Ingrid Sehrbrock:Gewerkschafterin der leisen Töne

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Sie könnten unterschiedlicher nicht sein: die neue DGB-Vizechefin Ingrid Sehrbrock und ihre Vorgängerin Ursula Engelen-Kefer. Sehrbrock steht für Ausgleich und Zurückhaltung, während sich Engelen-Kefer zu allen Themen zu Wort meldet.

Sibylle Haas

Sehrbrock gilt als Frau der ruhigen Töne, als jemand, der nüchtern an die Themen herangeht - ohne viel Getöse - um ihren Job zu machen.

Kann nach eigenem Bekunden auch empfindlich sein: Ingrid Sehrbrock. (Foto: Foto: ddp)

Ganz anders ist das bekannte Bild, das Ursula Engelen-Kefer - die bisherige stellvertretende Bundesvorsitzende des DGB - in der Öffentlichkeit vermittelt. Sie meldet sich zu Wort, unüberhörbar, zu allen Themen der Arbeits- und Sozialpolitik. Ihre liebsten Themen: Gerechtigkeit, Gerechtigkeit, Gerechtigkeit.

An diesem Dienstag fanden die Wahlen zum Bundesvorstand des DGB statt. Sie bildeten den Mittelpunkt des fünftägigen Gewerkschaftskongresses in Berlin. Der Name der energischen Gewerkschaftsfrau Engelen-Kefer war auf der offiziellen Nominierungsliste nicht mehr zu finden.

Vorgängerin zu unbequem

Kritiker werfen ihr vor, zu stark zu polarisieren. Zu vielen wurde die 62-Jährige, die auch nicht zögert, die Gewerkschaftsoberen zurechtzuweisen, zu unbequem. Ihren Platz sollte deshalb die 57-jährige Sehrbrock einnehmen.

Bis zuletzt ließ Engelen-Kefer offen, ob sie zu einer Kampfkandidatur antreten wird oder nicht. "Es gibt beim DGB ein bewährtes Verfahren, um Kandidaten für die Vorstandsämter auszuwählen", sagte die designierte Vizechefin Sehrbrock kürzlich im Interview der Berliner Zeitung.

"Das hat es noch nicht gegeben"

"Eine individuelle Bewerbung von außen hat es bisher noch nicht gegeben. Ich gehe davon aus, dass Ursula Engelen -Kefer das respektieren wird." Sie täuschte sich. In letzter Minute ließ sich Engelen-Kefer zu einer Kampfkandidatur hinreißen, in der sie dann allerdings unterlag.

Ingrid Sehrbrock ist seit Dezember 1999 Mitglied des Geschäftsführenden DGB-Bundesvorstands und dort für Jugendpolitik, Bildung und den öffentlichen Dienst zuständig. Spektakulär in Erscheinung getreten ist sie bisher nicht.

Gelernte Drogistin

Die 1948 in Offenbach am Main geborene Sehrbrock ist gelernte Drogistin. Sie hat das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg abgelegt, in Frankfurt Anglistik, Politikwissenschaft, Chemie und Pädagogik studiert und später als Studienrätin gearbeitet.

1976 trat sie in die Gewerkschaft HBV ein, die inzwischen in der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi aufgegangen ist. 1985 wurde sie Mitglied im Bundesvorstand der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) und 1987 stellvertretende Bundesvorsitzende der Organisation.

1989 wurde Sehrbrock Bundesgeschäftsführerin der Frauen-Union der CDU und Leiterin der Abteilung Frauen- und Familienpolitik der Union. Aus dieser Zeit kennt sie Bundeskanzlerin Angela Merkel, die damals Frauen- und Familienministerin war.

Auf Konsens aus

Vor ihrem Wechsel zum DGB war Sehrbrock im diplomatischen Dienst, für den sie in Prag und Bratislava als Sozialreferentin gearbeitet hat. Aus dieser Zeit stammt wohl die zurückhaltende Art, die auf Konsens aus ist - anders als die von Engelen-Kefer, der Kritiker das Unvermögen zur Integration vorwerfen.

Trotz aller Nüchternheit könne sie aber auch empfindlich sein, sagt Sehrbrock über sich. Tief beeindruckt habe sie beispielsweise der Besuch in Indien vor zwei Monaten.

Drei Tage lang im Slum gewohnt

Dort hat sie die Frauengewerkschaft Sewa beraten und mit der Bauarbeiterin Jeeviben und deren Familie drei Tage lang in einem Slum unterm löchrigen Wellblechdach gewohnt. "Mit ihr habe ich auf einer ungesicherten Baustelle gearbeitet und ihren Alltag miterlebt", berichtete sie am Montag den Delegierten in Berlin.

Ein großes Anliegen ist ihr die Jugend. Der Ausbildungspakt ist ihr zufolge gescheitert. "Selbstverpflichtungen sind etwas für die Gutwilligen. Wir brauchen etwas für die Verweigerer", sagte sie.

Tarifvertragliche Regelungen könnten helfen, oder eine gesetzliche Umlage. "Dass zehn Prozent eines Altersjahrgangs die Schule ohne Abschluss verlassen, ist und bleibt ein gesellschaftlicher Skandal" - das sind Themen, die sie aufregen.

Guter Draht zur Kanzlerin

Mit der Wahl der CDU-Frau Sehrbrock, die einen guten Draht zur Kanzlerin hat, würde der DGB der großen Koalition von Union und SPD Rechnung tragen. Engelen-Kefer ist SPD-Mitglied.

Die Mitgliedschaft in der CDU macht es Sehrbrock bei den Delegierten am Dienstag gewiss nicht leicht. Ein Großteil der Männer und Frauen, die den Bundesvorstand wählen, gehört ihrer Partei nicht an. Mit dieser Erfahrung jedoch lebt Sehrbrock schon lange.

© SZ vom 23.05.06 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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