IG-Metall-Chef Huber:"Die Arbeitgeber haben die Hydra genährt"

Berthold Huber, Chef der IG Metall, über Vergünstigungen für Aufsichtsräte, Berufsgewerkschaften und die nächste Lohnrunde.

Sibylle Haas

IG-Metall-Chef Berthold Huber, 58, findet, dass die Diskussion um den Freiflug von Verdi-Chef Frank Bsirske beendet werden sollte. Dass Bsirske mit Lufthansa kostenlos in den Urlaub geflogen sei, habe dieser als Fehler eingeräumt. "Das muss nun akzeptiert werden", sagte Huber dazu. Er selbst habe noch keine persönlichen Vergünstigungen von Firmen in Anspruch genommen, bei denen er im Aufsichtsrat sitzt. Die Tarifrunde, die im September beginnt, bezeichnete Huber als Herausforderung. Die IG Metall werde mehr fordern als beim letzten Mal. Damals ging es um 6,5 Prozent mehr Geld für die Metaller.

IG-Metall-Chef Huber: IG-Metall-Chef Berthold Huber hat nach eigener Aussage keine persönlichen Vergünstigungen von Firmen erhalten, bei denen er im Aufsichtsrat sitzt.

IG-Metall-Chef Berthold Huber hat nach eigener Aussage keine persönlichen Vergünstigungen von Firmen erhalten, bei denen er im Aufsichtsrat sitzt.

(Foto: Foto: AP)

SZ: Herr Huber, was für ein Auto fahren Sie?

Huber: Mein Dienstauto ist ein Audi A8, ein Drei-Liter-Turbo-Diesel. Ich nutze das Auto, weil ich gut 90.000 Kilometer im Jahr zurücklege.

SZ: Vielleicht auch, weil Sie bei Audi im Aufsichtsrat sind?

Huber: Ich könnte auch einen 7-er BMW fahren oder ein anderes Auto. Das hat mit meiner Tätigkeit im Aufsichtsrat nichts zu tun.

SZ: Sie sitzen bei Audi und bei Siemens im Aufsichtsrat. Werden Ihnen aufgrund dieser Ämter Vergünstigungen eingeräumt?

Huber: Die Aufsichtsräte bei Audi haben die gleichen Vergünstigungen wie die Beschäftigten bei Audi. Das ist aber ein Dienstfahrzeug der IG Metall, die eine monatliche Leasingrate für das Auto zahlt, wie für jedes andere Dienstauto auch.

SZ: Haben Sie auch schon persönlich Vergünstigungen in Anspruch genommen, weil Sie bei Audi und Siemens im Aufsichtsrat sind?

Huber: Ich kann das mit gutem Gewissen verneinen.

SZ: Verdi-Chef Frank Bsirske war da weniger zimperlich. Er hat sich von der Lufthansa in der ersten Klasse in die Südsee fliegen lassen.

Huber: Bsirske hat diesen Fehler eindeutig eingeräumt. Was kann man mehr erwarten, als dass jemand einen Fehler eingesteht. Das hat Bsirske gemacht. Das muss nun akzeptiert werden.

SZ: Sollte das Aufsichtsratsamt ein Ehrenamt sein?

Huber: Ein Aufsichtsratsposten ist kein Ehrenamt. Der Aufsichtsrat sollte für seine Arbeit entlohnt werden. Aufsichtsräte von der IG Metall führen etwa 90 Prozent der Vergütung für die Arbeit im Aufsichtsrat an die Hans-Böckler-Stiftung ab. Ungefähr zehn Prozent behält das Aufsichtsratsmitglied und muss das versteuern.

SZ: Ihre Gewerkschaftsleute in den Aufsichtsräten nehmen keine persönlichen Vergünstigungen in Anspruch?

Huber: Die übergroße Mehrheit unserer Aufsichtsräte führt zum Beispiel ihre Tantiemen korrekt ab. Der Prozentsatz derjenigen, die das nicht tun, liegt unter fünf Prozent. Jeder IG-Metaller, der kandidiert und in den Aufsichtsrat geht, muss unterschreiben, dass er bestimmte Regeln einhält.

SZ: Und wenn er die nicht einhält?

Huber: In letzter Konsequenz klagen wir das dann ein.

