IG-Metall-Vizechef Wetzel im Gespräch:"Leiharbeit wird missbraucht"

Der Zweite Vorsitzende der IG Metall, Detlef Wetzel, über seinen Kampf gegen die Zeitarbeit, die Gründe für Armut und seine Ziele für die Tarifrunde im Herbst.

Sibylle Haas

Die IG Metall hat es zu ihrem wichtigsten Ziel gemacht, neue Mitglieder zu gewinnen. Mit einer breiten Kampagne wirbt sie momentan besonders um Zeitarbeitnehmer. Leiharbeit diene längst nicht mehr dazu, Personalengpässe zu überbrücken, sondern um die Lohnkosten zu senken, sagt IG-Metall-Vize Detlef Wetzel, 55. Das stößt nicht überall auf positives Echo. Einige Firmen wehren sich gerichtlich.

IG-Metall-Vizechef Wetzel im Gespräch: IG-Metall-Vize Detlef Wetzel.

IG-Metall-Vize Detlef Wetzel.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Wetzel, warum werben Sie besonders um Zeitarbeitnehmer?

Wetzel: Die IG Metall hat den steigenden Anteil von Leiharbeitern in den Firmen lange Zeit nicht zur Kenntnis genommen, ebenso wie andere unsichere und unstete Arbeitsverhältnisse auch. Der neue Armuts- und Reichtumsbericht zeigt, dass der steigende Anteil von Niedriglöhnen eine wesentliche Ursache von Armut ist. Wir wissen aus Befragungen, dass die Hälfte der unter 25-Jährigen im Niedriglohnsektor arbeitet, für einen Stundenlohn von weniger als 7,50 Euro. Damit kann man keine Familien gründen, die Renten sichern und auch noch für das eigene Alter vorsorgen.

SZ: Die IG Metall hat die lausigen Tarifbedingungen in der Zeitarbeit aber in einem Tarifvertrag unterschrieben.

Wetzel: Dabei muss man berücksichtigen, dass wir noch nicht so stark in der Branche sind. Wir haben den Vertrag unterschrieben, aber wir sind nicht zufrieden damit. Dieser Tarifvertrag muss nach und nach verbessert werden. Ein Tarifvertrag liefert die Basis, auf der man Sozialstandards aufbauen kann. Deshalb wollen wir in möglichst vielen Betrieben erreichen, dass Leiharbeiter und Festangestellte gleich bezahlt werden.

SZ: Die Arbeitgeber sagen, Leiharbeiter seien weniger produktiv als Festangestellte und verdienen deshalb weniger.

Wetzel: Das ist Quatsch. In der Automobilindustrie arbeiten Leiharbeiter und Festangestellte nebeneinander an einem Montageband. Wenn der eine die rechte Autotür montiert und der andere die linke, müsste ja das Band ständig anhalten, wenn Leiharbeiter unproduktiver wären. Außerdem würden die Firmen keine Leiharbeiter beschäftigen, wenn sie wirklich schlechter arbeiten würden.

SZ: Die gleiche Bezahlung würde dazu führen, dass ein Teil der Arbeitsplätze ins billigere Ausland abwandert.

Wetzel: Wenn das so ist, sollen die Arbeitgeber ehrlich sagen, dass Leiharbeit ein Instrument ist, um die Lohnkosten zu senken. Bis jetzt hören wir ja immer nur, Leiharbeit sei ein Instrument zur Flexibilisierung.

SZ: Ist es das nicht?

Wetzel: Nein, das ist es in der Mehrzahl der Fälle nicht mehr. Wenn es nur um die Flexibilisierung geht, weil eine Firma beispielsweise Auftragsspitzen abfangen muss, kann sie einen Leiharbeiter genauso gut bezahlen wie einen Festangestellten. Solche Firmen gibt es auch. Auch das Argument, der angeblich so starke Kündigungsschutz zwinge zum Einsatz von Leiharbeitnehmern, ist haltlos. Leiharbeiter haben eine durchschnittliche Verweildauer in den Betrieben von einem Vierteljahr. In dieser Zeit haben auch alle anderen Beschäftigten den gleichen Kündigungsschutz. Heute dient Zeitarbeit nicht mehr dazu, Personalengpässe zu überbrücken. Leiharbeit wird missbraucht. Wenn in einzelnen Betrieben der Anteil der Leiharbeiter bei 20 bis 30 Prozent liegt, wollen die Arbeitgeber in diesen Betrieben einen Niedriglohnsektor etablieren, nichts anderes.

Lesen Sie im zweiten Teil, was sich Detelf Wetzel für die nächste Tarifrunde im Herbst vornimmt.

"Leiharbeit wird missbraucht"

SZ: Die Firmenchefs machen das aber nicht, weil sie Menschenschinder sind, sondern weil sie unter einem Kostendruck stehen. Ist Ihnen das egal?

Wetzel: Ich bin nicht sicher, ob dieser Kostendruck wirklich da ist. Wir müssen uns klar darüber werden, ob wir Menschen nur als Kostenfaktoren sehen wollen oder als Quelle der Wertschöpfung. Sind sie Letzteres, kann man gar nicht genug in Qualifizierung und Weiterbildung investieren.

SZ: Das Landgericht Frankfurt hat soeben der IG Metall untersagt, Zeitarbeitsfirmen mit Drohbriefen zu einem sogenannten Fairness-Abkommen zu zwingen. Was halten Sie davon?

Wetzel: Bisher hatten wir noch nicht einmal die Chance, vor Gericht unsere Argumente vorzutragen. Das regionale Fairness-Abkommen verpflichtet die Verleiher auf den Flächentarifvertrag mit dem DGB. Außerdem dürfen sie sich nicht Betriebsräten und möglichen betrieblichen Regelungen zur gleichen Bezahlung von Leih- und Stammarbeitskräften verweigern. Dem verweigert sich aber ein kleiner Arbeitgeberverband, der die Arbeitsbedingungen für Leiharbeitnehmer sogar noch durch Dumpingtarife verschlechtern will. Ich bin optimistisch, dass wir uns mit einem Widerspruch durchsetzen werden.

SZ: Werden Sie Widerspruch einlegen?

Wetzel: Ja, das haben wir vor.

SZ: Was macht die IG Metall, damit in den Betrieben Innovationen entstehen können?

Wetzel: Unser Konzept sieht so aus, dass wir in den Betrieben die Auseinandersetzung darüber führen, was wir unter guter Arbeit verstehen. Wir wollen über die Betriebsräte mit konkreten Vorschlägen an die Unternehmen herantreten und dafür sorgen, dass die Belegschaften stärker als bisher beteiligt werden. Wenn Unternehmen langfristig orientiert sind, werden sie in die Produktqualität, in die Qualität der Arbeitsabläufe und in ihre Mitarbeiter investieren. Solche Firmen sind den neuen Märkten auf der Spur, nicht dem billigsten Produkt.

SZ: Wie zuversichtlich sind Sie, dass man Ihnen zuhört?

Wetzel: Wir haben auf diese Weise schon in etlichen Fällen verhindert, dass Arbeitsplätze ins Ausland verlagert wurden. Wenn es nur noch um das billigste Produkt geht, wird es immer irgendwo ein Land geben, das billiger produziert als Deutschland. Die Stärke des Industriestandorts Deutschland ist Innovation und Qualität, darauf müssen wir setzen.

SZ: Im Herbst steht die nächste Tarifrunde in der Metallindustrie an. Was wären für Sie gerechte Löhne?

Wetzel: Zum einen wecken die aktuell hohen Preissteigerungen die Erwartungen der Arbeitnehmer. Die Beschäftigten werden einen Inflationsausgleich fordern. Auch die gestiegene Produktivität wird eine Rolle spielen. Die Menschen wollen zum anderen einen fairen Anteil an der guten Konjunktur und am wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen.

SZ: In der vorigen Tarifrunde gab es 4,1 Prozent mehr Geld. Und diesmal?

Wetzel: Momentan ist die wirtschaftliche Lage in der Metall- und Elektroindustrie sogar besser als die der Gesamtwirtschaft. Wir werden im Sommer in den Betrieben und Regionen über unsere Forderung beraten und im September eine Forderung beschließen. Das Verlangen nach einer spürbaren Lohnsteigerung ist bei den Mitgliedern aber schon jetzt da.

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