Herabstufungen in der Schuldenkrise:Welche Macht die Ratingagenturen haben

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Sie sehen ihre Bewertungen nur als Meinungsäußerungen. Doch die Bonitätsnoten der Ratingagenturen können angeschlagene Staaten noch tiefer in die Krise treiben. Aus einer klugen Idee zum Schutz der Anleger ist eine kaum kontrollierbare Finanz-Supermacht geworden - die in großen Interessenkonflikten steckt.

Markus Zydra

Es war zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die großen amerikanischen Eisenbahngesellschaften brauchten Geld für den Ausbau ihrer Schienennetze. Viele Investoren wollten den Eisenbahnern den Kredit gerne einräumen, allerdings wussten sie zu wenig über die Bonität der Unternehmen. Wie sicher waren diese Anleihen?

Moody's-Hauptquartier in New York: Die Ratingagenturen sind längst ökonomische Supermächte. Ihr Entlohnungsmodell allerdings ist heikel. (Foto: Bloomberg)

Dieses Informationsdefizit an den Finanzmärkten brachte den Amerikaner John Moody im Jahr 1909 auf eine Idee. Er analysierte die Finanzkraft der Eisenbahnkonzerne und versah in einem Handbuch all deren Anleihen mit einer Buchstabennote. Das Buch wurde ein Bestseller.

Noten vergeben - das ist bis heute das Kerngeschäft der Ratingagentur Moody's. Zusammen mit den Konkurrenten Standard & Poor's und Fitch kontrolliert der US-Konzern zu 90 Prozent den globalen Markt. Im Jahr 2011 machte Moody's mit den 6400 Angestellten einen Gewinn von 2,3 Milliarden Dollar. Der Konzern ist börsennotiert, mit der amerikanischen Investorenlegende Warren Buffett als wichtigstem Aktionär. Das Team von Moody's analysiert 11.000 Unternehmen weltweit in 110 Staaten, dazu kommen Tausende öffentliche Schuldner und 94.000 hochkomplex strukturierte Finanzprodukte.

Es ist ein krisensicheres Geschäft. Jedes Unternehmen, das an der Börse eine Anleihe begeben möchte, muss ein Rating vorweisen. Jeder Staat, der seinen Haushalt auf Pump finanzieren will, sollte an den Finanzmärkten ein gutes Zeugnis vorweisen können - sonst drohen Strafzinsen.

"Es gibt auf der Welt zwei Supermächte. Die USA können dich durch den Abwurf von Bomben zerstören, Moody's zerstört dich durch eine Herabstufung der Bonität - und es ist nicht immer klar, wer mehr Macht hat", schrieb der US-Journalist Thomas Friedman 1995.

Kunden bezahlen für eigene Bewertung

Zu Zeiten von John Moody bezahlten die Investoren für die Expertise der Notengeber. Das schien auch sinnvoll zu sein, schließlich waren sie die Profiteure der Informationen. Heute ist das anders. Der Bewertete selbst entrichtet die fünf- bis sechsstelligen Dollarbeträge, so als ob der Schüler den Lehrer für die Bewertung seiner Klassenarbeit entlohnt. Kritiker sehen hier einen Interessenkonflikt. Womöglich geben Ratingagenturen aus Umsatzinteresse bessere Noten? Fest steht, dass Ratingagenturen bis 2007 komplexe amerikanische Wertpapiere viel zu gut benotet haben, auch um von den ausgebenden Banken zusätzlich lukrative Beratungsmandate zu ergattern - das war ein Auslöser der Finanzkrise.

Mittlerweile folgt die Arbeit der Notengeber strengeren Abläufen. Auf Basis von Bilanzkennzahlen, Fragebögen und Gesprächen mit dem Management wird zunächst eine Rating-Empfehlung erarbeitet. Ein unabhängiges Rating-Komitee stimmt dann darüber ab. Moody's und Co. sagen, ihre Noten seien am Finanzmarkt nur eine Meinungsäußerung von vielen.

Tatsächlich besitzen die Bewertungen zur Kreditwürdigkeit ungeheure Sprengkraft. Schuld hat der Gesetzgeber, der die Agenturen mit quasi hoheitlicher Macht ausgestattet hat: Pensionskassen, Lebensversicherer und Banken müssen bei ihrer Geldanlage die Bonitätsurteile der Ratingagenturen berücksichtigen - sie dürfen nur Anleihen mit guter Bonität kaufen. Geben die Agenturen plötzlich schlechte Noten, dann müssen Fonds die herabgestuften Anleihen veräußern. So werden Panikverkäufe forciert.

© SZ vom 02.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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