Hypo Real Estate:"Die HRE ist von außen zerstört worden"

Prozess gegen früheren Chef der Krisenbank HRE

Der ehemalige HRE-Bankchef Georg Funke sitzt auf der Anklagebank des Landgerichts München.

(Foto: dpa)
  • In München steht der frühere Chef der untergegangenen Immobilienbank Hypo Real Estate vor Gericht.
  • Mit der HRE war die Finanzkrise endgültig nach Deutschland geschwappt.
  • Das Institut war mit fast zehn Milliarden Euro Finanzhilfen und staatlichen Bürgschaften in Höhe von 124 Milliarden Euro gerettet und zwangsverstaatlicht worden.

Von Thomas Fromm und Stephan Radomsky

In Georg Funkes Stimme schwingen die vergangenen Jahre mit. Jahre, in denen man ja wenig von ihm hörte. Diese Stimme steigt im Laufe eines Satzes an, schraubt sich immer weiter nach oben und kippt dann pünktlich zum Punkt wieder runter. Manchmal bricht sie dann ganz weg. Als hätte sie jahrelang nur darauf gewartet, endlich losgelassen zu werden.

Der frühere Chef der Krisenbank Hypo Real Estate (HRE) ist aufgeregt, ab und zu knallt er seine Blätter neben sich auf den Tisch an der Anklagebank, nachdem er gerade noch von ihnen abgelesen hat. Wenn die Stimme nicht mehr weiter hoch und runter geht, muss eben das Papier übernehmen.

Fast neun Jahre ist es her, dass alles um Funke herum zusammenbrach: seine Immobilienbank, die HRE, seine Karriere, sein Ruf. Jahre, in denen er sogar Immobilien auf Mallorca verkaufte und irgendwie nicht mehr so richtig auf die Füße kam. Funke, dem Chef und Architekten der HRE, wurde damals fristlos gekündigt. Als der dann noch Gehalts- und Pensionsnachzahlungen in Millionenhöhe forderte, war er für die Öffentlichkeit endgültig eine hybride Mischung aus Banker und Gangster, der "Bankster"; das neue und für viele sinistre Gesicht der Finanzkrise.

Als "Bankster" taucht man am besten erst einmal ab, was Funke auch tat. Jetzt ist er 61 Jahre alt, und es muss in diesen Jahren kräftig gebrodelt haben in ihm. An diesem Dienstag nun muss alles raus. Es ist sein Tag vor dem Münchner Landgericht.

Der Vorwurf der Kläger geht so: Funke soll zwischen 2007 und 2008 die Bilanzen der HRE geschönt haben, dafür könnte er bis zu drei Jahre Gefängnis bekommen. Sein damaliger Finanzvorstand Markus Fell muss sich zusätzlich wegen Marktmanipulation verantworten. Ihm drohen bis zu fünf Jahre Haft. "Im Geschäftsbericht 2007 und im Zwischenbericht zum 30. 06. 2008 erfolgte eine unvertretbar und evident falsche Darstellung der Liquiditätslage der HRE", heißt es in der Anklage. Mit anderen Worten: Die Manager sollen die Lage damals schöner dargestellt haben, als sie war. So lange eben, bis es gar nicht mehr anders ging und das Institut über Nacht mit öffentlichen Milliarden gestützt werden musste.

Mit der HRE war die Finanzkrise endgültig nach Deutschland geschwappt, und Funke schwamm mittendrin.

Wenn er über die alten Zeiten redet, sind das Momente, in denen er wieder schneidig klingt

Funke hat lange nachgedacht, und er dreht den Spieß um. Täter? Von wegen. Opfer! "Die HRE ist von außen zerstört worden", sagt er, und diese Umdeutung der Rollen ist schon allein deshalb interessant, weil er auch die Namen derer nennt, die seiner Meinung nach die eigentlichen Täter sind: Der damalige Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann zum Beispiel, der frühere Finanzminister Peer Steinbrück; also jene, die bei der Rettungsaktion damals mit dabei waren. Die, die vorgaben, die HRE zu retten, hätten ihn denunziert, geschwächt, die Lage dramatisch zugespitzt. Steinbrück etwa habe in einer "unseligen Äußerung" erklärt, die HRE müsse abgewickelt werden, so Funke-Verteidiger Wolfgang Kreuzer. Kein Wunder, dass die Bank keine Geschäfte mehr machte. Wer überweist schon jemandem Geld, der abgewickelt werden muss?

"Die in der Anklage vorgenommene Methode entspricht einem Schrotschuss in der Hoffnung, dass irgendetwas schon treffen wird", sagt Funke. Von einem "Notfall" könne "keine Rede sein".

Rückblick in den heißen Herbst 2008: Im September war die US-Investmentbank Lehman Brothers zusammengebrochen, und was folgte, war nicht weniger als der Höhepunkt einer Finanzkrise, in deren Folge die Finanzinstitute "austrockneten". Es wurde immer schwieriger, zwischen den Banken Kredite zu handeln und zu verschieben.

Hier kommt die HRE ins Spiel, die von diesen Bankengeschäften lebte. Man habe ausreichend Geld gehabt, um die heiße Phase zu überstehen, sagt Funke. "Rein vorsorglich" habe er beim damaligen Deutsche-Bank-Boss Ackermann am 23. September 2008 eine Kreditlinie von 15 Milliarden angefragt. Ackermann aber habe bei Gesprächen mit dem Bundesfinanzministerium, der Bankenaufsicht und anderen Instituten den Geldbedarf unabgesprochen auf eine weitaus höhere Summe geschraubt, so Funke. Folge: Deutsche Banken wurden zu ihren geschäftlichen Risiken mit der HRE befragt, später sei das Wort von der "Abwicklung" gefallen. Der Rest war dann: der ganz normale Finanz-Wahnsinn. Die Ratingagentur Standard und Poor's stufte die Kreditwürdigkeit der HRE herunter. Das Spiel war aus.

Funke, der Immobilienexperte, der für viele zum "Bankster" wurde, er hat heute seine eigene Interpretation der Dinge. Seine Theorie bedeutet aber auch, konsequent zu Ende gedacht: Hinter dem milliardenschweren Sündenfall stecken nicht die Finanzprobleme eines möglicherweise wackeligen Instituts, das sich nicht mehr finanzieren kann, sondern eine unbedachte Rettungsaktion, ohne die es die alte HRE heute wohl noch geben würde.

Eine steile These, und die Zuhörer und Juristen im Gerichtssaal müssen sie erst einmal erfassen. Aber: Es hat gebrodelt in Funke, fast neun Jahre lang.

"Das erste Buch, das ich in meinem Leben geschrieben habe"

Wenn er über die alten Zeiten redet, sind das Momente, in denen er wieder schneidig klingt, so wie früher, als er noch Chef der HRE war. Als er, der Immobilienkaufmann aus dem Ruhrgebiet, auf einmal ganz oben war und es bis nach London, München und in den Dax schaffte; als er noch große Pläne hatte und große Räder drehte, als er mit seiner Immobilienbank für fünf Milliarden Euro die in Irland ansässige Pfandbriefbank Depfa kaufte und er sagte, dass man gestärkt aus der Krise hervorgehen werde.

Das war, bevor die Krise die Finanzströme austrocknete, kaum noch Geld floss, bevor das Institut mit fast zehn Milliarden Euro Finanzhilfen und staatlichen Bürgschaften in Höhe von 124 Milliarden Euro gerettet und zwangsverstaatlicht wurde. Die HRE, so sah man das damals, hätte mit ihren weltweiten Pfandbriefgeschäften einen Tsunami ausgelöst. Damit sie nicht so etwas würde wie eine deutsche Version von Lehman Brothers und gleich noch die nächste Finanzkrise durch die Bankenwelt jagt, wurde sie aus dem Verkehr gezogen. So wie Funke.

Als alles vorbei ist an diesem Dienstag, zeigt Funke noch einmal große Gefühle. Das 210-seitige Manuskript seiner Aussage sei "auch das erste Buch, das ich in meinem Leben geschrieben habe", sagt er. Er will schon gehen, da schiebt er, bereits auf dem Flur, noch nach: Alles, was er heute gesagt hat, habe er jahrelang auf seinen Schultern getragen. Dann stockt ihm die Stimme. Funke, der einmal Chef der drittgrößten Bank in Deutschland war, der Mann, den sie "Bankster" nannten und "das Gesicht der Finanzkrise", kämpft nun vor laufender Kamera mit den Tränen. Dann verschwindet Funke, der Unverstandene, schnell den Gang hinunter.

In zwei Wochen wird weiterverhandelt, mindestens bis in den Herbst soll der Prozess gegen Funke und Fell dauern. Es geht, wie in den meisten Prozessen hier, um die ganz große Frage: Wer ist Täter, wer Opfer?

Zumindest eine Rolle ist ja schon damals eindeutig vergeben worden: die des Bankenretters. Das waren die Steuerzahler.

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