Hiesinger: Von Siemens zu Krupp:Gerhard Cromme - sein Wille geschehe

Siemens-Mann Heinrich Hiesinger wird Chef von Thyssen-Krupp. Die Personalie bringt den Strippenzieher Gerhard Cromme ins Zwielicht.

H.-W. Bein u. K.-H. Büschemann

Thyssen-Krupp bekommt auf umstrittene Weise einen neuen Chef. Im Januar 2011 soll der Siemens-Manager Heinrich Hiesinger, 49, den Vorstandsvorsitz des Stahlkonzerns übernehmen. Aufsichtsratschef Gerhard Cromme gerät wegen eines Interessenkonflikts in die Kritik.

Gerhard Cromme, Foto: ddp

Gerhard Cromme. Als Aufsichtsratschef sowohl bei Thyssen-Krupp als auch bei Siemens hat er eigentlich die Interessen beider Unternehmen gleichermaßen zu wahren.

(Foto: Foto: ddp)

Gerhard Cromme führt seit 2001 den Aufsichtsrat von Thyssen-Krupp und seit 2007 auch den von Siemens. Er gilt damit als einer der einflussreichsten Manager in Deutschland. Einen Verstoß gegen die Regeln guter Unternehmensführung sieht der selbstbewusste Manager durch die Abwerbung von Hiesinger bei Siemens nicht. Es gebe keinen Interessenkonflikt. Er werde bei Siemens kein "verbranntes Feld" hinterlassen, lässt er mitteilen. Man dürfe Hiesinger nicht dafür bestrafen, dass Cromme die beiden Aufsichtsräte führe, heißt es dazu bei Thyssen-Krupp in Düsseldorf.

Ein langgedienter Siemens-Manager schüttelt aber den Kopf über die jüngste Personalentscheidung von Cromme: "Das ist unglaublich." Als Chef der Aufsichtsräte von Thyssen-Krupp wie von Siemens habe er die Interessen beider Unternehmen gleichermaßen zu wahren, schimpft der Unternehmens-Veteran. "Das ist eine grobe Illoyalität uns gegenüber." Der Vorwurf: Cromme holt mit Hiesinger einen der besten Leute von Siemens zu Thyssen-Krupp.

Kritik von außen

Der 67-jährige Cromme war von 2001 bis 2008 zudem Vorsitzender der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, die Regeln für gute Unternehmensführung aufstellen soll. Besonders deswegen wird er nach der Abwerbung von Hiesinger auch von außen kritisiert.

Manuel Theisen, Professor für Betriebswirtschaft und Corporate-Governance-Experte an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, hält Crommes Entscheidung für fragwürdig. Der Manager befinde sich in einem Interessenkonflikt, "der ohne die Verletzung der Sorgfaltspflicht nicht zu lösen ist". Entweder schädige Cromme den Siemens-Konzern oder er füge Thyssen-Krupp Schaden zu.

Die Entscheidung überrascht

Hiesinger kommt als Krisenmanager in den Düsseldorfer Konzern, wo er zunächst für ein paar Monate als Stellvertreter von Schulz agieren soll, bevor er am 21. Januar 2011 auf der nächsten Hauptversammlung zum Vorstandsvorsitzenden wird. Thyssen-Krupp machte 2009 einen Verlust von über zwei Milliarden Euro und muss dringend die Abhängigkeit vom Stahlgeschäft reduzieren. Ekkehard Schulz, seit 1999 im Amt und bereits 68 Jahre alt, war zuletzt unter Druck geraten.

Es überrascht, dass ein Unternehmensfremder für den Chefposten von Thyssen-Krupp berufen wurde. Es gab auch interne Kandidaten für die Schulz-Nachfolge, und zwar mehrere: Edwin Eichler, Chef der Stahlsparte, Olaf Berlin, der an der Spitze des Industriebereichs steht, sowie Finanzchef Alan Hippe. Cromme hat gleich noch eine weitere Personalie beschlossen. Er will Ende Januar auch seinen engen Vertrauten und oberste Kommunikator Jürgen Claassen zum Vorstandsmitglied mit Zuständigkeit für die Konzernentwicklung machen.

Cromme bremst Schulz aus

Bei Thyssen-Krupp geht es auch um die Zukunft von Cromme, der noch viel vorhat: Er will Chef der Krupp-Stiftung werden, und sich zu einer Art Mister Ruhrgebiet entwickeln. Bisher sitzt noch der legendäre und inzwischen 96-jährige Berthold Beitz an der Spitze der Stiftung, die der größte Aktionär von Thyssen-Krupp ist. Für den Aufstieg in die Traumrolle kann es nicht schaden, wenn Cromme einen guten Kandidaten für die Konzernführung beibringt.

Thyssen,Krupp, Grafik: SZ

Die Entwicklung von Thyssen-Krupp in den vergangenen Jahren sehen Sie in dieser Grafik.

(Foto: Grafik: SZ)

Hiesinger hatte seine Sache gut gemacht

Cromme hatte Hiesinger im Juni 2007 mitten in der Korruptionsaffäre in den Vorstand des Münchner Konzerns befördert. Die von ihm danach geführte Industriesparte, die größte im Konzern, beschäftigt sich mit Automatisierung, aber auch mit Anlagenbau und kommt mit 200000 Beschäftigten auf einen Umsatz von 34 Milliarden Euro, hat also ungefähr die Größe von Thyssen-Krupp.

Kein Geschäftsbereich bei Siemens wurde von der globalen Wirtschaftskrise so stark betroffen wie der von Hiesinger. Doch selbst Arbeitnehmervertreter erklären, er habe seine Sache gut gemacht, trotz massiver Entlassungen. "Hiesinger hat in der Krise Augenmaß bewiesen", heißt es im Gesamtbetriebsrat.

Der Münchner Konzern reagierte am Dienstag auf Crommes Lockmethode offiziell gelassen. Im gleichen Tenor wie bei Thyssen-Krupp verbreiten Sprecher in München die These, Hiesinger habe bei Siemens keine Chance auf den Posten des Vorstandsvorsitzenden. Er sei etwa gleich alt wie Konzernchef Peter Löscher. Aber Hiesingers Abschied gilt bei Siemens intern als großer Verlust. In einem Brief an die Mitarbeiter erklärte Löscher, Siemens stehe vor einer "wesentlichen personellen Veränderung". Er bedauere "außerordentlich", dass Hiesinger das Unternehmen verlasse.

Die Zeit drängt

Bei Thyssen-Krupp drängt indes die Zeit: Der Ruhr-Konzern, der sowohl Stahl erzeugt als auch Teile für die Automobilindustrie liefert, ist von der Wirtschaftskrise der vergangenen anderthalb Jahre massiv betroffen. Der Umsatz fiel 2009 um etwa ein Viertel auf 40 Milliarden Euro. Der Aktienkurs des Unternehmens, das ein Jahr zuvor noch einen Rekordgewinn von über zwei Milliarden Euro gemacht hatte, fiel im Herbst 2008 in nur wenigen Wochen von über 40 Euro auf unter 15 Euro. Aus einem Vorzeigeunternehmen war ein Krisenfall geworden.

Konzernchef Schulz ging vor einem Jahr so massiv an den Kosten- und Stellenabbau sowie an die Umorganisation heran, dass die Belegschaft auf die Straßen ging. Schulz räumte später ein, die Stimmung im Konzern falsch eingeschätzt zu haben und bei den Entlassungen zu harsch ans Werk gegangen zu sein. Zwar ist es Schulz, der seit der Fusion der beiden Traditionskonzerne Thyssen und Krupp im Jahr 1999 an der Konzernspitze steht, nach den Rekordverlusten 2009 offenbar gelungen, das Ruder herumzureißen. Allerdings ist noch nicht klar, wie Schulz die angekündigte Rückkehr in die Gewinnzone schaffen will.

Teure Probleme

Eines der Problemfelder bei Thyssen-Krupp sind die beiden neuen Stahlwerke in Brasilien und in den USA, die sich als wesentlich teurer entpuppten als geplant. Von dem vor drei Jahren angekündigten Expansionsprogramm im Umfang von 20 Milliarden Euro verschlingen die aus dem Ruder laufenden überseeischen Neubauten deutlich mehr Geld als veranschlagt. Für den dringend nötigen Ausbau der Technologiesparte fehlt dem Konzern daher das Geld.

Hiesinger muss im Industriegütergeschäft aber Akzente setzen, um die fatale Abhängigkeit des Konzerns vom Stahl zu reduzieren. Immer noch stehen Stahl und Edelstahl für etwa 40 Prozent des Umsatzes. Zwar hat sich das Geschäft in den vergangenen Monaten weltweit wieder deutlich belebt. Noch ist aber völlig offen, wie der deutsche Marktführer die Teuerung des Eisenerzes zwischen 90 und 100 Prozent, vor allem aber die den Stahlhütten aufgezwungene Abkehr von den langfristigen Lieferverträgen verkraftet. Einstweilen sieht es so aus, als seien die Löcher im verlustträchtigen Schiffsbau gestopft. Der von Schulz mit dem Ausbruch der Krise Ende 2008 eingeleitete Konzernumbau ist längst noch nicht abgeschlossen.

Schulz ohne Zukunft bei Thyssen

Hiesinger wird sich in Düsseldorf daran gewöhnen müssen, dass wichtige Entscheidungen bei Thyssen-Krupp auch vom Großaktionär, der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und deren Vorsitzenden Berthold Beitz, absegnet werden müssen. Zuletzt sorgte bei Mitarbeitern für großen Unmut, dass auf Drängen von Beitz trotz des Milliardenverlustes eine Dividende aus der Substanz gezahlt wurde.

Das Verhältnis von Schulz zu seinem Aufsichtsratsvorsitzenden Cromme galt lange als gespannt. Noch im vergangenen Jahr wurde darüber spekuliert, Cromme wolle Schulz loswerden. Beide haben das Unternehmen eine Zeitlang gemeinsam geführt. Nachdem der Essener Krupp-Konzern den verhassten Düsseldorfer Konkurrenten Thyssen feindlich übernommen hatte, bekam das Unternehmen nicht nur einen Doppelnamen, sondern auch eine Doppelspitze: Cromme und Schulz. Doch Cromme setzte sich bald ab, um den Aufsichtsratsvorsitz zu übernehmen.

Schulz hat bei Thyssen keine große Zukunft mehr. Wie es in Düsseldorf heißt, soll der Manager 2011 nur als einfaches Mitglied in den Aufsichtsrat von Thyssen-Krupp gewählt werden. Als Vorsitzender sei er aber nicht vorgesehen. Diesen Posten will Cromme offenbar nicht räumen, auch wenn er eines Tages wirklich das mächtige Erbe des früheren Krupp-Verwesers Beitz antreten sollte.

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