Haushalt:Merkels fast unmögliche Aufgabe

Eigentlich muss erst verdient und dann verteilt werden. Die umgekehrte Reihenfolge erfordert von Kanzlerin Merkel höchstes politisches Geschick.

Marc Beise

Das neue Jahr läuft gut an, scheinbar. Die deutschen Unternehmen geben sich selbstbewusst. "Wir werden 2010 der Konkurrenz enteilen", ist ein typischer Satz aus den Grußbotschaften der Konzernchefs, oder wenigstens: "Wir kommen kraftvoll aus der Krise." Auch viele Mittelständler strotzen vor Optimismus, zumindest im Vergleich zu der Verzagtheit, die vor einem Jahr geherrscht hat. Die Wirtschaft wird wieder wachsen, um ein, vielleicht sogar zwei Prozent.

Merkel im Bundestag, dpa

Bundeskanzlerin Angela Merkel - ein verkorkster Start in die zweite Amtszeit.

(Foto: Foto: dpa)

Auch die Bürger könnten sich nicht beklagen, heißt es. "Ab sofort hat jeder netto mehr", titeln die Boulevard-Medien, und sie haben recht beim Blick vor allem auf Kindergeld und Steuerentlastung. Es gibt 20 Euro mehr für jedes Kind, der Kinderfreibetrag steigt, auch der Steuer-Grundfreibetrag. Der Spitzensteuersatz (42 Prozent) beginnt bei einem etwas höheren Einkommen. Bei den Gesundheitskosten können höhere Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung als bisher von der Steuer abgesetzt werden. Wird also alles gut? Leider nicht.

Die Entlastung der Bürger fällt weit geringer aus, als sie verspricht. Sie summiert sich für die öffentlichen Haushalte zu Milliardenausfällen, bringt dem Einzelnen aber nur wenig. 20 Euro pro Monat und Kind, einige Dutzend Euro bei der Einkommensteuer, mehr ist es nicht. Im Gegenzug kündigen sich weit höhere Abgaben in anderen Bereichen bereits an. An der allgemeinen Situation, dass der Staat seit Jahrzehnten und immer unverfrorener vor allem bei der Mittelschicht und bei den Familien zugreift, ändert sich nichts.

Diese Situation wird dadurch verschärft, dass die volkswirtschaftliche Lage keineswegs so schön ist, wie manche sie reden. Die Krise ist keineswegs ausgestanden. Das zu erwartende bescheidene Wachstum setzt auf einem beispiellosen Einbruch 2009 auf.

Vielen, vor allem kleineren Firmen wird 2010 die Luft ausgehen, die Arbeitslosigkeit daher steigen. In diesen Zusammenhang passen düstere Worte der Bundeskanzlerin. In ihrer Neujahrsansprache hat Angela Merkel die Erwartungen auf eine baldige ökonomische Erholung gedämpft. "Wir können nicht erwarten, dass der Wirtschaftseinbruch schnell vorbei sein wird", prophezeite die Kanzlerin. "Manches wird gerade im neuen Jahr erst noch schwieriger, bevor es wieder besser werden kann."

Diese Worte mögen eine polit-taktische Motivation haben, um anhebende Unbekümmertheiten zu bremsen. Warum Maßhalten, wenn doch alles gut läuft? Am 13. Januar beginnen die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen; gefordert werden in der Summe fünf Prozent; in guten Zeiten wäre das kein Problem.

Als unbekümmert gilt weithin auch die FDP, die partout nicht von Steuersenkungen lassen will. Dabei haben die Liberalen hier gute Argumente. Sie verweisen auf Wahlversprechen der Koalition, mehr noch auf die Motivationslage der Mittelschicht. In dieser Frage ist die Koalition allen Kritikern zum Trotz zum Erfolg verdammt. Steuersenkungen sind kein Allheilmittel, aber sie wären ein wichtiges Indiz dafür, dass die Koalition Mittelstand und -schicht wertschätzt und deren zentrale Rolle für den Erhalt des Wohlstandes im Land anerkennt.

Das Land braucht seine Leistungsträger erst recht dann, wenn ab 2011 parallel zur hoffentlichen Verfestigung des Aufschwungs die nächste Stufe der Regierungspolitik drankommt, die Konsolidierung der Haushalte. Ohne ausreichendes Wachstum wird das nicht gehen, aber auch nicht ohne Sparen. Dabei sind Verteilungskämpfe programmiert, die eine klare Prioritätensetzung erzwingen. Gefördert werden muss alles, was helfen kann, mehr Leistung und Wirtschaftswachstum zu generieren.

Deutschland ist ein Sozialstaat und wird das bleiben, um seines Selbstverständnisses willen und zur Sicherung des inneren Friedens. Das war schon Ludwig Erhard wichtig, der aber auch wusste: Es muss erst verdient werden, was dann sozial verteilt werden kann. Diese Zusammenhänge politisch umzusetzen, erfordert die höchste Kunst des Regierungshandelns. Vielleicht auch deshalb klingt die Kanzlerin fast verzagt.

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