Lesen Sie im zweiten Teil, wie Berthold Huber die Konkurrenz zwischen unterschiedlichen Gewerkschaften bewertet - und mit welcher Forderung der IG-Metall-Chef in die nächste Lohnrunde gehen will.

"Die Arbeitgeber haben die Hydra genährt"

SZ: Müssen Gewerkschaften ihre Verhaltensregeln für ihre Funktionäre mit Blick auf Corporate Governance neu gestalten?

Huber: Die Aufgabe von Aufsichtsräten haben sich in den vergangenen 15 Jahren gravierend verändert. Der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ist nicht der verlängerte Arm des Betriebsrats. Er muss vielmehr die Interessen in Einklang bringen zwischen den Bedürfnissen der Belegschaft und der Auskömmlichkeit des Unternehmens.

SZ: Kommt es da nicht zum Interessenkonflikt, wenn ein Gewerkschaftsfunktionär im Aufsichtsrat eines Unternehmens sitzt und zum Streik aufruft?

Huber: Wir haben dazu ein Gutachten anfertigen lassen. Danach ist das rechtlich vollkommen in Ordnung. Allerdings empfiehlt der Gutachter, dass der Gewerkschaftsfunktionär im Streikfall sein Aufsichtsratsmandat ruhen lassen sollte. Darüber kann man im Einzelfall diskutieren.

SZ: Einige Unternehmen haben mehrere Gewerkschaften im Haus und immer wieder Ärger. Aktuelles Beispiel ist Lufthansa. Einige Experten fordern, Gewerkschaftskonkurrenz innerhalb eines Unternehmens gesetzlich zu regeln. Ist das ein richtiger Weg?

Huber: Nein, das sollte man nicht gesetzlich regeln. Die Arbeitgeber sind am Vormarsch der Berufsgewerkschaften doch selber schuld. Sie haben versucht, die Einheitsgewerkschaften zu unterlaufen, indem sie arbeitgeberfreundliche Organisationen unterstützt haben. Sie haben die Hydra genährt, die heute an ihrer Kehle sitzt.

SZ: Was können die Einheitsgewerkschaften tun, um das Vordringen der Berufsgewerkschaften einzudämmen?

Huber: Gewerkschaften müssen Tarifabschlüsse machen, die im Gefühl und in der Wahrnehmung der Menschen gute Tarifabschlüsse sind. Sie müssen außerdem die berufsspezifischen Probleme der Menschen sehen und aufgreifen. Die Gewerkschaften haben an dieser Stelle in den vergangenen Jahren einiges versäumt. Ich kann den Arbeitgebern nur empfehlen, sich eindeutig zu verhalten.

SZ: Was meinen Sie damit?

Huber: Führende Arbeitgeber und deren Verbände haben den Austritt aus dem Tarifverband, dem vermeintlichen Tarifkartell, ja geradezu empfohlen. Nun haben Sie das Problem der Tarifkonkurrenz, die jeden Tag einen neuen Aufruhr bedeuten kann.

SZ: Herr Huber, die Tarifabschlüsse und Forderungen sind in diesem Jahr so hoch wie seit Mitte der 90er Jahre nicht mehr. Übertreiben die Gewerkschaften nicht ein bisschen?

Huber: In der Metall- und Elektroindustrie betreiben wir eine sehr sachliche Lohnpolitik. Wir haben uns immer an Produktivität und Inflation orientiert. Wir werden in diesem Jahr mehr fordern als in der letzten Tarifrunde.

SZ: Das waren immerhin 6,5 Prozent. Demnach müsste also diesmal mindestens die Sieben vor dem Komma stehen?

Huber: Da lege ich mich heute nicht fest. Das wird noch intern diskutiert. Wenn ich heute durch die Betriebe gehe, dann stoße ich mit nur auf gesamtwirtschaftlich basierten Zahlen auf Ablehnung bei den Arbeitnehmern. Den Leuten reicht keine Lohnerhöhung von vier Prozent. Das wären der gesamtwirtschaftliche Produktivitätsfortschritt von 1,5 Prozent plus einer durchschnittlichen Preissteigerung von 2,5 Prozent. Das entspricht nicht den Erwartungen der Menschen.

SZ: Was entspricht den Erwartungen?

Huber: Es sind auf jeden Fall signifikante Abweichungen von den zusammengerechneten vier Prozent. Wir werden neben Inflation und Produktivität auch das Ungerechtigkeitsempfinden der Menschen in unserer Forderung aufgreifen.

Lesen Sie im dritten Teil, warum deftige Lohnsteigerungen für Berthold Huber eine Notwendigkeit sind und wieso er von der 35-Stunden-Woche nicht lassen will.

"Die Arbeitgeber haben die Hydra genährt"

SZ: Die jüngsten Konjunkturdaten sind aber alarmierend. Lohnerhöhungen belasten die Zukunft der Firmen dauerhaft. Wollen Sie das riskieren?

Huber: Ich würde gerne mal hören, dass hohe Managergehälter die Wirtschaft belasten. Ein Stück weit haben die Supergehälter der Manager dazu geführt, dass sich die Mitarbeiter nicht adäquat beteiligt fühlen. Wir werden uns von den Unkenrufen über die angeblich schlechten Aussichten nicht abhalten lassen, einen gerechten Anteil für die Beschäftigten zu verlangen.

SZ: Diese könnte doch auch durch eine richtig gute Einmalzahlung geschehen, wenn dafür die Prozentzahl etwas niedriger ausfällt.

Huber: Produktivität und Inflation sind auch keine einmaligen Ereignisse. Deshalb legen wir großen Wert auf eine gute strukturelle Lohnerhöhung. Die finanziellen Spielräume der Menschen, für die ich rede, sind gering. Die Belastungen, etwa durch die Inflation, sind erheblich gestiegen.

SZ: Das gilt auch für die Arbeitgeber. Gerade Ihre Branche spürt die gestiegenen Rohstoff- und Energiekosten.

Huber: Das stimmt. Deshalb sehe ich die nächste Tarifrunde auch als Herausforderung. Aber es macht mich narrisch, dass man die Konjunktur schon wieder schlechtredet, anstatt darüber nachzudenken, wie man die Stärke der deutschen Wirtschaft weiterentwickelt. An einem für uns guten Tarifabschluss wird die deutsche Wirtschaft nicht zugrunde gehen.

SZ: Bei der Altersteilzeit, die einen flexiblen Übergang in die Rente regeln soll, liegen Arbeitgeber und IG Metall weit auseinander. Die Arbeitgeber wollen, dass nur noch zwei Prozent der Belegschaft eines Betriebs früher aus dem Job aussteigen können. Sie verlangen, dass es mindestens doppelt so viele sind. Nun soll mit den Metallarbeitgebern noch vor der Lohnrunde im September eine Lösung gefunden werden. Ist das überhaupt noch möglich?

Huber: Wir werden bald einen neuen Versuch unternehmen und ich hoffe sehr, er ist erfolgreich. Jede Vermengung mit der ohnehin schwierigen Lohnrunde wäre für beide Seiten schlecht.

SZ: Die Vermischung mit der Lohnrunde würde bedeuten, dass man sagt: Ich gebe bei den Lohnprozenten nach und du kommst mir bei der Altersteilzeit entgegen.

Huber: Die Vermengung kann auch bedeuten, dass sich die Forderungen hochschrauben.

SZ: Dann hätten wir einen Großkonflikt.

Huber: Das kann man nie ausschließen. Es wäre einfach ratsamer, die Altersteilzeitfrage vor der Lohnrunde zu klären. Das ist ein Problem, das den Leuten auf den Nägeln brennt. Wir brauchen Lösungen für Menschen, die 40 Jahre lang im Akkord oder in Schichtarbeit die Knochen hingehalten haben.

SZ: Sie fordern eine neue Debatte über die Arbeitszeit. Wie wichtig ist Ihnen die 35-Stunden-Woche?

Huber: Die 35-Stunden-Woche bleibt Richtschnur, daran gibt es nichts zu rütteln. Allerdings klaffen die tarifliche und die reale Arbeitszeit auseinander. Wir müssen deshalb klären, wie wir damit umgehen. Wenn ein Ingenieur im Projekt arbeitet, interessiert ihn die tägliche Arbeitszeit wenig. Wenn ich in einer tayloristisch getakteten Arbeit stehe, dann wird der Arbeitstag zur Qual. Also muss man unterschiedliche Lösungen finden. Dafür brauchen wir mehr Betriebe mit Arbeitszeitkonten, auf denen Mehrarbeit angespart wird. Wenn man sich Leistung von Menschen unbezahlt unter den Nagel reißt, dann ist das unanständig.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: