispiel dafür, wie sich die Interessen der Finanzindustrie hier ihren Weg bahnen". Ganz gleich, welche Chancen Justizminister Maas ansonsten den insolventen Unternehmern geben will.

Für die Wissenschaftler Paulus und Köndgen, die den Gesetzentwurf im November noch schnell fachlich bewerten sollten, gibt es in der neuen Insolvenzordnung nun eine Lücke, durch die zahlreiche Unternehmen schlüpfen können, um ihr Ausfallrisiko zu senken. Statt wie bisher nur Verträgen aus dem hochvernetzten Finanzbereich ein Sonderrecht einzuräumen, kann sich das Gesetz nun auch auf andere Branchen beziehen. Langfristig, sagt Köndgen, könne dies zu einer verstärkten Ungleichbehandlung der Gläubiger führen. Während einige Unternehmen mit Termingeschäften sich durch entsprechende Rahmenverträge gegen Ausfälle absichern können, bleibt anderen Gläubigern nicht mehr viel Geld übrig, wenn der Insolvenzverwalter die Reste verteilt. Zudem laufe dies auf eine "Gefährdung von Sanierungsverfahren" hinaus, da die privilegierten Gläubiger einem an sich sanierungsfähigen Unternehmen wertvolle Ressourcen entziehen könnten, sagt Köndgen.

Paulus kritisiert die Sonderbehandlung der Finanzbranche im Insolvenzrecht. Das Risiko zu minimieren, fördere ein sorgloses und moralisch fragwürdiges Geschäftsgebaren der Banken, welches auch zur jüngsten Finanzkrise beigetragen habe. Wenn das Risiko gering ist, müssen Banken auch weniger Eigenkapital zurücklegen, erklärt auch das Bundesjustizministerium. Die Kritik, dass das neue Gesetz einseitig Vorteile für ganze Branchen schaffe, sei jedoch "nicht berechtigt", "Warenfixgeschäfte" hätten schließlich schon im vorletzten Jahrhundert als Ausnahme in der Konkursordnung gestanden. Dementsprechend habe sich durch die Eil-Reform eigentlich gar nichts geändert.

© SZ vom 13.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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