Hexal:Pillen-Poker

Die deutsche Novartis-Tochter ist Marktführer bei den Generika-Herstellern. Ganz zufrieden ist Firmenchefin Sandrine Piret-Gerard dennoch nicht.

Von Helga Einecke, Holzkirchen

Bei der großen Masse der Medikamente geht es zu wie bei den Lebensmitteln. Billigware wird bevorzugt, Discounter haben die Nase vorn. Im Namen der Patienten und Beitragszahler drücken die Krankenkassen die Preise mit regelmäßigen Rabattkämpfen. Sie schreiben Generika aus, also jene Wirkstoffe, die wegen des abgelaufenen Patentschutzes günstig nachgeahmt werden. Derjenige Hersteller, der die Ausschreibung der Krankenkasse für sein Medikament gewinnt, darf liefern. Alle anderen gehen leer aus.

Der Arzneimittelhersteller Hexal aus Holzkirchen bei München, eine Tochter des Schweizer Pharmakonzerns Novartis, gehört ziemlich häufig zu den Gewinnern. Aber Sandrine Piret-Gerard, 39, Vorstandschefin von Hexal, hadert trotzdem mit dem System der Ausschreibungen und Rabatte im deutschen Gesundheitswesen. Die bedeuteten starke Schwankungen bei der Produktion, manchmal komme es zu Engpässen. "Der deutsche Markt ist schwierig in Bezug auf Planungssicherheit", sagt sie im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Besser wäre es, wenn mehrere Anbieter den Zuschlag erhielten, meint sie. Das sei in anderen Ländern üblich, minimiere die Engpässe und erleichtere die Planungen. Um den Wettlauf um den geringsten Preis zu gewinnen, tun die Generika-Hersteller viel. Unter anderem legen sie sich Zweitmarken zu. Bei Hexal heißt sie 1A Pharma.

Seit einem Jahr leitet die Belgierin Piret-Gerard die Hexal AG. Mit einem Marktanteil von 16,7 Prozent sieht sie das Unternehmen als führend im deutschen Generika-Markt. Danach kämen die Konkurrenten Ratiopharm und Stada, deren Zweitmarken AbZ-Pharma und Aliud-Pharma heißen.

"Wer bei Ausschreibungen und Rabattverträgen nicht mitmacht, ist in Apotheken nicht präsent."

Am oberbayerischen Firmensitz Holzkirchen sieht es so gar nicht nach Massenproduktion aus. Tatsächlich existiert dort neben der Verwaltung nur eine Produktionsstraße für Pflaster. Keine Allerwelts-Pflaster verlassen dieses Werk, sondern spezielle, die Schmerzmittel und Hormone durch die Haut in den Körper bringen, also anspruchsvollere Heilmittel. Größter Produktionsstandort aber ist Barleben in Sachsen-Anhalt, wo jährlich zehn Milliarden Tabletten und Kapseln das Werk verlassen. "Wer bei den Ausschreibungen und Rabattverträgen nicht mitmacht, ist in den Apotheken nicht präsent", erklärt Piret-Gerard die großen Kapazitäten. Stolz zeigt sie einen handlichen, bunten Inhalator, ein kleines Gerät mit Zählwerk und anderen Extras für Asthma-Patienten. Für Babys, Kinder und Erwachsene variieren die Farben, auch so eine Spezialität.

Swiss pharmaceutical giant Novartis announced job cuts

Arbeiten am Standort Barleben in Sachsen-Anhalt: Die Hexal-Tochter Salutas verarbeitet etwa 300 pharmazeutische Wirkstoffe zu 15 500 Fertigwaren.

(Foto: Martin Rütschi/dpa)

Hexal verkauft nicht nur Pillen, sondern will mit der eingeführten Marke punkten. Deshalb leistet man sich auch weiterhin einen Außendienst, der Ärzte und Apotheker besucht. Dabei hält man sich nach Angaben von Piret-Gerard an Regeln. "Zwei Muster pro Molekül und Jahr sind die gesetzlichen Vorgaben", erläutert die Managerin knapp. Die Diskussion um eine zu große Nähe zwischen Arzt und Pharmaindustrie sei richtig, Transparenz das Gebot der Stunde.

Piret-Gerard wurde zur Ingenieurin ausgebildet, hat die Pharmaindustrie dann als Seiteneinsteigerin kennengelernt. Sie will als Managerin auch keine Expertin sein, sondern vor allem motivieren und Neues anstoßen. Der abgenutzte Begriff "Teamspielerin" treffe auf sie tatsächlich zu, heißt es in ihrer Umgebung. Piret-Gerard kann neben Englisch, der Sprache der Pharmaindustrie, auch Französisch, Deutsch und Holländisch. Sport als Ausgleich zum Job spielt für sie eine große Rolle: Ski, Schwimmen, Joggen. Sie reist gern unkonventionell mit dem Rucksack nach Asien oder Südamerika, nur mit einem Flugticket in der Tasche. Sie ist die erste Frau an der Spitze von Hexal.

Genau zehn Jahre ist es her, da trennten sich die Brüder Andreas und Thomas Strüngmann von ihrem Unternehmen Hexal und verkauften es an den Schweizer Pharmakonzern Novartis für sechs Milliarden Euro. Damals machte das Unternehmen 1,5 Milliarden Euro Umsatz und beschäftigte 7500 Mitarbeiter. Heute ist Hexal Teil von Sandoz, der Generika-Sparte von Novartis. Die setzt weltweit zehn Milliarden Euro im Jahr um, hat in Deutschland noch 3700 Arbeitsplätze.

Hexal: Die Belgierin Sandrine Piret-Gerard, 39, leitet Hexal seit gut einem Jahr.

Die Belgierin Sandrine Piret-Gerard, 39, leitet Hexal seit gut einem Jahr.

(Foto: oh)

Auch wenn "die Doktores", wie die Strüngmanns in Holzkirchen genannt wurden, nicht mehr präsent sind, sie haben deutliche Spuren hinterlassen. Im Wettlauf mit dem Ratiopharm-Manager Adolf Merckle brachten sie den deutschen Generika-Markt in Schwung. Anfangs wurden die Kopisten von den forschenden Pharmafirmen verachtet, ihre Medikamente von Ärzten gemieden, ihre Qualität bezweifelt. Das hat sich grundlegend geändert. Drei von vier verschriebenen Pillen sind in Deutschland heute Generika, die Krankenkassen müssen für diese Mehrzahl der Arzneien nur ein Zehntel der Medikamenten-Ausgaben einplanen.

Weil die Brüder Strüngmann damals aggressiv vorgingen, erhielten sie den Spitznamen "die Piraten". Nach der Wende legten sie richtig los, bauten die große Anlage bei Magdeburg auf, um von dort aus ganz Europa zu beliefern. Durch die hohen Abschreibungen zahlten sie geringe Steuern, finanzierten so die Expansion. Ratiopharm aber war lange bekannter als Hexal. Deshalb engagierten die Strüngmanns den Entertainer Harald Schmidt, einen bekennenden Hypochonder, als Werbeträger. Mit Erfolg: Der Bekanntheitsgrad schnellte in die Höhe, der große Konkurrent Ratiopharm landete auf dem zweiten Platz.

Der Markenname Hexal blieb auch nach dem Verkauf bestehen. Die Strüngmanns verpflichteten sich, drei Jahre lang keine Konkurrenz zu machen. Pünktlich zum Ablauf dieses Wettbewerbverbots gründeten sie 2008 in Berlin den Generika-Hersteller Aristo. Zu Aristo gehört inzwischen eine ganze Firmengruppe, Lindopharm in Hilden, Steiner in Berlin, Pharma Wernigerode, Esparma in Magdeburg.

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