Hyperinflation:Wohin mit dem Geld?

Lesezeit: 4 min

Lieber eine Papierkrone als eine Hand voll Bolívares. Venezolanische Künstler schaffen aus wertlos gewordenen Scheinen Flechtkunstwerke. (Foto: Federico Parra/AFP)

Hohe Inflationsraten in Krisenländern machen deutschen Niederlassungen und Exporteuren das Leben schwer. Aber es gibt Instrumente und Strategien, um den Schaden möglichst gering zu halten.

Von Marcel Grzanna

Wohin nur mit den verfluchten Bolívares? Die venezolanische Landeswährung erlebt eine Hyperinflation, die das ganze Land in den Abgrund zu reißen droht. Die offizielle Teuerungsrate lag zuletzt im Jahresvergleich bei 13 800 Prozent. Lokale Quellen sprechen zum Teil sogar von mehreren Zehntausend Prozent. So genau kann das niemand mehr nachvollziehen, weil die Verbraucherpreise wie Raketen in die Höhe schießen. Klar ist damit aber vor allem, dass Bargeld fast völlig unbrauchbar geworden ist. Wer kann, sucht deshalb nach Alternativen. "Wir erleben eine Flucht in die Waren. Lieber massenweise Klopapier in den Büroschränken als Bolívares auf dem Konto. Klopapier kann man immerhin gegen Papierhandtücher tauschen", sagt jemand aus deutschen Unternehmenskreisen in der Hauptstadt Caracas. Und das auch nur anonym, weil niemand aus der Privatwirtschaft auffallen will im Land des sozialistischen Präsidenten Nicolás Maduro, das sich immer autoritärer entwickelt.

Zuschauen, wie sich das Geld in Luft auflöst? Firmen horten in Venezuela lieber Klopapier

"Wir müssen hier wahnsinnig schnell reagieren. Kaum taucht eine Ware auf, ist sie auch schon wieder weg. Jeder versucht, so wenig wie möglich lokale Währung zu besitzen", heißt es. Für deutsche Unternehmer am Ort sind solche Bedingungen eine außergewöhnliche Herausforderung. Flexibilität ist gefragt. Vorgezogene Kaufentscheidungen zählen zu den sichersten Strategien, um nicht hilflos dabei zuschauen zu müssen, wie sich das eigene Geld in Luft auflöst. Firmenfahrzeuge, Büroeinrichtungen, Computer, Kabel, Glühbirnen oder eben auch Toilettenpapier in großen Mengen haben sich die deutschen Betriebe in Venezuela zuletzt zugelegt, um dem totalen Wertverlust ihres lokalen Barvermögens entgegenzuwirken. Wer eine Renovierung plant, muss schnell entscheiden. Kostenvoranschläge gelten selten länger als drei Tage. Wer eine Konferenz ausrichten möchte, sucht einen Partner, der mit einer langfristigen Anzahlung in Höhe von möglichst 80 oder mehr Prozent einverstanden ist. Aber das funktioniert nur, wenn der Anbieter das Geld selbst schnell wieder loswerden kann. Sonst hat er selbst keinen Anreiz, die Anzahlung anzunehmen.

Bislang zeigen die Deutschen Stehvermögen. Rund die Hälfte aller Dax-Konzerne sind immer noch im Land vertreten. Und viele Mittelständler haben ihre Niederlassung im Krisenland in eine Art Winterschlaf versetzt. Mit einem Minimalaufgebot an Mitarbeitern und möglichst wenig finanziellem Aufwand versuchen sie, die Verluste so gering wie möglich zu halten. Die Hoffnung ist, die Geschäfte schnell wieder hochfahren zu können, wenn die Talsohle durchschritten ist. Andere haben ihre Niederlassung entkonsolidiert und auf eigene Füße gestellt, um sie aus den Büchern zu bekommen. Inflation in Venezuela ist nichts Neues. Der Bolívar erlebte schon Jahre vor der Hyperinflation massiven Wertverlust. Aber: "Solange die Inflation relativ konstant blieb und sich die Wechselkurse anpassten, konnten wir damit ganz gut leben." Doch die enorme Beschleunigung der Geldentwertung ist auf dem Devisenmarkt nicht mehr aufzufangen. Die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen sind drastisch und ein mahnendes Beispiel für Firmen, die im Ausland Geld verdienen wollen. Doch klar ist auch, dass die Entwicklung im Norden des südamerikanischen Kontinents zurzeit einen Extremfall darstellt. Der Umgang mit Teuerungsraten in dieser Größenordnung ist kein Standardprogramm für global operierende Firmen, nicht einmal für solche mit jahrzehntelanger Erfahrung im Ausland. Exporteure sind ohnehin stets auf der Hut in Staaten mit potenziell volatilen Währungen. "Es ist immer eine spannende Frage, wie man mit den Risiken umgeht und welche Absicherungsinstrumente die Unternehmen nutzen", sagt Gregor Wolf, Geschäftsführer des Bundesverbandes des Deutschen Exporthandels (BDEx). Es gibt eine gewisse Bandbreite an Instrumenten. Eine Exportkreditversicherung, die der deutsche Staat deckt, ist eine Möglichkeit. Sie schützt jene Firmen, die ihre Waren in risikobehaftete Märkte liefern, indem sie Zahlungsausfälle über Sicherungen des Bundes kompensiert. Gerade wenn zwischen Bestellung und Auslieferung viel Zeit vergeht, hilft das Instrument dem Exporteur auch dabei, liquide zu bleiben. Zudem gibt es die Chance auf Bestellerkredite, die einem ausländischen Importeur gewährt werden und die gebunden sind an Lieferungen und Leistungen des deutschen Exporteurs. Der Importeur kann mit dieser Hilfe zum vereinbarten Termin zahlen, während der Exporteur keine Forderungen langfristig vor sich herschieben muss. Die Auszahlung des Kredits erfolgt immer an den Exporteur.

Eine andere Alternative sind Termingeschäfte. Sie legen frühzeitig die Bedingungen fest, zu denen zu einem späteren Zeitpunkt vollzogen wird. Für Exporteure bedeutet das Kalkulationssicherheit, weil eine Abwertung der Währung im Zielland keine Rolle mehr spielt. Allerdings heißt das auch im Umkehrschluss, dass der Exporteur nicht davon profitieren kann, wenn die Währung im Zielland eine drastische Aufwertung erfährt. Möglich sind auch Optionen, für die ein Unternehmen als Absicherung eine Prämie bezahlt. Optionen sichern sowohl einen Totalausfall ab, genauso wie sie es ermöglichen, dass der Unternehmer von sinkenden Rohstoffpreisen oder fallenden Zinsen profitiert.

Keine Versicherung indes hat ein Unternehmer gegen einen möglichen Wertverlust seiner Waren. Im Falle einer starken Inflation wird ihr Verkaufswert massiv verringert. "Der Umgang mit Lagerbeständen bedarf eines guten Timings und gegebenenfalls eines langen Atems. Auf jeden Fall können im Lagerbestand substanzielle Währungsrisiken schlummern", sagt BDEx-Geschäftsführer Wolf. Es ist ein einfaches Rechenexempel. Wie schnell wird man seine Ware noch los, bevor man erhebliche Verluste einfährt? Und wie lange muss oder kann man das Geld halten, ehe weitere Entwertungen für noch größere Verluste sorgen?

Langfristige Kredite vergeben die Banken bei hoher Inflation nicht

In Caracas haben sich einige deutsche Firmen dazu entschlossen, ihre Lager lieber zu halten und sie erst dann wieder zu verkaufen, wenn sich die Zeiten bessern. Die richtige Entscheidung zwischen Verkaufsstop und Ausverkauf hängt also immer auch vom Tempo der Geldentwertung ab und der Möglichkeit, die lokale Währung in andere Ware oder harte Währung tauschen zu können. Und nicht zuletzt auch davon, was die Lagerhaltung kostet. Wem es gelingt, bei seinen Geschäften Fremdwährungen als Zahlungsmittel festzulegen, beispielsweise US-Dollar oder Euro, der umgeht von Beginn an die Gefahr, in lokalen Währungsschwankungen zu geraten. Entsprechende Klauseln können in Verträge integriert werden. Das gilt aber vornehmlich für Exporteure, die einen lokalen Partner im Land haben. Für Tochterunternehmen deutscher Firmen in Venezuela gelten dagegen gesetzliche Grenzen. Wenn die lokale Niederlassung mit einem venezolanischen Partner Geschäfte abwickelt, muss dies in Bolívares geschehen. Nur wenn ein Vorgang aus dem Ausland integriert ist, können Euro oder Dollar problemlos eingesetzt werden, solange beide Partner sich darauf einigen. Entkonsolidierte Niederlassungen aber, die von den Mutterhäusern im Ausland losgelöst wurden, haben diese Möglichkeit nicht mehr.

Entkonsolidierung bedeutet also auch, dass frisches Kapital lokal beschafft werden muss. Langfristige Kredite vergeben die Banken bei hoher Inflation aber nicht. Um nicht noch mehr Liquidität in den Markt zu pumpen, kann der Staat die Kreditvergabe durch seine Geldhäuser auch drosseln. Das macht die Geldversorgung zusätzlich kompliziert. In Venezuela verleihen sich deshalb Unternehmen gegenseitig Kapital. Wer viel hat, es aber nicht benötigt, verleiht es lieber weiter. Bestenfalls zu einem fest vereinbarten Betrag, der inflationsbereinigt am Tag X zurückgezahlt werden muss.

© SZ vom 06.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: