Geld für Hochwasser-Opfer:Das große Versprechen

Politiker verpsrechen beim Besuch der vom Hochwasser betroffenen Regionen Millionen; doch es gibt eine Disskusion über Pflichterverischerungen

Angela Merkel in Bitterfeld-Wolfen.

(Foto: dpa)

Politiker versprechen den Hochwasseropfern Millionen. Zahlreiche Menschen hätten sich jedoch einfach privat versichern können. Andere, die es am nötigsten hätten, können es wiederum überhaupt nicht. Lehren aus der Jahrhundertflut.

Von Guido Bohsem, Berlin, Harald Freiberger, Herbert Fromme und Mike Szymanski

Der Zorn des Versicherungsmanagers aus dem Süden der Republik ist groß. "Mit unseren Steuergeldern verteilen Merkel und Seehofer Wohltaten an die Flutopfer", schimpft er. "Dabei könnten die allermeisten dieser Menschen sich privat versichern." Deshalb, so seine Logik, sind die staatlichen Hilfen überflüssig. Zitieren lassen will er sich damit nicht. Er hat keine Lust, zur Zielscheibe verärgerter Flutopfer oder Lokalpolitiker zu werden, die auf die Millionen aus Kassen des Bundes und der Länder hoffen können.

Die Flutkatastrophe in Ost- und Süddeutschland schwemmt eine alte Debatte wieder an die Oberfläche: Soll die Politik eine Pflichtversicherung für alle Hausbesitzer gegen Elementarschäden einführen? In einer normalen Gebäudeversicherung sind nur Feuer, Sturm, Hagel und Leitungswasserschäden abgesichert. Gegen Hochwasser muss man sich extra schützen.

Mit einer Pflichtversicherung müssten künftig nicht wieder die Steuerzahler mit Hunderten Millionen Euro einspringen, wenn die Flut kommt. Es ist ja inzwischen so, dass es alle paar Jahre eine Jahrhundertflut gibt. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich brachte die Pflichtversicherung am Freitag wieder ins Gespräch.

Nur für 32 Prozent aller Gebäude in Deutschland haben ihre Besitzer eine entsprechende Zusatzpolice abgeschlossen. Viele andere brauchen sie nicht, weil sie in Gebieten wohnen, die nicht von Hochwasser bedroht sind. Und dann gibt es jene, die die Versicherung dringend bräuchten und auch gerne abschließen würden. Das Problem ist nur: Sie bekommen sie nicht. Es gibt keinen Versicherer, der ein solches "Klumpenrisiko" eingehen will, wie das in der Branchensprache heißt.

Bleibt also nur die Soforthilfe des Staates. Eine solche kündigte am Freitag Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU) an, den Ministerpräsident Horst Seehofer zum Fluthilfe-Beauftragten ernannt hat. Im Herbst sind Landtagswahlen, der Regierungschef weiß, seine CSU wird auch daran gemessen werden, wie sie diese Flut-Katastrophe bewältigt. Mehrmals hat sich Seehofer in die Überschwemmungsgebiete aufgemacht. Und die Leute haben ihm erzählt, sie bräuchten erst einmal dringend Geld für das Nötigste: Unterwäsche, Lebensmittel. Womit man so anfängt, wenn man alles verloren hat.

Die Bayern sind erprobt, was Hochwasser angeht, 1999, 2002, 2005 - die Staatsregierung musste schon oft genug helfen. Seit Donnerstag zahlt der Freistaat den Betroffenen ein Sofortgeld von 1500 Euro je Haushalt aus. Die ersten 40 Millionen Euro hatte Söder für den Donnerstag bereitgestellt, für Niederbayern machte er am Freitag 20 Millionen Euro zusätzlich locker.

Wer mit seinem Haus oder seiner Wohnung abgesoffen ist, bekommt von den Behörden am Ort die Not-Pauschale ausbezahlt. Bar oder per Überweisung. Er muss dazu nur ein kurzes Formular ausfüllen. Söder sagt, es komme jetzt darauf an, schnell und unbürokratisch zu helfen.

Höhe der Hilfen noch völlig unklar

Das Sofortgeld ist nur eine Art erste Hilfe. Söder weiß, dass viele Flutopfer viel mehr Unterstützung brauchen werden. Er hat 200 Millionen Euro, die er in diesem Jahr weniger in der Länderfinanzausgleich zahlen muss, als Hochwasser-Rücklage eingeplant. Kanzlerin Angela Merkel habe versprochen, für jeden Euro des Freistaates einen vom Bund draufzulegen. Das verschafft Spielräume. In der Vergangenheit lagen die Hochwasserschäden in Bayern jeweils bei 200 Millionen Euro - Söder hält es für gut möglich, dass die Summe diesmal höher ausfallen wird. Wen man in der Staatsregierung in diesen Tagen auch fragt, es heißt: Am Geld wird die Hilfe nicht scheitern.

Allerdings müssten die Betroffenen dann im Laufe des Verfahrens auch ihre Vermögensverhältnisse offenlegen. Es werde ohnehin schon "sportlich", Missbrauch zu erkennen und zu verhindern.

Auch Sachsen hat eine Soforthilfe geschaffen. 400 Euro gibt es pro Erwachsenem, 250 Euro pro Kind, maximal 2000 Euro pro Haushalt. Betroffene wenden sich an den Beauftragten der Kommune, sie brauchen nur einen Personalausweis und müssen per Unterschrift bestätigen, dass sie einen Schaden haben. Kontrolliert wird nicht, aber: "Die Bearbeiter vor Ort wissen, welche Straßenzüge betroffen sind, allein aus der Adresse kann man schon ablesen, ob ein Schaden plausibel ist", sagt ein Sprecher des sächsischen Finanzministeriums.

Immer wieder taucht die Zahl von 100 Millionen Euro auf, die der Bund den Ländern zur Verfügung stellen wird. Diese ist jedoch irreführend. Wie hoch die Soforthilfen des Bundes tatsächlich sein werden, weiß noch keiner. Sicher ist nur, dass jeder Euro, den das betroffene Land an Hilfen ausreicht, vom Bund mit 50 Cent finanziert wird. Diese Aufteilung soll verhindern, dass die Länder auf Kosten des Bundeshaushalts allzu zu großzügig vorgehen.

Erst wenn das Ausmaß der Schäden konkret feststeht, werden Bund und Länder darüber sprechen, wie diese bewältigt werden können. "Wir sind uns im Klaren, dass die Beteiligung des Bundes mit den Soforthilfen nicht beendet ist", sagt Finanzstaatssekretär Werner Gatzer. Ob es wie bei früheren Hochwasserkatastrophen auch zur Einrichtung eines Fonds kommen werde, ließ er aber offen: "Ein Fonds kann ein Instrument sein." Beim Hochwasser 2002 beteiligten sich alle 16 Länder und der Bund jeweils zur Hälfte an dem milliardenschweren Finanztopf.

Fest steht aber, dass die Diskussionen um die Pflichtversicherung in den nächsten Wochen aufbranden wird. So wie in der Autoversicherung: Wer eine Teil- oder Vollkaskoversicherung hat, ist auch versichert, wenn der Wagen vollläuft. Und das wird teuer. "Wenn die Autos richtig abgesoffen sind, sind die ein Totalschaden", sagt Klaus-Jürgen Heitmann von der HUK-Coburg. Warum also nicht auch eine Pflichtversicherung für Gebäude? Andererseits: Es ist schwer einzusehen, warum sich der Besitzer einer Eigentumswohnung im fünften Stock fern von einem Flusslauf gegen Überschwemmungen versichern soll.

Bis 1990 gab es in Baden-Württemberg eine Pflichtversicherung gegen Flutschäden. Dort ist die Verbreitung des Elementarschutzes auch heute noch mit 95 Prozent weit höher. In der alten DDR war der Hausrat automatisch gegen Flutfolgen mitversichert, die meisten Gebäude hatten auch einen entsprechenden Schutz. Aber im Rest des Landes - kein Interesse.

Nach der Oder-Flut 2002 wollten Bundes- und Länderregierungen deshalb eine Pflichtversicherung einführen. Die Ministerpräsidenten sprachen sich dafür aus, im Bundesjustizministerium wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet. Doch 2004 wurde das Projekt begraben - zu groß waren die juristischen Hürden.

"Vor 20 Jahren war es leichter, Schutz zu bekommen"

Eine Pflichtversicherung ist auch gar nicht legal, argumentiert der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) heute noch. "Die Pflichtversicherung nach deutschem Recht dient dem Schutz Dritter, nicht dem des eigenen Vermögens", sagt eine Sprecherin. Bei der Kfz-Haftpflicht also dem Unfallgegner. Davon abgesehen, gebe es sowieso keinen Bedarf. Denn 99 Prozent aller Gebäude in Deutschland seien problemlos versicherbar.

Verbraucherschützer haben starke Zweifel an dieser Zahl. "Nach unserer Einschätzung ist der Anteil der Hausbesitzer, der keinen Versicherungsschutz bekommt, höher", sagt Elke Weidenbach von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.

Für Privatkunden in stark hochwassergefährdeten Gebieten ist es sehr schwer, Versicherungsschutz zu bekommen. Klar ist: "Wenn die Hochwasser-Wahrscheinlichkeit 100 Prozent beträgt, wird sich auch mithilfe von Prämienzuschlägen und Selbstbehalten kein Versicherer finden lassen, der das Risiko zeichnet", sagt Barbara Köster-Heck, Leiterin des Privatkundengeschäfts beim Versicherungsmakler Aon. Das sei etwa bei vielen Gebäuden in Köln in unmittelbarer Nähe des Rheins der Fall. "Diese Risiken sind unversicherbar."

Aber auch in für Häuser in mittelschwer exponierten Gebieten finden die Eigner nicht so einfach eine Deckung. Hier verlangen Versicherer oft Selbstbehalte und bieten geringere Versicherungssummen an. Oft ist bei 25.000 Euro Schluss - während der gesamte Hausrat mit 200.000 Euro versichert ist. Maklerin Köster-Heck hat beobachtet, dass die Anbieter restriktiver geworden sind: "Vor 20 Jahren war es definitiv leichter, Schutz zu bekommen."

Damals hätten die Versicherer noch nicht so viele Risikofragen gestellt. Zudem gab es das "Zürs"-System der Branche noch nicht. Es gibt in vier Abstufungen Auskunft darüber, wie stark hochwassergefährdet eine Immobilie in Deutschland ist. Die Prämienkalkulation der Versicherer fußt auf diesem System. Dass Zürs kein Zaubermittel ist, weiß auch die Assekuranz. So liegt das überflutete Deggendorf in Zürs 1, der risikoärmsten Zone.

"In den Zürs-Zonen 1 bis 3 sind Privat- und Geschäftskunden problemlos versicherbar", sagt Thomas Abel, Geschäftsführer beim Hamburger Maklerhaus Funk. Anders sieht es bei Zürs-Zone 4 aus. Dort gibt es statistisch einmal in zehn Jahren Hochwasser. "Für Privatleute ist hier kaum Schutz zu bekommen", sagt Abel. Zudem wird Zürs nach jedem Hochwasser überarbeitet. Dann kommen neue Hausbesitzer hinzu, die in Zone 4 eingestuft werden.

Und was bleibt, wenn die Flut zurückgegangen und die Schäden beseitigt sind? Viele Hausbesitzer ohne Versicherungsschutz, viele weitere, die sich nicht versichern wollen, weil sie wissen, dass ihnen eh geholfen wird - und Politiker in Gummistiefeln, die Millionenhilfen verteilen. Bis zur nächsten Jahrhundertflut.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: