In Asien ist alles anders:Bloß nicht berühren

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Globalisierte Deutsche unterwegs in fremden Management-Kulturen: Ob beim Essen, Begrüßen oder Verhandeln — Geschäfte machen in Asien ist schwer. Das zeigt auch das Scheitern von DaimlerChrysler bei Mitsubishi.

Von Dagmar Deckstein

"Speed, speed, speed" hatte Daimler-Chef Jürgen Schrempp kurz nach der Fusion mit Chrysler als Parole ausgegeben, und so schnell, wie er die Welt AG hochzog, so holterdiepolter erfolgt nun der Rückzug aus Japan und Korea.

(Foto: Foto: AP)

"Hast du es eilig, so mache einen Umweg", lautet ein japanisches Sprichwort. Gut möglich, dass Tempomacher Schrempp und seine asiatischen Statthalter weiter gekommen wären, hätten sie diese Weisheit beherzigt. Allerlei Indizien sprechen jedenfalls dafür.

Kurze Rückblende: Am 22. April kam die überraschende Nachricht, der Stuttgarter Autokonzern werde zwar die 37 Prozent an der Mitsubishi Motor Corporation behalten, aber sich nicht an der notwendigen Kapitalspritze zur Sanierung beteiligen. Den nächsten Coup landete der Aufsichtsrat mit seinem Beschluss, Wolfgang Bernhard werde nicht, wie vorgesehen, Jürgen Hubbert als Mercedes-Chef nachfolgen.

DaimlerChrysler schwächelt in Asien

Begründung: Er sei mit den Mitarbeitern der Edelmarke zu rabiat umgesprungen und hätte die Sparte, die richtig Geld verdient, zum Sanierungsfall schlecht geredet. Schließlich ließ der Konzern diese Woche die nicht weiter erstaunte Öffentlichkeit wissen, dass er seine Anteile am koreanischen Partner Hyundai verkaufen wolle.

Wie kommt es, dass die Welt AG vor allem auf dem asiatischen Standbein so schwächelt? Für den Analysten Christoph Montag von der Stuttgarter Südwestbank ist zumindest offensichtlich, dass sich DaimlerChrysler bei seiner Einschätzung des asiatischen Marktes wie auch seiner Partner verkalkuliert hat: "Solche handwerklichen Fehler erwartet man nicht von einem Weltkonzern."

Aber was für ein Handwerk ist das eigentlich? Zumindest den Handwerkskasten vieler Konzernmanager kennt Bastian Broer nur zu gut. Der Japan-Experte vom Institut für interkulturelles Management in Rheinbreitbach nennt ihn den "Vater aller Schwierigkeiten", die sich in diesem Fall der deutsche Autokonzern mit Mitsubishi ins Haus holte.

Es gibt nicht die eine, richtige Form des Geschäftemachens

"Das Standard-Werkzeug besteht im Glauben an die McKinseys dieser Welt, dass es die eine, richtige Form des Wirtschaftens gibt", sagt Broer, der im Übrigen das eine oder andere DaimlerChrysler-Mitsubishi Projektteam begleitet hat.

Diese einheitliche Welt-Methode, ausgerichtet an Standardindikatoren fürs Management, die funktioniert nicht, sagt Broer. Das beginne, etwa im Fall Mitsubishi, damit, dass im japanischen Controlling traditionell andere Kennziffern verwendet werden, die mit westlichen Vorgaben einer bestimmten Kapitalrendite nicht vergleichbar sind.

Wie überhaupt Rendite-Gesichtspunkte in Japans Unternehmen nicht im Vordergrund stehen, sondern der Aspekt, Marktanteile zu erzielen und das Unternehmen am Leben zu erhalten.

Marktanteile statt Rendite

"Nehmen Sie den erfolgreichen Autobauer Toyota", sagt Broer, "da war nie von Renditezielen die Rede, sondern vom 'Ausmerzen von Verschwendung'". Als das deutsche Management-Team bei Mitsubishi Profit-Center einrichtete, stießen die japanischen Mitarbeiter schnell an die Verständnisgrenze.

"Ein Einkäufer bei Mitsubishi Motors etwa", sagt Broer, "ist es absolut nicht gewohnt, mit dem konzerneigenen Zulieferer Mitsubishi Heavy Industries Preise hart am Markt auszuhandeln. Da waren viele einfach überfordert."

Geschäftsbeziehung ist Personenbeziehung

Der Schlüsselbegriff im japanischen Geschäftsleben heißt nämlich: Beziehung. Erst kommt die Person, dann das Geschäft. Was ziel- und ergebnisorientierte deutsche Manager für reine Zeitverschwendung halten, ist für Japaner essenziell: Small Talk beim Essen, anschließend Besuch einer Karaoke-Bar zum Beispiel, um sich kennen zu lernen. Geschäftsbeziehungen sind in ganz Asien in erster Linie Personenbeziehungen.

In der beziehungsorientierten und streng hierarchischen Arbeitskultur Japans erweisen sich nach Broers Beobachtungen auch jene Meetings westlichen Zuschnitts, in denen Fachleute gleichberechtigt diskutieren und zu Sachentscheidungen gelangen sollen, als wahre Folterinstrumente.

Überzeugen im Vier-Augen-Gespräch

"In Japan müssen Sie jeden einzelnen Betroffenen zunächst im Vier-Augen-Gespräch überzeugen, dann wird das Ergebnis in der Chefrunde verkündet - und das ist dann für alle Gesetz." Japaner täten sich ungeheuer schwer, wenn Fach- und Personalführung wie im westlichen Projektmanagement auseinander fielen, wenn also der "Untergebene" mit dem "Chef" auf gleicher Augenhöhe diskutieren soll.

"Und flache Hierarchien mit hoher Eigenverantwortung erleben Japaner nicht als Kompliment für ihre Kompetenz, sondern als Desinteresse an ihrer Person." Kurz: Irritationen solcher Art dürften zwar nicht kriegsentscheidend beim Kampf um den Turnaround bei Mitsubishi gewesen sein. Aber sie waren mitentscheidend.

Nachdem DaimlerChrysler Anfang 2001 die rund 30-köpfige Eingreiftruppe unter Rolf Eckrodt nach Tokio geschickt hatte, erschienen knapp zwei Jahre später in allerlei Wirtschaftsmagazinen Jubelberichte, wie die Feuerwehrtruppe das Unternehmen total umgekrempelt habe:

Schulterklopfen ist unjapanisch

Das Senioritätsprinzip im Management geknackt, die Zulieferer-vereinigung aufgelöst, 60 ältere Manager als gut dotierte "Müßiggänger" entlassen...

Da stand dann auch zu lesen, dass die deutschen Teammitglieder ihren Frauen und Kindern "den grauen Moloch Tokio zumuten", oder dass Eckrodt, der zur Vorbereitung "keine Japan-Knigges gelesen" habe, seinen Fahrer morgens mit Handschlag begrüße und Mitsubishi-Beschäftigten kumpelhaft und "völlig unjapanisch" auf die Schulter klopfe.

Der Japan-Statthalter einer deutschen Firma in Tokio, der seit vielen Jahren dort ansässig ist und seinen Namen hier nicht genannt wissen will, erinnert sich noch: "Natürlich wurden diese Artikel hier in Japan auch gelesen, und sie erwiesen sich als schädlich fürs Renommee des DaimlerChrysler-Konzerns."

Körperliche Berühungen unerwünscht

Außerdem reagierten Japaner pikiert auf körperliche Berührungen, Eckrodts Fahrer habe zwar den Handschlag erduldet, aber empfunden haben müsse er das als peinlich. "Dem Chef gegenüber sagen sie natürlich nichts."

Immer wieder eckten nach Japan entsandte deutsche Manager mit ihrer Haltung an, nach dem Motto: "Wir wissen schon, wie alles zu sein hat." Sie ernteten Misstrauen und wunderten sich dann, wenn sich der erwartete Erfolg nicht einstelle.

"Als Eckrodt seinen Stuhl räumte, nachdem DaimlerChrysler sich von Mitsubishi zurückzog, hatte er hier in der Tokioter Geschäftswelt einen Spitznamen weg: Der Mann ohne Ohren", sagt der deutsche Japan-Kenner.

Teamchoachings gegen Fettnäpfchen

Walter Schaff, der bei DaimlerCyrysler die Personalentwicklung für Asien verantwortet, sieht dies ganz anders: Fragt man ihn, dann hat der Konzern wohl alles Menschenmögliche getan bei der Auswahl der Eckrodt-Truppe mit ihren 18 Jungmanagern.

Nicht nur, sagt Schaff, hätten Rolf Eckrodt und er selbst die Einzelnen nach bestimmten, auf den Einsatz in Japan passenden Persönlichkeitsmerkmalen ausgesucht, sondern auch mit individuellen und Teamcoachings auf die fremde Kultur vorbereitet - sowohl in Deutschland vor dem Abflug als auch in Tokio während des Einsatzes. Und Programme für die mitziehenden Familien sehe DaimlerChrysler natürlich auch vor.

