Insolvenz:Griff in die Kasse

Insolvenzverwalter machen Manager oft dafür haftbar, dass diese noch Geld überwiesen, als sie schon zahlungsunfähig waren - nicht immer berechtigt.

Von Friederike Krieger, Köln

Die Familie Schlecker muss sich derzeit vor dem Landgericht Stuttgart verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr vor, kurz vor der Insolvenz ihrer Drogeriekette 2012 rund 25 Millionen Euro beiseitegeschafft zu haben, um sie dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen.

Dieser Fall ist spektakulär. Aber es kommt relativ häufig vor, dass Geschäftsführer mit dem Vorwurf konfrontiert werden, sie hätten noch Zahlungen geleistet, als die Gesellschaft längst reif für den Insolvenzantrag gewesen sei. Insolvenzverwalter prüfen regelmäßig, ob Geschäftsleiter vor der Pleite ihre Pflichten vernachlässigt haben. Dazu gehört auch der rechtzeitige Insolvenzantrag. Werden sie fündig, können auf die Manager hohe Forderungen zukommen. "Nach den gesetzlichen Vorschriften kann der Insolvenzverwalter von den Geschäftsführern die Zahlungen zurückverlangen, die nach vermeintlicher Insolvenzreife geleistet wurden und nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar sind", sagt Anwältin Tanja Schramm von der Kanzlei Clyde & Co in Düsseldorf. Oft geht es um zwei- oder dreistellige Millionenbeträge.

Das bestätigt auch Simon Hammerstingl vom Managerhaftpflichtversicherer Hiscox. "Die anfänglichen Forderungen der Insolvenzverwalter liegen mitunter sogar im zweistelligen Millionenbereich." Hiscox versichert Manager gegen Ansprüche aufgrund von Pflichtverletzungen, die Police wird auch D&O-Versicherung genannt, das steht für Directors and Officers. Viele Unternehmen haben eine solche Police für ihre Führungskräfte abgeschlossen. Schadensmeldungen von Geschäftsführern, die sich Rückforderungen von Insolvenzverwaltern gegenübersehen, erreichen Hiscox sehr häufig. "Das ist bei uns sogar der Hauptgrund für die Inanspruchnahme der D&O-Versicherung", sagt er. Diederik Sutorius vom Kölner D&O-Versicherer VOV sieht das ähnlich: "Mittlerweile versucht jeder Insolvenzverwalter, Geschäftsführer haftbar zu machen."

Viele Geschäftsführer sind gegen solche Fälle versichert

Managern, auf deren Schreibtisch ein Brief mit Forderungen vom Insolvenzverwalter landet, rät Hammerstingl, Ruhe zu bewahren. "Der Geschäftsführer sollte nicht aus Wut, Frust oder Schrecken direkt Kontakt mit dem Insolvenzverwalter aufnehmen, sondern seinen D&O-Versicherer kontaktieren", sagt er. Die Versicherer hätten viel mehr Erfahrung mit solchen Fällen, sie stellen den betroffenen Managern auch Anwälte zur Seite. Meist gelingt es, die geforderte Summe zu drücken. "Ich habe noch nie erlebt, dass eine Forderung in ihrer ursprünglichen Höhe Bestand hatte", sagt Hammerstingl. "Oft sind die Ansprüche anfangs noch sehr unsubstanziiert" - also nicht stark begründet. Er habe schon Fälle gesehen, bei denen von einer Forderung von zwei Millionen Euro nur 50 000 bis 60 000 Euro übrig blieben.

Als zahlungsunfähig gilt ein Unternehmen ab dem Zeitpunkt, von dem an es zehn Prozent seiner Verbindlichkeiten nicht mehr begleichen kann. Aber nicht alle Überweisungen ab Eintritt der Zahlungsunfähigkeit sind rückforderbar. "Der Geschäftsführer kann nicht haftbar gemacht werden für Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind", sagt Henrik Schmoll, Anwalt bei der Kanzlei Wellensiek. Dazu zählen Gehälter, Umsatzsteuer und Sozialversicherungsbeträge. "Fraglich ist dagegen, ob der Geschäftsführer noch Ware kaufen und bezahlen darf." Das kann nur im Einzelfall entschieden werden.

Damit die Geschäftsführer gar nicht erst in diese Situation kommen, rät Schmoll, schon dann einen Anwalt in Anspruch zu nehmen, wenn das Unternehmen kriselt. "Dann kann geklärt werden, ob ein Insolvenzantrag gestellt werden muss und welche Zahlungen noch in Ordnung sind", sagt er. Das bestätigt auch Hammerstingl von Hiscox. "Die Fälle, in denen ein Rechtsanwalt sich um die Insolvenzantragsstellung kümmert, gehen oft besser aus."

Vorsicht ist auch deshalb geboten, weil die D&O-Versicherer nicht in jedem Fall zahlen. Ausgeschlossen von der Deckung sind vorsätzliche Pflichtverletzungen, wenn die Geschäftsleitung nicht aus Unkenntnis, sondern absichtlich zu spät Insolvenz angemeldet hat. Auch Schlecker wird vorsätzlicher Bankrott vorgeworfen. Wenn der Vorwurf des Vorsatzes im Raum steht, spielt es auch keine Rolle mehr, an wen der Geschäftsführer die Zahlungen nach der Insolvenzreife geleistet hat. "Bei Vorsatz macht es meist keinen Unterschied, ob ich die Rechnung eines Lieferanten gezahlt oder meiner Tochter Geld zugeschustert habe", sagt Hammerstingl. "Beides deckt die Versicherung regelmäßig nicht ab." In solchen Fällen bleibt der Geschäftsführer nicht nur auf den Millionenforderungen sitzen, sondern muss oft auch noch mit einem Strafverfahren wegen Insolvenzverschleppung rechnen.

Im schlimmsten Fall droht den Betroffenen die Privatinsolvenz

Es kann auch passieren, dass die Deckungssumme der Versicherung nicht ausreicht, erklärt Sutorius von der VOV. Vor allem Mittelständler stellen oft erst sehr spät den Insolvenzantrag, weil die Geschäftsführer - die meist gleichzeitig Inhaber sind - bis zuletzt hoffen, das Ruder noch herumreißen zu können. "Dann kann es passieren, dass sich innerhalb von sechs Monaten Zahlungen in Höhe von mehreren Millionen Euro anhäufen", sagt er. Mittelständler haben meist aber nur relativ geringe Versicherungssummen zwischen fünf und zehn Millionen Euro vereinbart. "Wenn die Summe ausgeschöpft ist, haftet der Geschäftsführer auch weiter mit seinem Privatvermögen, das kann für ihn die Privatinsolvenz bedeuten."

Rechtsanwalt Henrik Schmoll von der Kanzlei Wellensiek wendet ein, dass Insolvenzverwalter nicht das Ziel haben, Geschäftsleiter in den Ruin zu treiben. Seine Kanzlei ist auch selbst als Insolvenzverwalter tätig. "Man muss mit Augenmaß an die Angelegenheit herangehen", sagt er. "Wenn der Geschäftsführer selbst insolvent wird, ist für die Gläubiger auch nicht viel gewonnen."

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