Immobilienblase:Chinas gefährlicher Aufschwung

File photo of workers standing on a steel frame, which they are welding for an advertising board, in Jiaxing

Hier wird gebaut: Arbeiter in Jiaxing im Osten Chinas

(Foto: REUTERS)

Chinas neue Regierung atmet auf: Das Wachstum legt wieder zu, nachdem die Wirtschaft fast zwei Jahre lang abkühlte. Doch dahinter steckt ein Boom im Immobilienbereich - Analysten warnen vor einer neuen Blase.

Von Marcel Grzanna, Shanghai

Die politische Stabilität Chinas wird ausschließlich durch Wirtschaftsdaten gestützt. Die autokratischen Führer der Volksrepublik verweigern ihren Bürgern politische Mitsprache und versprechen ihnen dafür im Gegenzug Wohlstand. Deswegen sind die vierteljährlichen Quartalszahlen immer von besonderer Bedeutung. Diesmal fallen sie gut aus: Nach einem fast zweijährigen Abkühlen der Konjunktur meldete das Nationale Statistikamt erstmals wieder einen Aufwärtstrend. Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts kletterte im vierten Quartal 2012 um einen halben Prozentpunkt auf 7,9 Prozent. Für das gesamte Jahr ergibt das einen Schnitt von 7,8 Prozent. So langsam wuchs China zuletzt 1999.

Die Wirtschaft gewann in den Monaten Oktober bis Dezember deshalb wieder an Fahrt, weil die Regierung mit Hilfe der ihr untergeordneten Zentralbank ihre Geldpolitik gelockert und damit die Investitionsbereitschaft von Städten und Kommunen gefördert hatte. Unter dem Strich bleibt damit ein guter Start für die neue Führungsriege der allein regierenden Kommunistischen Partei, die im November die gealterten Spitzenkader abgelöst hat.

Die Genossen des neu bestimmten Politbüros haben streng genommen mit der Konjunktur der vergangenen drei Monate zwar nichts zu tun, weil sie die Staatsgeschäfte erst im Frühjahr von der scheidenden Regierung übernehmen werden. Doch allein die Tatsache, dass nach monatelangem Machtkampf nun seit ein paar Wochen Klarheit herrscht über die personelle Zukunft in Staat und Partei, löste eine Blockade der Unsicherheit. Der Aktienmarkt hat seitdem deutlich zugelegt und ist Ausdruck für den neuen Mut, den Investoren gewonnen haben.

Also wieder alles gut in China, der zweitgrößten Volkswirtschaft der Erde und Zugpferd der Weltkonjunktur, könnte man meinen. Neue Parteispitze inthronisiert, Trendwende geschafft. Doch so einfach ist es nicht. "Die Zahlen sind kein Grund zu feiern", sagt Yi Xianrong, früherer Direktor im Finanzinstitut der chinesischen Akademie der Wissenschaften. Das stärkere Wachstum sei vor allem das Resultat von Investitionen. "Nichts Nachhaltiges, sondern die große Gefahr einer neuen Blase am Immobilienmarkt", sagt Yi.

Erste Anzeichen dafür gab es Ende vergangenen Jahres. Die durchschnittlichen Immobilienpreise in 70 chinesischen Großstädten stiegen im Dezember um 0,3 Prozent. Noch vergleichsweise wenig für chinesische Verhältnisse, aber das schnellste Tempo seit fast zwei Jahren. Das Problem eines überhitzten Immobilienmarktes ist altbekannt in der Volksrepublik.

Bis 2011 waren die Wohnungspreise derart drastisch in die Höhe geschossen, dass die Regierung nur mit großer Mühe eine harte Landung verhindern konnte. Sie drosselte schnell die Kapitalmenge und stellte potenziellen Hauskäufern hohe Hürden in den Weg. Das Problem ist nur, dass China einfach nicht genug wächst, wenn der Immobilienmarkt nicht brummt.

Schönt China seine Wirtschaftsdaten?

Jetzt, so glauben Beobachter, schlägt das Pendel wieder in die andere Richtung aus: Die Konjunktur wird robuster, aber die Wohnungspreise steigen wieder. "Das könnte eine Katastrophe werden für China", sagt Yi. Der Analyst glaubt sogar, dass das Wachstum und damit die Gefahr einer Blase im vierten Quartal deutlich mehr angestiegen sind als die vom Statistikamt vermeldeten 7,9 Prozent. Der Wert sei nach unten korrigiert, glaubt Yi - und mit seinen Zweifeln ist er nicht alleine. Mit diesen Zahlen solle der neuen Regierung der Weg geebnet werden, ihrer zunehmend kritischen und frustrierten Bevölkerung stramme Wachstumszahlen in ihrem ersten Jahr servieren zu können. Denn die aktuellen Zahlen sind die Vergleichswerte für die Zukunft. Je niedriger sie sind, desto besser für die nächste Statistikrunde. "Das ist immer so nach einem Machtwechsel", sagt er.

Wie Yi sind auch andere Beobachter zudem skeptisch, ob der jüngste Aufschwung nachhaltig ist. Ökonomin Tan Yaling vom China Forex Investment sieht Chinas Wachstumsmodell in einer Sackgasse. "80 Prozent der Bankenkredite und 65 Prozent der Stahlproduktion fließen in den Immobiliensektor, aber 80 Prozent der Menschen können sich keine Wohnung leisten, weil die Preise zu hoch sind", sagt Tan. Es gebe kein Land der Welt, das sich langfristig auf den Immobiliensektor als treibende Wachstumskraft verlassen kann. Dringend erforderlich sei ein Umdenken der neuen Führungsspitze, weg von einem Wachstum allein aus Investitionen hin zu mehr Effizienz. Unternehmen sollen innovativer werden, und die Bürger sollen mehr konsumieren.

Davon wird seit Jahren gesprochen, doch Ökonomin Tan erkennt eine gegenteilige Entwicklung.So versuchen sich Staatliche Unternehmen zum Beispiel aus dem Stahlsektor als Investmentfirmen, um Profite zu erzielen, statt neue, hochwertige Produkte zu entwickeln.

Das Problem ist hausgemacht. In Chinas Vetternwirtschaft finden sich wenige Mutige, die bereit sind, auf eigene Gewinne zu verzichten. Stattdessen suchen sie nach alternativen Geschäftsmodellen, um die eigenen Bilanzen aufzupeppen, was wiederum satte Boni bedeuten kann.

Das Kalkül der Manager ist, dass sie gerade jetzt Gewinne mit Finanzgeschäften machen können, solange Geld auf dem Markt ist. Die Inflation war im Herbst nach monatelangen Höhenflügen unter die Zwei-Prozent-Marke gesunken und hatte die Regierung ermutigt, die Geldmenge zu erhöhen. Doch Analysten erwarten einen Anstieg der Inflation. Manche fürchten vier und fünf Prozent in den kommenden zwei Jahren. Tan Yaling will sich nicht festlegen, ist aber sicher: "Die Inflation wird 2013 eine große Sorge und eine große Herausforderung für China." Mittelfristig wird die Regierung den Geldhahn also wieder zudrehen müssen. Vielleicht ist das ein Ansporn für die Unternehmen, sich verstärkt den dringend erforderlichen Innovationen zu widmen.

Linktipp: Das Statistikamt hat erstmals seit 2005 veröffentlicht, wie es um die finanzielle Gerechtigkeit im Land bestellt ist. Seit Jahren gab es keine Daten zu diesem heißen Thema, weil das offiziell methodisch nicht möglich war. Gleichheit messen Statistiker mit dem Gini-Koeffizient - je höher, desto ungleicher ist der Reichtum verteilt. In China lag der Wert 2012 bei 0,474 - ab 0,4 gilt die Ungleichheit als gefährlich für den sozialen Frieden. Den chinesischen Statistikbericht hat Reuters hier analysiert.

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