Als Indiz dafür, dass die Mitsubishi-Manager nicht pausenlos in kulturelle Fettnäpfchen getappt sein können, sieht Schaff die Tatsache, dass Mitsubishi auch nach dem Rückzug des Konzerns viele der Deutschen unbedingt behalten will. Und so manchen möglicherweise interessegeleitet verengten Beraterblick relativiert Schaff so: "Es gibt den Japaner genauso wenig wie es den Deutschen gibt."

Japanische Mitarbeiter durch Deutsche verunsichert

Nun ist es durchaus richtig, dass Eckrodt und sein Team Erfolge erzielt haben, nicht von ungefähr war Schrempps Mann in Tokio in die erlauchten Runden des Mitsubishi-Konglomerats aufgenommen worden. Dennoch, sagt Japan-Experte Bastian Broer, "die Mitsubishi-Mitarbeiter waren und blieben verunsichert, weil die deutsche Konzernzentrale stets betont hat: Wenn es nicht klappt mit Mitsubishi, ziehen wir uns eben wieder zurück".

Zudem habe DaimlerChrysler mit seiner 37-Prozent-Beteiligung am kleinen Teil Mitsubishi Motors den Rest der großen Mitsubishi-Konzernfamilie stets ausgeblendet. Und ein Unternehmen werde in Japan eben in Familienkategorien verstanden.

Japans Wirtschaft funktioniert anderes als die deutsche, und die wiederum unterscheidet sich von der amerikanischen. In der Art des Wirtschaftens findet die je unterschiedliche Kultur ihren Ausdruck, jenes "dominante Sinnsystem" von Werten, Überzeugungen und Moralvorstellungen, wie das die Soziologen nennen.

"Viele tappen in die Ähnlichkeitsfalle"

Dass das Schlagwort von der "interkulturellen Kompetenz" mit der Globalisierung seinen Siegeszug antrat, ist Folge der Erkenntnis dieser Unterschiede. "Aber im Unternehmensalltag findet diese Erkenntnis meist keine praktische Beachtung", meint Broer, der im Übrigen großen Wert darauf legt, dass Manager nicht von vornherein "schlecht" seien.

Es gebe aber spezifische Qualitäten deutscher Manager, die beim einen mehr zur amerikanischen, beim anderen mehr zur japanischen Wirtschaftskultur passten. "Nehmen Sie Wolfgang Bernhard", sagt Broer, "der bei Chrysler in Detroit sehr erfolgreich war, aber bei Mercedes mit seinen Methoden auf Granit biss."

Vor dem Irrtum vom Welt-Einheitsmanagement warnt auch die Soziologin und Wirtschaftswissenschaftlerin Hanna Seelmann-Holzmann, die Mitarbeiter international agierender Unternehmen auf den Umgang mit asiatischen Geschäftspartnern vorbereitet.

"Viele tappen in die Ähnlichkeitsfalle, weil der asiatische Partner englisch spricht, westliche Anzüge trägt und westliche Statussymbole vorweist. Aber unter dem westlichen Mantel trägt er seine traditionellen Kleider."

Den ruppigen Vorwurf, die Asiaten sollten sich gefälligst auf europäische Gepflogenheiten einstellen, lässt Seelmann-Holzmann ebenfalls nicht gelten: "In Japan zum Beispiel dürfen Sie sich als Deutscher auf die Frage gefasst machen, welchen Nachkriegsschriftsteller Sie für bedeutender halten, Böll oder Grass."

Verkauft wird auf englisch

Im Übrigen gelte überall auf der Welt die Binsenweisheit: "Wenn Sie einkaufen wollen, können Sie Deutsch sprechen. But if you want to sell you have to speak English." Der Verkauf ist englisch.

Aus China, wo DaimlerChrysler mit der Beijing Automobil-Holding zusammen Mercedes der E- und C-Klasse bauen will, weiß die Beraterin von ungewöhnlich unchinesisch auftretenden jungen Hochschulabsolventen zu berichten. "Im Bewerbungsgespräch treten sie forsch auf, fordern Dienstwagen und sonstige Vergünstigungen, dass einem die Ohren schlackern."

Warum? Weil sie einen amerikanischen Bewerbungsratgeber gelesen haben, der High-Potentials eine solche Haltung nahe legt - allerdings für die USA.

© SZ vom 15.05.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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