Inflation als Krisenbekämpfung:Ein Leben ohne Schulden ist möglich, aber sinnlos

Wenn der Sparer der Dumme ist: Die globale Schuldenkrise verführt Politiker und Ökonomen zu einem riskanten Therapievorschlag - einer höheren Inflation. Vor allem in den USA ist dieser Gedanke weit verbreitet, aber auch in Europa liegt der Preisanstieg über der üblichen Schmerzgrenze von zwei Prozent. Mit dieser Voodoo-Ökonomie die Schulden zu senken, mag verlockend klingen - doch es ist ein extrem gefährlicher Plan.

Hans-Jürgen Jakobs

In der Krise schlägt die Stunde der Propheten und Theoretiker. Sie sagen, wie schlimm ("Leben mit dem Crash") oder wie gut ("Die Wende kommt") die Wirtschaft stehen wird, und es gibt dazu passend ganz viele Therapievorschläge. Der einfachste kommt aus den USA. Er ist eng verbunden mit der dortigen Notenbank (Federal Reserve) und wird derzeit unter Ökonomen heftig diskutiert.

Einzelhandel am ersten Adventswochenende

Nutzen die Notenbanken die Geldentwertung als Mittel um ihre Schulden zu verringern, geht das am Ende zu Lasten des Verbrauchers: Der bekommt immer weniger fürs Geld.

(Foto: dpa)

Er besagt, dass in der gegenwärtigen Staatsschuldenkrise, die einmal eine Krise der Immobilienkredite und der internationalen Banken war, ein kleines bisschen Inflation die beste Lösung wäre. So zwischen vier und sechs Prozent, empfiehlt der bekannte Wirtschaftswissenschaftler Kenneth Rogoff. Mit ihrer Politik des leichten Geldes - die Zinsen werden bei null gehalten - und einer großzügigen Unterstützung der noch großzügigeren US-Regierung - zwischen Oktober 2010 und Juni 2011 wurden amerikanische Staatsanleihen über 600 Milliarden Dollar gekauft - begünstigt die Fed derzeit die schleichende Geldentwertung.

In der Theorie ist der Mechanismus überaus verführerisch für das deleveraging, das Enthebeln der Schulden. Die Billionen öffentlicher Verbindlichkeiten, in Dollar oder Euro, reduzieren sich danach quasi selbst. Wenn das Geld weniger wert ist, sind auch die Schulden weniger wert. Staaten könnten dann de facto pleite sein, aber ohne Insolvenzantrag gut weitermachen. Wie von Zauberhand verflüchtigt sich in dieser Voodoo-Ökonomie die ungeliebte Last. Alles, was man braucht, ist Geldschwemme.

Tatsächlich haben die USA nach dem Zweiten Weltkrieg auf diese bequeme Art ihr riesiges Staatsdefizit abgebaut. Nach 1945 lag die Schuldenquote, bedingt durch die hohen Rüstungsausgaben, bei 121 Prozent; da sind die heutigen 100 Prozent fast ein freundlicher Wert. In nur einem Jahrzehnt wurden daraus 60 Prozent, der hohen Inflation sei Dank. Möglich wurde das Wunder aber nur durch flankierende Zwangsmaßnahmen: Sie verhinderten, dass die Zinsen stiegen. So mussten Banken und Versicherungen einen bestimmten Anteil ihres Anlagevermögens in Staatsanleihen halten; den Geldinstituten wurde eine Zinsobergrenze verordnet. Kapitalkontrollen stoppten den Abfluss des Geldes ins Ausland.

Im aktuellen globalisierten Finanzkapitalismus erscheint ein solcher Dirigismus, eine "finanzielle Repression", kaum vorstellbar. Dem Schuldenheilplan per Inflation würde so eine wichtige Komponente fehlen. Vor allem aber sprechen ein paar grundlegende Fakten gegen diese Form der ökonomischen Erleichterung. In Wirklichkeit ist es ja so, dass den in einer Inflationszeit erschlichenen Gewinnen der Schuldner die realen Verluste der Gläubiger gegenüberstehen.

