Ifo-Wirtschaftsgipfel:Europa, Licht und Schatten

Wie ein lettischer EU-Kommissar einem französischen Premierminister erklärt, welche Reformen sein Land braucht. Die Probleme in seinem Staat hat er im Griff, erklärt er.

Von Alexander Hagelüken

Valdis Dombrovskis nimmt an diesem Morgen keinen Schluck Mineralwasser, er redet gleich los. Der 43-Jährige ist in München, um als Vizepräsident der EU-Kommission über Europa zu reden. Dombrovskis auf seinem Stuhl in der Bibliothek des Hotels weiß, Europa ist eine Frage der Perspektive. Die Firmen in Euroland, wird am Mittwoch gemeldet, schaffen so viele Jobs wie seit 2011 nicht. Irland meldet erstmals seit der Krise weniger als zehn Prozent Arbeitslose. Es gibt Licht.

Es gibt auch Schatten: Einige Euro-Staaten stecken noch in der Krise. Chinas Wirtschaft wuchs seit 2000 um 170 Prozent, die Eurozone um zwölf Prozent. "Wir sind die Bummler der Welt", ätzt später Hans-Werner Sinn, der Präsident des Ifo-Instituts.

Europa: Licht und Schatten. Das Interessante ist, dass Dombrovskis denen im Schatten erklären kann, wie man schnell ins Licht kommt.

Der Politiker, Physiker wie Angela Merkel, übernahm 2009 die lettische Regierung, zu einem schlechten Zeitpunkt. Nach der Finanzkrise steckte das Land in einer Klemme. Premier Dombrovskis sanierte hart, kürzte Renten, Beamtengehälter und Soziales. Schon ein Jahr später wuchs die Wirtschaft. "Es ist besser, schnell zu handeln", sagt er in der Bibliothek. "So bekommt ein Land wieder Zugang zum Kapitalmarkt, und das ist die Voraussetzung für Wachstum. Wenn die Anpassung verzögert wird, kommt es zu Reformmüdigkeit."

Man muss den EU-Kommissar nicht fragen, welche Euro-Staaten die Reformen verzögern, er kommt selber drauf: "In Griechenland wurde die Anpassung verzögert." Griechenland hat auch nach fünf Jahren noch keinen Zugang zum Kapitalmarkt, stattdessen reden nun viele über eine versehentliche Staatspleite. "Wegen der angespannten Lage sollte die Regierung so schnell wie möglich Reformen vorlegen", jetzt klingt er eine Spur ungeduldig: "Sie sollte sagen, was sie machen will, nicht, was sie alles nicht machen will."

Die griechische Regierung ist auf dem Wirtschaftsgipfel von Ifo und BMW-Stiftung an diesem Mittwoch nicht vertreten, aber die französische, durch ihren Premier Manuel Valls. Deshalb ist es brisanter, was der lettische Kommissar zu Frankreich sagt, das seine Reformen nach Meinung vieler ebenfalls lange verzögert hat. "Frankreich braucht mehr strukturelle Reformen", sagt Dombrovskis, "etwa eine Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, eine geringere Besteuerung der Arbeit und die Öffnung abgeschotteter Berufe".

Man muss vielleicht kurz innehalten, um den Moment zu realisieren: Da gibt ein Kommissar aus dem winzigen Lettland dem Premier des stolzen Frankreich vor, was er zu tun hat.

Als Premier Valls das Podium der Tagung erklimmt, erweckt er natürlich den Eindruck, dass er das selber längst weiß. "Frankreich hat gezögert, Deutschland hat es anders gemacht. Das Ergebnis sieht man in Frankreich und Deutschland", erklärt Valls und betont, alles ändere sich gerade. Seine Regierung sorge für mehr Wettbewerb in Handel und Energie bis zu Taxis und Notaren. Sie senke die Abgaben für Unternehmen. Sie kürze die Staatsausgaben. Er spricht Dombrovskis direkt an: "Herr Vizepräsident, Sie wissen, wir bringen unser Defizit bis 2017 unter drei Prozent."

Valls kam lächelnd auf die Bühne, dafür ist er bekannt, sein Gesicht ist braun, seine Hände machen zackige Gesten.

Der Lette wirkt mehr durch das, was er tut als dadurch, wie er etwas sagt. Er lächelt kaum, ist blass und sitzt da wie, nun ja, ein bisschen wie ein nasser Sack.

Und doch ist er als Vizepräsident für den Euro mit dafür zuständig, Frankreich zu überwachen, das wieder einmal mehr Zeit bekommen hat, sein Defizit unter die Drei-Prozent-Grenze zu bringen. Manche in Brüssel sagen, mit der Verzögerung hat sich eher der französische Euro-Kommissar Pierre Moscovici durchgesetzt als sein nomineller Vorgesetzter, der Lette. Der sagt: "Wir werden uns genau anschauen, ob die Regierung das Defizit reduziert wie vorgegeben." Klingt das trotzig?

Dombrovskis hat sein Land aus der Krise geführt, Valls hat das noch nicht geschafft. Valls stellt bisher nur Reformen vor und hält Reden. "Ich stehe für eine effiziente Linke, die vorankommen möchte", sagt er und klingt ein bisschen wie Gerhard Schröder. Dann aber macht er sich für eine europäische Suchmaschine als Konkurrenz zu Google stark, was bisher nicht geklappt hat. Er sagt seltsamerweise, Deutschland habe durch moderate Löhne seine Exporte gesteigert, Frankreich könne das aber nicht so nachmachen, weil das die Handelspartner nicht akzeptieren würden. Wie bitte?

"Frankreich hat eine besondere Verantwortung für Europa", erklärt Dombrovskis. "Europa ist unser gemeinsames Schicksal", erklärt Valls.

Die interessante Frage ist, ob sie das gleiche meinen.

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