Hongkong:Rauswurf in Hongkong

Ein Journalist muss gehen, nachdem seine Zeitung über Offshore-Firmen geschrieben hat.

Von Christoph Giesen, Mauritius Much, Peking/München

Selbst gestandene Redakteure hatten Tränen in den Augen, als sie am Mittwochmorgen in die Redaktion kamen: an dem Tag, an dem die Zeitung Ming Pao aus Hongkong ihre Enthüllungen zu den Panama Papers veröffentlichte. Am Abend zuvor war noch Keung Kwok-yuen, der stellvertretende Chefredakteur, da gewesen und hatte mit ihnen die Zeitung gemacht. Gleich zwei Minister aus dem Peking-freundlichen Kabinett Hongkongs hatten die Reporter der Zeitung in den Daten gefunden. Ihnen sollen Briefkastenfirmen auf den Britischen Jungferninseln gehören. Auch Li Ka-Shing, der reichste Mann der Stadt, dem laut dem US-Magazin Forbes geschätzte 27 Milliarden Dollar gehören, taucht in den geleakten Dokumenten auf, ebenso der bekannte Schauspieler Jackie Chan.

Und nun das: Just am Tag des größten Scoops entschied sich Chefredakteur, Chong Tien-siong, seinen Stellvertreter zu entlassen. Und zwar mitten in der Nacht. Der offizielle Grund: Die Zeitung müsse sparen, deshalb die Trennung. Doch möglicherweise waren die Panama Papers ein willkommener Anlass, damit der Chefredakteur seinen Stellvertreter loswerden konnte, so wie andere Peking-kritische Mitarbeiter zuvor.

Zwei Minister und mächtige Bosse aus der ehemaligen Kronkolonie tauchen in den Dokumenten auf

Im Gegensatz zur Volksrepublik China ist in Hongkong, der einstigen britischen Kronkolonie, die 1997 an China übergeben wurde, die Presse frei. Doch längst gilt: Wer zu kritisch über die Kommunistische Partei und ihre Politik berichtet, bekommt Probleme. Eine Zensur findet nicht statt, aber die Werbekunden bleiben aus. Auch die auf Englisch erscheinende South China Morning Post, einst Pflichtlektüre aller China-Beobachter, hat in den vergangenen Jahren enorm abgebaut. Nach 113 Jahren wurde das Blatt an den regierungstreuen Internetkonzern Alibaba verkauft.

Ming Pao trotzte dem lange. Noch Anfang 2014 wirkte das Blatt an einer anderen weltweiten Recherche zur Steuerflucht mit, an der auch die Süddeutsche Zeitung beteiligt war; es ging dabei um die Offshore-Firmen chinesischer Politikerfamilien. Wenige Tage vor der geplanten Veröffentlichung wurde der damalige Chefredakteur Kevin Lau entlassen. Kurze Zeit später attackierten ihn Triaden, also Mitglieder einer Vereinigung aus dem Bereich der organisierten Kriminalität, auf offener Straße; Lau bekam ein Messer in den Rücken und die Beine gerammt.

Sein Nachfolger wurde Chong Tien-siong, der als Peking-freundlich gilt. Viele leitende Mitarbeiter verließen danach das Blatt. Der Chefredakteur, heißt es, sei eingeweiht gewesen in die Recherche zu den Panama Papers, er habe gewusst, woran seine Leute arbeiteten. Denkbar ist deshalb: Keungs Kündigung stand lange fest, wurde aber bewusst am Tag der Veröffentlichung bekannt gegeben - als Zeichen an Peking: Wir tun etwas.

Vor gut einer Woche war auch schon in Venezuela eine Journalistin entlassen worden, die an den internationalen Recherchen zu den Panama Papers beteiligt war. Die offizielle Begründung lautete, sie habe ihren Vorgesetzten verschwiegen, dass sie in das Projekt eingebunden war.

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