Die einen freuen sich, dass ihre Zahllasten in Dollar oder Euro durch Inflation schwinden, die anderen können kalkulieren, wie ihr Sparvermögen ebenfalls dahinschmilzt. Das trifft Rentner und Pensionäre in ihrer Altersversorgung. Oder die Lohnempfänger: Für das erarbeitete Geld gibt es weniger zu kaufen. Oder die Besitzer von Anleihen: Dem Zins steht dann eine viel höhere Inflationsrate gegenüber. Der Realzins wird in erheblichem Maße negativ, es gibt Verluste. Kurzum: Der Sparer ist dann der Dumme. Inflation wäre eine verteilungspolitisch höchst ungerechte Art, die Folgen von Börsen- und Bankenexzessen auf die Allgemeinheit abzuwälzen.

Selbst Helmut Schmidt irrte sich

Vor allem werden Bürger, Arbeitnehmer, Investoren, Firmen und Banken beginnen, sich auf die Entwertung des Geldes einzustellen. Gewerkschaften werden also ein paar Prozente bei der Lohnforderung dazulegen. Unternehmen wiederum setzen die Preise höher an. Es kommt zu einem Klima des Misstrauens, der Verdächtigung. Schon heute kaufen einzelne Deutsche wie von Sinnen Gold.

Grobe Unsicherheiten gefährden, was eine Ökonomie parallel zur Schuldentilgung braucht: Wachstum. Das Schlimmste ist eine kollektive Inflationserwartung. Sie vergrößert am Ende das wirtschaftspolitische Problem und kann eine Volkswirtschaft in den Ruin treiben.

Es ist schließlich eine Illusion zu glauben, man könne Inflation genau dosieren, es also etwa bei maximal sechs Prozent belassen. Lässt man Geldentwertung erst mal zu und akzeptiert sie als politische Maßnahme, wird sie unkontrollierbar. Die statistisch ermittelte Entwicklung bei Preisen ist im Normalfall das Ergebnis eines freien Marktgeschehens, der Dispositionen von Millionen Handelnder. Werden sie verunsichert, kommt es rasch zu zehn oder 20 Prozent.

Man kann Inflation nun mal nicht bestimmen wie das Tempo eines Autos, indem man mit Blick auf den Tacho die Pedale drückt. In der Vergangenheit ist zum Beispiel auch Kanzler Helmut Schmidt während der siebziger Jahre dem Irrtum unterlegen, er könne sich ein bisschen weniger Arbeitslosigkeit wählen bei etwas mehr Inflation. Am Ende hatte er beides: "Stagflation". Auch für den angeblichen "Trade-Off" zwischen Joblosigkeit und Geldentwertung gab es eine ökonomische Theorie, ausgedrückt in der "Phillips-Kurve". Sie ist längst eingemottet.

Im Kampf gegen Schulden taugt Inflation nicht einmal als Ultima Ratio. Es ist ein gefährliches Spiel, sie willentlich herbeizuführen. Die Europäische Zentralbank tut gut daran, es bei ihrem Ziel zu belassen, die Inflation unter zwei Prozent zu halten - auch wenn sie in Europa zuletzt bei deutlich mehr als zwei Prozent lag. Wie man es auch dreht und wendet, den Politikern bleibt als Mittel gegen Finanzlöcher nur die Erhöhung von Steuern und die Senkung von Ausgaben, eine reale Konsolidierung, und kein Entfesselungstrick wie einst bei Harry Houdini, dem Zauberer.

Einstweilen aber werden die Regierenden in Washington, Paris, Rom und Berlin sich um ihre Wiederwahl sorgen und frei nach Loriot handeln: Ein Leben ohne Schulden ist möglich, aber sinnlos.

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