Hauptversammlungen:Rebellische Aktionäre

Im vergangenen Jahr haben Investoren weltweit mehr als 170 Unternehmen mit ihren Forderungen attackiert. In Deutschland ist der offene Widerstand von Anteilseignern jedoch noch selten.

Von Meike Schreiber

Am Anfang war Chris Hohn nur lästig. Einer, der Drohbriefe absetzte, aber nicht begriff, worum es dem Management geht. Einer, den man ignorieren kann, wie einen Kleinaktionär, erst 38 Jahre alt und völlig unbekannt. Werner Seifert und Rolf Breuer hingegen waren nicht irgendwer: Seifert war Chef der Deutschen Börse, Breuer Ex-Chef der Deutschen Bank und Aufsichtsratschef der Börse. Und die beiden hatten Pläne: Im Frühjahr 2005 wollten sie die Londoner Börse übernehmen und damit die Deutsche Börse zur mit Abstand größten Handelsplattform Europas machen. Ziemlich genau zehn Jahre ist das in diesen Tagen her.

Ein einfaches Unterfangen war es nicht, gerade in der Londoner City gab es Widerstand gegen die Frankfurter. Einen ihrer Gegner unterschätzten Seifert und Breuer kolossal: Mit seinem Hedgefonds TCI hatte sich der Brite Chris Hohn Aktien der Deutsche Börse gekauft, rebellierte gegen den aus seiner Sicht überteuerten Zukauf und verlangte stattdessen die Ausschüttung der Kriegskasse. In Windeseile gelang es ihm, andere Aktionäre auf seine Seite zu ziehen. Das Erstaunliche: Der bis dahin in Deutschland unbekannte Investor setzte sich durch und schrieb Wirtschaftsgeschichte: Seifert und Breuer mussten nicht nur ihre Pläne fallen lassen, sondern auch ihre Posten räumen - nach einer monatelangen, verbissenen Schlacht, die der rund um die Uhr erreichbare Hedgefonds-Manager auch medial ausfocht.

Es war: Der Börsenchef gegen "die Heuschrecke", wie Seifert seinen Widersacher später in seinem Buch nannte.

Heuschrecken werden diese Art Investoren heute nur noch selten genannt, im Branchen-Slang heißen sie "Aktivisten". Es sind Hedgefonds, die sich bei Unternehmen einkaufen und mit Hilfe öffentlicher Kampagnen Veränderungen durchsetzen, den Verkauf einer Sparte oder eine höhere Dividende. In den USA sind sie inzwischen etabliert, berühmte Namen: Carl Icahn oder Daniel Loeb. Vor allem in der Niedrigzinsphase verschafft ihnen die Suche der Anleger nach Rendite viel frisches Kapital. Und da viele hohe Renditen erwirtschaften, ziehen sie noch mehr Anlegergeld an, das sie wiederum in neue Kampagnen investieren. Mehr noch: Weltweit sitzen viele Unternehmen auf hohen Barreserven, haben aber für die Verwendung keine gute Strategie; sie sind beliebte Ziele für Aktivisten. Schätzungen zufolge verwalten Fonds, die auf öffentlichkeitswirksame Strategien spezialisiert sind, etwa 120 Milliarden Dollar. Zuletzt griffen sie größere Unternehmen an, etwa die US-Konzerne Dell, Ebay oder Microsoft. 2014 wurden weltweit mehr als 170 Unternehmen attackiert, hat die Investmentbank Lazard gezählt.

Nach Chris Hohns Erfolg erwarteten viele auch in Deutschland eine Welle solcher Angriffe. Es blieb jedoch bislang bei Einzelfällen: beim Stahlkonzern Thyssen-Krupp, dem Bauunternehmen Bilfinger oder dem Immobilienunternehmen GSW setzten sie Veränderungen durch. Da hierzulande traditionell nur ein Teil der Aktionäre auf der Hauptversammlung abstimmt, wäre es für Aktivisten eigentlich leicht, Einfluss zu nehmen. Doch das genügt offenbar nicht. "In Deutschland ist der Aufsichtsrat nach wie vor ein Bollwerk gegen aktivistische Investoren, gerade wenn Vorstand und Aufsichtsrat in engem Schulterschluss stehen", sagt Ken Oliver Fritz, Co-Deutschlandchef der Investmentbank Lazard. Ganz anders in den USA, wo rebellische Investoren recht schnell einen Sitz im "Board" (das sind Vorstand und Aufsichtsrat in einem) einheimsen und somit die Strategie mitbestimmen können.

Hinzu kommt: Zwar liegt inzwischen mehr als jede zweite Aktie der Dax-Unternehmen in einem ausländischen Depot. In mehr als jedem dritten Dax-Konzern ziehen gleichwohl Familien im Hintergrund die Strippen, etwa bei Volkswagen, dem Pharmakonzern Merck oder dem Kosmetikunternehmen Beiersdorf. Gegen sie ist schlecht Stimmung machen. Zudem haben die deutschen Unternehmen aus den Vorfällen bei der Börse gelernt: Dirk Schiereck, Bank- und Börsenexperte von der TU Darmstadt, zufolge sind die Vorstände heute "viel sensibler und sprechen bereits früh mit den Aktionären über ihre Kritik und gehen auch darauf ein".

Inzwischen genießen sie zudem einen besseren Ruf als noch vor zehn Jahren, gelten sie doch als ein wichtiges Korrektiv gegen Machtmissbrauch in der Aktiengesellschaft. Wissenschaftler der Universität Washington haben in diesem Frühjahr 67 Studien über Aktivisten ausgewertet. Ein Fazit ist, dass der Unternehmenswert nach ihren Angriffen in der Regel steigt. Inzwischen verfolgen daher nicht nur Hedgefonds solche Strategien, auch normale Publikumsfonds, große Familieninvestoren oder der norwegische Ölfonds nehmen ihren Einfluss wahr. Immer öfter schließen sich aktivistische Fonds auch mit großen herkömmlichen Anlegern zusammen.

Hinzu kommen die Stimmrechtsberater wie der angelsächsische Institutional Investor Service (ISS), der großen Anlegern empfiehlt, wie sie abstimmen sollen. Erst Ende Mai demonstrierte ISS seine Macht auf der Hauptversammlung der Deutschen Bank: Die Berater empfahlen im Vorfeld die Nicht-Entlastung des Vorstandes, was ein schlechtes Ergebnis für die Deutsche-Bank-Führung zur Folge hatte.

"Wer sich als Aktionär einmischt, braucht Expertise und Zugang zu den Entscheidungsträgern. Angelsächsische Investoren waren den deutschen Investoren dabei lange einen Schritt voraus. Heute wissen alle verantwortungsvollen Investoren, dass kein Weg mehr daran vorbeiführt, selbst aktiv zu werden", sagt Ingo Speich, Fondsmanager der genossenschaftlichen Union Investment, der häufig als Redner auf Hauptversammlung auftritt.

Hohn übrigens blieb nach dem Kampf noch eine Zeit lang bei der Deutschen Börse investiert. Nach seinem Angriff vervierfachte sich der Aktienkurs, bevor er in der Finanzkrise wieder einbrach. Auch danach griff Hohn immer wieder Unternehmen an, manchmal erfolgreich, manchmal weniger erfolgreich - heute gehört er weiterhin zur Topliga der Aktivisten, hat ein Vermögen verdient, das er zu Teilen spendete. Nur privat hatte er weniger Glück: Die Scheidung von seiner Frau Jamie Cooper vergangenen Herbst kostete ihn 425 Millionen Euro - die bislang wohl teuerste Trennung Großbritanniens.

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