Immobilien:Deutschland baut an der falschen Stelle

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Plattenbauten in Hoyerswerda. Statt zu bauen, wird hier abgerissen. Die Menschen ziehen weg, neue Bewohner kommen kaum. (Foto: Arno Burgi/dpa)
  • In Deutschland wird fleißig gebaut - nur nicht unbedingt dort, wo auch der Bedarf ist. Das zeigt eine Studie des IW Köln.
  • Um neue Bürger für sich zu gewinnen, weisen viele Kommunen Bauland aus. So enstehen am Ortsrand neue Wohnungen, im Ortskern stehen Häuser leer.
  • In Großstädten könne es helfen, brachliegende Industrieflächen zu bebauen, sagen die Forscher.

Von Felicitas Wilke

Es wird geklotzt, aber am falschen Ort.

In Deutschland entstehen Tag für Tag neue Wohnungen. Nur liegen die nicht in Hamburg, Berlin oder München, wo viele Menschen nach Wohnraum suchen. Sondern im Kreis Bitburg-Prüm in der Eifel, in Weiden in der Oberpfalz oder im hohen Norden um Greifswald. Drei Zimmer, Küche, Bad, Balkon? Jederzeit zu haben, auch ohne Massenbesichtigung und Einschmeichelei beim Vermieter. Denn in diesen Regionen werden deutlich mehr Häuser gebaut, als in den kommenden 15 Jahren benötigt werden.

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Das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW) hat in einer Studie den künftigen Bedarf an Wohnungen mit der aktuellen Bautätigkeit verglichen. Das Ergebnis ist ernüchternd: Obwohl in Städten und Gemeinden viele neue Wohnungen entstehen, wird der Notstand Jahr für Jahr größer. Vor allem in Ballungszentren wächst die Nachfrage schneller als das Angebot. Dabei wurden in Deutschland allein im vergangenen Jahr 245 000 neue Wohnungen gebaut, 54 Prozent mehr als im Jahr 2010. Trotzdem reicht der neue Wohnraum nicht aus, um den Bedarf zu decken. Der IW-Studie zufolge würden zwischen 2015 und 2020 jedes Jahr 266 000 neue Wohneinheiten benötigt. Schlimmer noch ist: Der Großteil der neuen Wohnungen entstand nicht dort, wo sie gebraucht werden, nämlich in Städten mit mehr als 100 000 Einwohnern.

Die Regionen müssen das Pendeln attraktiv machen

In Deutschland veröden besonders auf dem Land einige Regionen, das ist kein neues Problem. In den Städten dagegen locken Universitäten, bessere Berufschancen und Freizeitmöglichkeiten. Doch das Bauland in urbanen Gegenden ist knapp, das treibt die Preise nach oben. Zudem haben die strengeren Umweltauflagen Bauen in den vergangenen Jahren deutlich teurer gemacht. All das hat Folgen, auch für die Mieten: In München und Hamburg sind die Mieten in den vergangenen fünf Jahren um mehr als zehn Prozent gestiegen, in Berlin müssen Mieter heute im Durchschnitt sogar 23 Prozent mehr als im Jahr 2010 für ihr Zuhause bezahlen.

Der Mangel an Bauland und die hohen Kosten führen dazu, dass in vielen größeren Städten weniger Wohnungen entstehen, als in den kommenden 15 Jahren nötig sind. So errichtete beispielsweise in Berlin im vergangenen Jahr gut 8700 neue Wohnungen. Das IW geht aber davon aus, dass in der Hauptstadt bis 2020 jedes Jahr fast doppelt so viele benötigt werden, bis 2030 steigert sich der Bedarf dann auf fast 20 000 neue Wohnungen im Jahr. Neben Berlin sind besonders andere großen Städte betroffen, vor allem die Metropolen München, Hamburg und Köln.

Gleichzeitig zeigt die Studie, dass in Regionen, aus denen viele Menschen wegziehen, zu viel geklotzt wird - nicht nur von Investoren, sondern auch von Privatleuten. Die Grundstückspreise dort sind vergleichsweise niedrig. Um Unternehmen und neue Bürger zu gewinnen, weisen einige Kommunen in großem Stil Bauland aus. Die günstigen Grundstücke und niedrige Zinsen motivieren viele Menschen dazu, neu zu bauen, statt bestehende Einfamilienhäuser zu kaufen.

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Viele fürchten auch, dass sie ältere Immobilien erst aufwendig sanieren zu müssen, bevor sie einziehen können. So kommt es, dass gerade an den Rändern schrumpfender Gemeinden neue Häuser und Wohnungen entstehen, obwohl in den Ortskernen in den kommenden Jahren immer mehr Wohnraum leer stehen wird. Die Folge: Ländliche Gebiete, die ohnehin schon mit Bevölkerungsschwund kämpfen, werden auch noch zersiedelt. Und die Kosten für die Infrastruktur steigen. Besonders viele überflüssige Wohnungen entstehen zurzeit in der Eifel, im Schwarzwald, im Bayerischen Wald und in Teilen Mecklenburg-Vorpommerns. Wie lässt sich dieses Dilemma lösen? Um die Not in Großstädten zu lindern, empfehlen die Autoren der IW-Studie, brachliegende Industrieflächen zu erschließen und bestehende Baubeschränkungen zu lockern. Dazu gehören etwa Vorgaben zur Gebäudehöhe und Umweltstandards. Was den Leerstand auf dem Land angeht, appellieren die Experten an die Kommunen, den Kauf von bestehenden Häusern finanziell attraktiver zu machen.

Wo sollen Flüchtlinge wohnen?

Die Studie weist außerdem darauf hin, dass die vom Leerstand betroffenen Regionen nicht immer fernab der begehrten Großstädte liegen. Wuppertal etwa, wo tendenziell zu viele Wohnungen gebaut werden, ist nur eine halbe Stunde Bahnfahrt von Düsseldorf entfernt, wo der Bedarf an Wohnraum das Angebot auch in Zukunft übersteigen wird. "Die Politik muss in diesen Städten mehr in die Infrastruktur investieren, damit sie Pendler anzieht", fordert Michael Voigtländer vom IW, einer der Autoren der Analyse: Pendeln muss attraktiv werden.

Angesichts der vielen Flüchtlinge, die derzeit nach Deutschland kommen, stellt sich jedoch die Frage, ob man den Wohnungsbedarf für 2030 heute überhaupt schon voraussehen kann. "In unserer Studie sind die Flüchtlinge als Einwanderer implizit einberechnet", sagt Voigtländer. Es handle sich aber um Schätzungen, weil schwierig abzusehen sei, wie viele Flüchtlinge langfristig in Deutschland bleiben werden. Und vor allem ist die Frage: Wo werden sie dann wohnen wollen? Bitburg-Prüm wird sich anstrengen müssen.

© SZ vom 20.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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