Post:Aktionäre gegen Mitarbeiter

File photo of Deutsche Post postwoman dropping a letter into a mailbox

Jüngst setzte die Post in Berlin Kollegen aus Polen ein, die Pakete auslieferten - für die Gewerkschaft Verdi ist das "skandalös".

(Foto: Fabrizio Bensch/Reuters)

Investoren im Anzug, Post-Mitarbeiter in Streikwesten: Bei der Hauptversammlung prallen Welten aufeinander.

Von Harald Freiberger, Frankfurt

Durch die Jahrhunderthalle in Frankfurt-Hoechst wehte schon öfter der Geist der Revolution. Eine Tafel erinnert an die Konzerte der letzten fünf Jahrzehnte. Ende der 1960er-Jahre zum Beispiel gastierten die Doors, Jimi Hendrix und Janis Joplin hier.

Es ist nicht gleich der Geist der Revolution, der an diesem Mittwoch in und um die Jahrhunderthalle spukt. Aber es gibt viel Kontroverses, Welten prallen aufeinander. Aktionäre gegen Mitarbeiter, Vorstand gegen Verdi. Auf der Hauptversammlung der Deutschen Post AG wird auch verhandelt, wie es in der deutschen Wirtschaft in Zeiten der Globalisierung weitergehen soll.

Drinnen hält Vorstandschef Frank Appel am Vormittag eine Rede, in der er seinen Kurs der letzten Monate verteidigt. "Unsere Personalkosten sind auf Dauer nicht wettbewerbsfähig", sagt er. Die Tarifstruktur gehe noch auf Behördenzeiten zurück, sie sei "nicht mehr markt- und zeitgemäß". Im Februar hat die Post deshalb 49 neue regionale Gesellschaften gegründet, die den Namen "Deutsche Post Delivery" tragen. Das Wort heißt "Zustellung" und ist ein rotes Tuch für alle Mitarbeiter der Post AG - und vor allem für die Gewerkschaft Verdi. Für Delivery wurden inzwischen 6000 Mitarbeiter im boomenden Paket-Geschäft neu eingestellt, unbefristet, aber zu niedrigeren Tarifen als bei der Post. Verdi fürchtet, dass damit der Flächentarif ausgehöhlt wird.

Er wolle keine Dividende "vom Schweiß unterbezahlter Mitarbeiter", sagt ein Redner

Seit acht Wochen gibt es Streiks mit unschönen Szenen. Die Gewerkschaft wirft der Post vor, Beamte als Streikbrecher einzusetzen. Appel weist das zurück, man breche keine Gesetze. Pünktlich zum Aktionärstreffen eine neue Eskalation: In Berlin hat die Post Mitarbeiter aus Polen eingesetzt, um liegen gebliebene Pakete auszuliefern. Verdi nennt dies "beispiellos skandalös". Die Post versuche, den Arbeitskampf im eigenen Land durch ausländische Kräfte zu unterwandern. Ein Post-Sprecher bestätigt den Einsatz der Leute aus dem Nachbarland, es seien aber erfahrene Zusteller und keine externen, sondern Post-Mitarbeiter. Sie erhielten für die Zeit des Einsatzes auch denselben Tariflohn wie ihre deutschen Kollegen.

Draußen vor der Halle hat Verdi mittags zu einer Konkurrenz-Veranstaltung aufgerufen. Tausende Post-Mitarbeiter aus ganz Deutschland sind angereist, sie tragen neongelbe Streikwesten über der gelben Post-Kleidung. Verdi-Chef Frank Bsirske wirft dem Vorstand "Kultur- und Vertragsbruch" vor. Man werde "keine Spaltung des Betriebes und der Belegschaft" hinnehmen. Stattdessen fordert Verdi 5,5 Prozent mehr Lohn und eine Senkung der Arbeitszeit von 38,5 auf 36 Stunden bei vollem Lohnausgleich. Immer wieder wird die Rede von "Appel-raus"-Rufen unterbrochen. Der Vorstand klage, dass die Paketsparte zwar Umsatz, aber keinen Gewinn mache, sagt Bsirske. Dabei sei die Rendite höher als in anderen Post-Sparten und deutlich höher als bei der Konkurrenz. Appel präsentiere einen Milliarden-Gewinn, mehr Geld für den Vorstand und mehr Dividende für Aktionäre - aber für die Beschäftigten solle es weniger geben. "Da kriegen welche den Hals nicht voll, und die Beschäftigten sollen die Zeche dafür zahlen."

Eine Gruppe von Mitarbeitern der Pakettochter DHL steht in den hinteren Reihen, sie sind aus der Gegend von Gießen angereist. Herron Shane fährt seit sechs Jahren Pakete aus, er bekommt 13,42 Euro in der Stunde und 1700 Euro netto im Monat. Sein jüngerer Kollege verdient 1450 Euro netto, er hat eine Frau und zwei Kinder. "Ich bräuchte 500 Euro mehr im Monat, um mal in den Urlaub fahren zu können", sagt er. Und er fragt: "Für was spart der Appel, für was? Doch nur für die Aktionäre, und die Mitarbeiter müssen sich mit Hungerlöhnen abfinden."

Und wie finden die Redner auf der Hauptversammlung den Tarifstreit? Schließlich ist es ja so: Je niedriger die Löhne, umso höher der Gewinn, umso mehr Geld bleibt, um es an die Aktionäre auszuschütten. Ein Redner lobt folgerichtig den Vorstand für die "sehr beeindruckenden" Zahlen und fragt zum Tarifstreit: "Zahlt unser Vorstand etwa nicht mehr den Mindestlohn? Wo ist das Problem?" Ein anderer freut sich über "das gute Jahr wieder mal". Am Tag vorher hat ein Arbeitsgericht in der Tendenz entschieden, dass die Post Beamte für Tätigkeiten einsetzen kann, die durch die Streiks liegen bleiben. Der Redner kommentiert das so: "Leute, die arbeiten wollen, dürfen das auch. Und dafür braucht es eine gerichtliche Entscheidung? Oha!"

Andere Redner zeigen mehr Verständnis für die Mitarbeiter. "Was sind Sie für ein schäbiges Unternehmen", wirft Matthias Gäbler aus Stuttgart dem Vorstand der "Poscht AG" vor. Er wolle keine Dividende "vom Schweiß und der Hetze unterbezahlter Mitarbeiter". Die Delivery-Geschichte nennt er "blödsinnig", sie beute die Mitarbeiter aus. "Warum lagern wir nicht den Vorstand aus?", fragt er. Der Applaus der Aktionäre ist spärlich.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: