Inflationsrate in Deutschland:Was hinter den sinkenden Preisen steckt

  • Erstmals seit 2009 sinken die Verbraucherpreise in Deutschland.
  • Das liegt vor allem am starken Preisverfall bei Benzin und Heizöl - die Energiepreise haben einen starken Einfluss auf die Inflationsrate.

Von Harald Freiberger, Frankfurt

Das Minuszeichen sorgte für starke Irritationen: Erstmals seit fünf Jahren steigen die Preise in Deutschland nicht mehr. Sie sinken. Im Januar lag die Inflationsrate bei minus 0,3 Prozent, zumindest in der ersten groben Schätzung des Statistischen Bundesamts. Der Rückgang hat vor allem eine Ursache: Die Preise für Energie sind binnen eines Jahres stark gesunken, was wiederum eine Folge des eingebrochenen Rohölpreises ist.

Was die Verbraucher freut, stimmt Ökonomen nachdenklich. Schließlich beschwören sinkende Preise auch das Gespenst der Deflation herauf. Die monatlichen Inflationszahlen werden normalerweise routiniert zur Kenntnis genommen. Doch das Minuszeichen davor wirft Fragen auf: Wie kommt die Inflationsrate eigentlich zustande? Die wichtigsten Antworten.

Welchen Einfluss haben die Energiepreise auf die Inflationsrate?

Einen ziemlich großen. Die Ausgaben für Energie - also für Benzin, Gas, Strom und leichtes Heizöl - sind der größte Einzelposten im Haushaltsbudget der Deutschen nach der Miete. Festgeschrieben ist das im sogenannten Wägungsschema, einer Art Bibel für Inflationsstatistiker. Das Schema legt fest, welche Produkte und Produktgruppen mit welchem prozentualen Anteil bei der Berechnung der Preissteigerung gewichtet werden. Es ist ein Spiegel, wofür die Deutschen ihr Geld ausgeben.

Die Heizung für die Wohnung schlägt mit 6,8 Prozent zu Buche, der Kraftstoff für das Auto mit 3,9 Prozent, beides zusammen also mit mehr als zehn Prozent. Die Energiepreise für Verbraucher sanken von Januar 2014 bis Januar 2015 um 9,0 Prozent. Grob gesagt gilt: Sinken die Energiepreise um neun Prozent, schlägt sich dies in der Inflationsrate mit rund einem Prozent nieder, da sie mit gut einem Zehntel im Wägungsschema gewichtet sind.

Und wenn die Energiepreise herausgerechnet werden?

Ohne sie wäre die Inflationsrate im Januar nicht um 0,3 Prozent gesunken, sondern um 0,7 Prozent gestiegen. Ökonomen betrachten zudem eine Inflationsrate abzüglich Energie- und Nahrungsmittelpreise. Sie lag im Januar bei 1,1 Prozent. Nahrungsmittel wurden auch billiger - um 1,3 Prozent.

Warum wurden Heizöl und Benzin nicht so viel billiger wie Rohöl?

Leichtes Heizöl verbilligte sich bis Dezember binnen eines Jahres um 23 Prozent, Diesel um 14 Prozent, Superbenzin um 12 Prozent. Die Januar-Daten dafür liegen noch nicht vor. Das ist zwar beträchtlich, aber bei weitem nicht so viel wie bei Rohöl, das in Fässern (Barrel) zu 159 Litern notiert wird. Der Preis dafür hat sich seit vergangenem Sommer mehr als halbiert.

"Die Senkungen der Weltmarktpreise beim Rohöl kommen nicht in gleichem Umfang beim Verbraucher an", erklärt Sabine Touil, die beim Statistischen Bundesamt für die Methodik der Inflationsrate zuständig ist. Sie würden durch mehrere Effekte abgeschwächt. So ist der Wert des Euro gegenüber dem Dollar stark gesunken. Für die verarbeitende Industrie spielen neben den Einkaufspreisen zudem andere Kostenfaktoren eine Rolle, die nicht gesunken sind, etwa Löhne oder Transport. Zudem können sich auch die Gewinnmargen ändern.

Was waren die stärksten Änderungen?

Gemüse ist zuletzt sogar noch billiger geworden als Energie. So waren Gurken im Dezember 2014 um 35 Prozent günstiger als ein Jahr zuvor, Auberginen um 33 Prozent, Kartoffeln um 28 Prozent. Umgekehrt wurden Weintrauben und Bohnenkaffee um 19 Prozent teurer, Mandeln um 17 Prozent.

Wie viele Preise werden für die monatliche Inflationsrate erhoben?

Es sind "weit über 300 000 einzelne Preise", heißt es beim Statistischen Bundesamt, die von etwa 600 nebenberuflich tätigen Personen jeden Monat festgestellt werden. Sie notieren Preise in Supermärkten, in Discountläden, im Fachhandel oder an Tankstellen. Bundesweit einheitliche Preise, etwa für Zigaretten, werden zentral festgestellt. Es gibt mehr als 500 einzelne Produkte und Dienstleistungen, vom Kinderschlafanzug über Lattenrost und Vogelfutter bis hin zur Sonnenstudio-Gebühr. Die Inflationsrate ergibt sich aus der Preisveränderung der einzelnen Produkte, gemessen an ihrer Gewichtung im Warenkorb, dem Wägungsschema.

Wie häufig wird der Warenkorb verändert?

Das Wägungsschema wird alle fünf Jahre neu festgelegt, zuletzt 2010. In diesem Jahr wird der Warenkorb folglich neu gewichtet. Dazu befragt das Statistische Bundesamt 60 000 Bürger; sie notieren über Monate genau, wofür sie wie viel Geld ausgeben. Hinzu kommen jährlich noch detailliertere Befragungen von 8000 Bürgern. Außerdem zieht das Bundesamt andere Statistiken zu Rate, denn nicht alle Teilnehmer antworten korrekt.

"Bei Befragungen von Verbrauchern gibt es Verzerrungen", sagt Statistikerin Touil. "Ausgaben für Alkohol und Tabak geben die Bundesbürger erfahrungsgemäß zu niedrig an." Das lasse sich aus den Verbrauchssteuerstatistiken ablesen. Es ist ein bekanntes Phänomen, das auch Ärzte kennen, wenn sie Patienten nach ihrem Alkohol- oder Tabakkonsum befragen: Vielleicht unterschätzen diese ihn. Möglicherweise wollen sie ihn besser darstellen, als er in Wirklichkeit ist.

Wie ändert sich die Gewichtung?

"Das Konsumverhalten der Deutschen ändert sich sehr langsam", sagt Touil. So seien markante Unterschiede bei der Gewichtung des Warenkorbs binnen fünf Jahren die absolute Ausnahme. Eine solche Ausnahme gab es allerdings beim letzten Mal im Jahr 2010 bei der Nettomiete, deren Gewicht von 20,3 auf 21 Prozent merklich zulegte. Das war vor allem eine Folge der immer größer werdenden Wohnungen, für die mehr Miete und damit ein größerer Anteil am Gesamtbudget der Haushalte fällig wird. Ein leicht höheres Gewicht bekamen beim letzten Mal private Bildungsangebote. Und auch eine neue Produktkategorie wurde eingeführt: Kaffeepads.

Wie geht die Statistik damit um, wenn sich die Qualität verbessert?

Das kommt häufig vor, gerade bei technischen Produkten. Bei einer neuen Generation von Computern steigt zum Beispiel auch immer die Speicherkapazität der Festplatte. Die Statistiker rechnen solche Qualitätsverbesserungen in einem speziellen Verfahren in Geldwert um und rechnen sie aus dem höheren Preis für die neue Generation heraus. Umgekehrt gilt das auch, wenn sich die Menge eines Produkts verändert: Sinkt das Gewicht einer Tütensuppe bei gleichem Preis um fünf Prozent, gilt das für die Statistiker als eine Preiserhöhung um fünf Prozent.

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