Ifo-Chef Sinn zur Finanzkrise:Glücksrittertum der Moderne

Risikoreiche Geschäfte der Investmentbanker und zu geringe Eigenkapitalquoten der Banken - Ifo-Chef Hans-Werner Sinn über die Ursachen der Finanzkrise und die Lehren, die gezogen werden müssen.

Grit Beecken

Wenn der Ökonom Hans-Werner Sinn Hof hält, reichen selbst die Stühle im großen Hörsaal der Ludwig-Maximilians-Universität nicht aus. Rund 400 Zuhörer waren zu seinem Vortrag über die Ursachen der Finanzkrise gekommen - ein ungewöhnlich großer Andrang für einen Abend im Rahmen der "Münchner Seminare", einer gemeinsamen Initiative des Ifo-Instituts und der Süddeutschen Zeitung.

Hans-Werner Sinn, Reuters

Hans-Werner Sinn: "Man wusste schon damals, dass der Staat einspringen würde."

(Foto: Foto: Reuters)

"In den vergangenen Jahren verlief die Wirtschaft so glatt, dass ich schon Angst hatte, mein Beruf sei gefährdet", sagt Sinn. Doch bekanntlich sei es anders gekommen, die Welt stecke in der Rezession. Ausgehend von den USA werde die ganze Welt angesteckt.

Das Spiel mit dem Risiko

Und der Münchner Ökonom hat den Kern der Krise ausgemacht: Die sogenannte Haftungsbeschränkung habe zu den risikoreichen Geschäften der Investmentbanker geführt. Denn Aktionäre seinen nicht verantwortlich für risikoreiche Geschäfte ihrer Kapitalgesellschaft - sie würden nicht zur Rechenschaft gezogen und hätten dementsprechend wenig Anreiz, die Vorstände zu kontrollieren. Die Folge: modernes "Glücksrittertum". So nennt das Professor Sinn.

Die Banken verwendeten für ihre Geschäfte immer weniger Eigenkapital und immer mehr fremdes Geld, analysiert Sinn. "So wenig Eigenkapital einsetzen wie möglich. Das war der Trick." Es gelte: "Was ich nicht habe, kann ich auch nicht verlieren".

Der Ökonom rechnet vor: Wer bei einem Hundert-Dollar-Geschäft vier Dollar Eigenkapital einsetzt und 96 Dollar geliehenes Geld, der verliert im schlimmsten Fall seine vier Dollar. Wenn alles gutgeht, dann erwirtschaftet er seinen Gewinn auf die 100 Dollar. Zwar muss er den Fremdkapitalgebern Zinsen zahlen, doch wenn seine Geschäfte ertragreich genug sind, kann er den Überschuss einstreichen. Das sei der mikroökonomische Kern der Krise.

Auf diese Weise habe man gute Eigenkapitalrenditen erzielt - solange die Geschäfte liefen. Doch als die Märkte zusammenbrachen, fehlte der Eigenkapitalpuffer, der die Verluste ausgleichen konnte. Dass das Fremdkapital verloren war, betraf die Banken nicht so sehr - das Geld war schließlich das anderer Leute. "Außerdem wusste man schon damals, dass der Staat einspringen würde", sagt Sinn.

"Die Main Street hat gezockt"

Das gleiche Prinzip gelte auch für die US-Immobilienbesitzer. "Nicht nur die Wall Street, auch die Main Street hat gezockt", sagt Sinn. Denn auch der private Häuslebauer habe ebenfalls eine Art Haftungsbeschränkung gehabt - Geld, das man nicht besitzt, kann man schließlich auch nicht verlieren. Daher wurden immer neue Hypotheken auf die Häuser aufgenommen und das so gewonnene Geld für Konsumgüter ausgegeben. Im schlimmsten Fall, so Sinn, ist ein Haus wertlos und ein Kredit nicht mehr zu tilgen. "Dann wirft man eben den Hausschlüssel bei der Bank ein und zieht in das Mietshaus nebenan".

Denn anders als in Deutschland waren die US-Immobilienkredite nur mit dem Haus besichert, nicht aber mit dem Einkommen der Kreditnehmer. So gesehen hatten die Häuslebauer nichts zu verlieren, aber viel zu gewinnen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Deutschland dem Beispiel Großbritannien folgen sollte.

Glücksrittertum der Moderne

Ihre Kredite wurden verbrieft, gesammelt und wieder verbrieft, bis sie eines Tages auch in den Büchern deutscher Landesbanken landeten. Damit nahm die Finanzkrise ihren Lauf. Es folgte ein Bankensterben, wie es zuletzt in der Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre gesehen wurde, später wurden umfangreiche Rettungspakete geschnürt. "Sicherheitspakete in Höhe von 3293 Milliarden Euro - das ist es, was die Welt gerettet hat", sagt Sinn.

Theorie der freiwilligen Bestrafung

Doch auch wenn die Rettungspakete zunächst ihren Zweck erfüllt und flächendeckende Bank Runs verhindert hätten, müsse insbesondere in Deutschland nachgebessert werden. "Das deutsche Paket geht von der Theorie der freiwilligen Bestrafung aus", moniert Sinn. Schließlich müssen Bankenvorstände, die unter den staatlichen Schutzschirm schlüpfen wollen, empfindliche Gehaltseinbußen hinnehmen.

Von daher sei es wenig verwunderlich, dass kaum ein Haus freiwillig das Bankenrettungspaket der Regierung in Anspruch nehme. Sinns Schlussfolgerung: "Wir brauchen eine Verpflichtung, so wie es in England geregelt ist." Dort müssen alle Banken eine Mindesteigenkapitalquote von neun Prozent aufweisen. Wer unter dieser Marke liegt, muss die staatlichen Garantien nutzen. Zudem darf die Eigenkapitalquote nicht dadurch erreicht werden, dass die Kreditvergabe sinkt. Denn diese Quote verrät das Verhältnis von Eigen- zu Fremdkapital. Sie steigt, wenn das Eigenkapital erhöht wird - oder wenn das Fremdkapital sinkt. Letzteres könnte Sinn zufolge in Deutschland passieren: Die Banken vergeben weniger Kredite, um die Eigenkapitalquoten zu schönen. "Hier muss dringend nachgebessert werden, wir dürfen den Banken nicht die Wahl lassen."

Konjunkturprogramm - bitte später

Erst im Anschluss seien Konjunkturpakete ein mögliches Instrument. "Angela Merkel wartet zu Recht erst einmal ab, was passieren wird." Erst vor wenigen Tagen hatte Sinn vorgeschlagen, frühestens im zweiten Halbjahr 2009 ein Konjunkturprogramm aufzulegen.

Es sei unklar, wie Konsumgutscheine eine Volkswirtschaft stützen sollen, die maßgeblich von Exporten abhängt. Würden stattdessen Investitionen gefördert, so käme dies der Bauindustrie oder dem Maschinenbau entgegen, was die deutsche Wirtschaft langfristig stützen würde. Konjunkturprogramme hingegen kämen einem Strohfeuer gleich. "Man muss genau planen, wann man es entzündet", sagt Sinn. Schließlich liege die Staatsverschuldung nach wie vor über den Maastrichtkriterien.

"Wir haben ein schwieriges Jahrzehnt vor uns", prophezeit Sinn. Auf lange Sicht drängt der Ökonom auf eine Änderung der Eigenkapitalrichtlinien - auch bei den Geschäften in Steuerparadiesen. Denn nur so könne das Glücksrittertum beendet oder zumindest eingeschränkt werden: "Wenn wir höhere Eigenkapitalquoten ansetzen, dann ist dieses Geschäftsmodell tot."

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