Heikler Fall für Bundesverfassungsgericht:Karlsruhe befasst sich mit Zwangsmitgliedschaft in Handelskammern

Vor allem bei kleinen Firmen wächst der Widerstand gegen die Industrie- und Handelskammern. Gegner kritisieren Misswirtschaft, Prunkbauten sowie die gesetzliche Zwangsmitgliedschaft - und können nun einen juristischen Prestigeerfolg feiern.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Die 80 Industrie- und Handelskammern gehören zum Inventar der Bundesrepublik Deutschland. Sie waren sozusagen schon immer da. Vor allem bei Inhabern kleiner Firmen regt sich jedoch mehr und mehr Widerstand gegen das Geschäftsgebaren der Kammern. Es geht um Misswirtschaft, den ein oder anderen Prunkbau, die Gehälter in den IHK-Spitzen und vor allem um die Mitgliedsbeiträge sowie die per Gesetz verordnete Zwangsmitgliedschaft in den Kammern, die für den Staat Aufgaben wie etwa die Abnahme von Prüfungen im Ausbildungsbereich übernehmen.

Im Durchschnitt liegt der jährliche Beitrag nach Angaben des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) bei 320 Euro im Jahr. Ein Drittel der Firmen sind wegen zu niedriger Erträge von den Zahlungen befreit. Trotzdem wächst der Widerstand - auch vor Gericht. 2013 hat das Verwaltungsgericht Koblenz festgestellt, dass die örtliche IHK "eine unzureichende Vermögensbildung" in Millionenhöhe betrieben habe. Nun können die Kammerreformer einen neuen juristischen Prestigeerfolg feiern: Das Bundesverfassungsgericht will sich mit der Frage der Zwangsmitgliedschaft befassen.

Zwei Unternehmer, die Mitglied in der Dachorganisation der Kammerreformer, dem Bundesverband für freie Kammern (BFFK), sind, hatten die Beschwerden eingereicht. Darauf hätten viele Unternehmen seit mehr als 50 Jahren gewartet, sagt BFFK-Chef Frank Lasinski. Er weist darauf hin, dass das Verfassungsgericht zuletzt 1962 über die Zwangsmitgliedschaft geurteilt habe. Seitdem seien keine Beschwerden in Karlsruhe zur Beratung angenommen worden.

Kammerreformer berufen sich auf das Grundgesetz

Jetzt wollen sich die Richter die Sache offenbar noch einmal genauer anschauen. Anders ist nicht zu erklären, dass der Vorsitzende des Ersten Senats, Ferdinand Kirchhof, zahlreiche Verbände, den Bundestag und Ministerien soeben aufgefordert hat, zu der Eingabe Stellung zu nehmen. Zwei Obergerichte, der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg und das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, haben deshalb eigene Verfahren in dieser Sache ausgesetzt.

Die Kammerreformer berufen sich in ihrer Verfassungsbeschwerde auf das Grundgesetz. Sie halten die Industrie- und Handelskammern für nicht ausreichend legitimiert. Deren demokratische Ausgestaltung sei "absolut unzureichend". Deshalb sei "die Grenze der Zumutbarkeit zur Zwangsmitgliedschaft überschritten".

Ob sie mit ihrer Eingabe durchkommen, ist allerdings fraglich. 2001 hatte das oberste deutsche Gericht noch klipp und klar festgestellt, dass die Pflichtmitgliedschaft in einer IHK mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

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